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Channel: Wie war der Tatort?
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Schattenkinder

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Folge: 1193 | 13. März 2022 | Sender: SRF | Regie: Christine Repond
Bild: ARD Degeto/SRF/Sava Hlavacek
So war der Tatort:

Objektiv.

Denn der dritte Tatort mit den Zürcher Hauptkommissarinnen Isabelle Grandjean (Anna Pieri Zürcher) und Tessa Ott (Carol Schuler) wurde unter dem Arbeitstitel Kyomis Objekte gedreht, ehe ihn das SRF noch einmal umtaufte: Schattenkinder unter Regie von Christine Repond ist die erste von drei schattigen Tatort-Folgen im Jahr 2022, denn heuer geht auch noch der Kieler Tatort Borowski und der Schatten des Mondes und der Hamburger Tatort Schattenleben auf Sendung.

Der originellere, leider wieder eingestampfte Krimititel kam nicht von ungefähr: Nach dem Fund des auffällig tätowierten Max "Cosmo" Gessner (Vincent Furrer, Schmutziger Donnerstag), dessen kokonartig eingewickelte Leiche von der Decke einer Fabrikhalle baumelt, führt der Weg in die vibrierende Zürcher Kunstszene – genauer gesagt in ein Künstlerhaus, in dem die exzentrische Tattoo-Künstlerin Kyomi (Sarah Hostettler, Borowski und das Glück der Anderen) ihre "Objekte" Anna "Indira" Bachmann (Zoë Valks) und Philipp "Shin" Rademacher (Tim Borys) nach ihrem Gusto umgestaltet hat. Mit Tattoos im Antlitz, auf dem Hals und sogar auf dem Augapfel – um ihre Objekte von dem Gesicht zu befreien, das angeblich nicht mehr zu ihrer Person passt.

Ok.

Unterm Strich ergibt das vor allem eines: ein bizarres Bild, mit dem man sich erst einmal arrangieren muss. Und es ist typisch für die Krimireihe, dass sich die Ermittlerinnen, die von Staatsanwältin Anita Wegenast (Rachel Braunschweig) kontrolliert und von ihrem IT-affinen Kollegen Noah Löwenherz (Aaron Arens) unterstützt werden, in ihrer subjektiven Wahrnehmung nicht einig sind: Ist das nun Kunst oder kann das weg? Die Rollenverteilung ist die erwartete: Grandjean, gewohnt siezend und steif, lehnt diese Kunstform kategorisch ab, die duzende Ott hingegen gibt sich tolerant und aufgeschlossen.


GRANDJEAN:
Diese Frau entstellt junge Menschen für ihren persönlichen Erfolg.

OTT:
Ich find's interessant, was sie macht. Wenn ich mich im Spiegel nicht mehr erkenne, befreit mich das dann von mir selbst?

GRANDJEAN:
Wenn Sie sich nicht mehr im Spiegel erkennen, brauchen Sie eine Brille.


Trotz dieser altbekannten Kontroverse mangelt es der Geschichte von Stefanie Veith (Die Zeit ist gekommen) und Nina Vukovic, die auch den vierten Zürcher Tatort Risiken mit Nebenwirkungen konzipiert haben, nicht an einer mutigen Grundidee – und doch bedienen sich die Drehbuchautorinnen bei näherer Betrachtung zu oft jener Handgriffe, der sich die kreativen Köpfe der Krimireihe in der jüngeren Vergangenheit schon sehr häufig bedient haben.

So ist Otts Mitbewohner Charlie Locher (Peter Jecklin) etwa persönlich mit der Künstlerin Kyomi bekannt, weil er sie mal auf einer Vernissage kennengelernt hat – Grandjeans Partner Milan Mandic (Igor Kovac) hingegen hat bei Kyomi ausgerechnet einen Catering-Auftrag für eine Party angenommen, auf der sich Ott später unter das feiernde Partyvolk mischt. Diese persönlichen Verwicklungen wirken auch in diesem Krimi konstruiert, sind für die stets bemühte Story aber letztlich weniger prägend, als es zunächst zu befürchten ist. Immerhin.

Die 1193. Tatort-Ausgabe ist dennoch keine überzeugende, denn die ganze Künstlernummer gestaltet sich ziemlich anstrengend – und wirklich spannend ist der mit Footage-Sichtungen vollgestopfte, stellenweise unnötig reißerisch arrangierte Krimi (Chatprotokolle werden etwa zusätzlich mit verzerrter Stimme aus dem Off vorgelesen) zu keinem Zeitpunkt. Unfreiwillig komisch wird es dann beim überhastet eingeleiteten, feurigen Finale, das Grandjean und Ott auf die Insel Schönenwerd im Zürisee führt – jenes malerische Gewässer, das im Verlauf des Films mehr als ein halbes Dutzend Mal im Panorama eingefangen wird, damit wir auch ja nicht vergessen, in welcher Stadt wir uns befinden. Lokalkolorit ansonsten: Mangelware.

Auch mit Klischees geizen die Filmemacher nicht: Neben dem pädophilen Schwimmtrainer Konrad Fassbind (Marcus Mislin, Zwei Leben) gibt es mit dem reichen Schönheitschirurgen Beat Gessner (Imanuel Humm) einen Rabenvater aus dem Bilderbuch – beruflich erfolgreich, aber weit entfernt davon, seinem Sohn die Stütze zu sein, die der in seiner schwierigsten Lebensphase gebraucht hätte. Die späte, ebenfalls reichlich konstruierte Wendung mit Blick auf zwei Menschen, die einen neuen Namen tragen, verpufft dann ohne die erhoffte Wirkung – so überraschend die Auflösung der Täterfrage sich gestaltet, so schnell ist sie wieder vergessen.

Nach dem soliden Auftakt Züri brännt und dem vielkritisierten Nachfolger Schoggiläbe zeigt der Pfeil für das neue Schweizer Tatort-Team damit wieder nach unten – und es bleibt sehr zu hoffen, dass Grandjean und Ott nach Schattenkinder die Kurve kriegen. Ansonsten droht, dieses Wortspiel sei verziehen, das gleiche Schattendasein, das bereits ihre Luzerner Vorgänger Reto Flückiger (Stefan Gubser) und Liz Ritschard (Delia Mayer) in der Krimireihe fristeten.


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