Folge: 1186 | 16. Januar 2022 | Sender: WDR | Regie: Francis Meletzky
Lückenhaft.
Denn Hauptkommissar Frank Thiel (Axel Prahl) ereilt in Des Teufels langer Atem das gleiche Schicksal wie seinen Münchner Tatort-Kollegen Ivo Batic (Miroslav Nemec) in Wir sind die Guten oder seinen Wiener Tatort-Kollegen Moritz Eisner (Harald Krassnitzer) in Unvergessen: Thiel verliert vorübergehend sein Gedächtnis – und setzt alles daran, seine Erinnerungslücken zu schließen und damit einen Mordfall aufzuklären.
Der betrifft den aus Hamburg stammenden Ermittler diesmal persönlich: Im Wald wird die Leiche seines früheren Vorgesetzten Arne Hartnack (Artus Maria Matthiessen, Kaputt) gefunden, den er einst wegen eines Tötungsdelikts hinter Gitter gebracht hatte – und Thiel gerät selbst unter Mordverdacht, weil die Schüsse aus seiner Dienstwaffe stammen und er der vor Ort zuständigen, in den Gesprächen seltsam teilnahmslos auftretenden Ermittlerin Annika Kröger (Banafshe Hourmazdi) kein Alibi vorlegen kann.
Wie gut, dass es Professor Karl-Friedrich Boerne (Jan Josef Liefers) gibt, den der sternhagelvolle Thiel in der Tatnacht um Hilfe gebeten hatte: Gemeinsam setzen die beiden Quotenkönige, die 2021 mit der dünnen Krimiklamotte Rhythm and Love erneut den reichweitenstärksten Sonntagskrimi für sich verbuchten, das Puzzle Stück für Stück zusammen. Aus blutigen Indizien, düsteren Flashbacks und den verpixelten Aufnahmen einer Überwachungskamera rekonstruieren sie die verhängnisvolle Nacht.
Es ist typisch für den dramaturgisch sehr ausrechenbaren Tatort aus Münster, dass dabei mehrere, zunächst unabhängig voneinander startende Handlungsstränge miteinander verknüpft und die Ermittler sehr persönlich in den Fall involviert sind: Kommissar Zufall ermittelt im 1186. Tatort fleißig mit, was dem Unterhaltungswert allerdings selten Abbruch tut.
KRÖGER:
Ganz schön viele Zufälle sind das.
Auch in Des Teufels langer Atem kennt der nach wie vor bemerkenswert frauenverachtende Boerne wieder irgendeinen einen renommierten Kollegen von früher und kontaktiert ihn umgehend, zudem trifft er diesmal auf seine frühere, offenbar untalentierte Studentin Vivian Peters (Judith Goldberg). Handlungskniffe wie diese gab es in Westfalen schon sehr häufig und auch Drehbuchautor Thorsten Wettcke (Lakritz) greift fleißig auf das mittlerweile ziemlich ausgelutschte Erfolgsrezept zurück.
Und doch ist der 40. Fall von Thiel und Boerne keine dieser mit bemühten Altherrenwitzchen vollgestopften Wohlfühlkrimis, in denen der Mordfall nur dazu dient, die lose Verbindung zwischen müden Gagsalven herzustellen: Wirklich albern wird es nur ein einziges Mal – nämlich dann, als Peters und Silke "Alberich" Haller (Christine Urspruch) in der Leichenhalle Freundschaft schließen. Ansonsten köchelt der Klamauk auf Sparflamme – und das tut der zwar konstruierten und etwas repetitiven, aber reizvollen und mit vielen Zeitsprüngen gespickten Schnitzeljagd unheimlich gut.
Auch Spannungsmomente gibt es unter Regie von Franziska "Francis" Meletzky (Auge um Auge) durchaus – etwa dann, wenn der in U-Haft sitzende Thiel auf der Suche nach seinem Gedächtnis neue Erkenntnisse gewinnt oder sich Alberich in eine fremde Rechtsmedizin schleicht, um dort fast auf frischer Tat ertappt zu werden. Das ist in Münster nicht (mehr) selbstverständlich – und auch Herbert Thiel (Claus Dieter Clausnitzer) beteiligt sich – seinem umfassendem Wissen über Betäubungsmittel sei Dank – so konstruktiv an den Recherchen, wie er es in den letzten 20 Jahren nur sehr selten durfte.
Dass die undurchsichtige Dr. Kühn (Kim Riedle, Für immer und dich), deren Vater zufällig das Mordopfer in dieser Krimikomödie ist, "Vaddern" einen inoperablen Hirntumor diagnostiziert, gibt Axel Prahl zudem die Gelegenheit, sein schauspielerisches Können zu zeigen, das im Tatort selten wirklich gefordert ist – einmal mehr blass bleibt hingegen Assistent Mirko Schrader (Björn Meyer), der vor allem als Stichwortgeber und Zigarettenanzünder für Staatsanwältin Wilhelmine Klemm (Mechthild Großmann) fungiert und als Nachfolger der in Das Team verstorbenen Nadeshda Krusenstern (Friederike Kempter) weiterhin wenig zu melden hat.
Um die Auflösung des Krimis und die Antwort auf die Frage vorherzusehen, ob "Vaddern" wirklich das Zeitliche segnet, braucht es zwar keine hellseherischen Fähigkeiten – dennoch zählt Des Teufels langer Atem nach missglückten Nummernrevuen wie Es lebe der König!, Väterchen Frost oder Fangschuss dank des wohldosierten Humors und des vergleichsweise spannenden Puzzlespiels eindeutig zu den besseren Folgen mit Thiel und Boerne – die sich am Ende sogar erstmalig duzen.
Bewertung: 6/10
🎥 Drehspiegel: Der nächste Münster-Tatort läuft schon im März
📆 Ausblick: Mit dieser Folge geht es nächsten Sonntag weiter
📝 So war der Vorgänger: Kritik zum Dortmunder Tatort "Gier und Angst"