Folge: 1207 | 4. September 2022 | Sender: SWR | Regie: Esther Wenger
![]() |
Bild: SWR/Benoît Linder |
So war der Tatort:
Militärisch.
Der Tatort Das Verhör, der schon Monate vor dem im Mai 2022 ausgestrahlten Ludwigshafener Vorgänger Marlon gedreht wurde, entstand nämlich zu Teilen in einer Kaserne im südbadischen Müllheim – spielt ansonsten aber vor allem im Polizeipräsidium und kommt über weite Strecken als emotional aufgeladenes Kammerspiel daher.
Erinnerungen werden wach, an großartige SWR-Folgen wie die Stuttgarter Beiträge Der Mann, der lügt oder Anne und der Tod, die als Verhörmarathon auf engem Raum ganz hervorragend unterhielten. Doch mithalten kann der erste Tatort nach der Sommerpause 2022 mit diesen zwei Krimiperlen aus dem Ländle zu keinem Zeitpunkt: Der 17. gemeinsame Fall der kurpfälzischen Hauptkommissarinnen Lena Odenthal (Ulrike Folkerts) und Johanna Stern (Lisa Bitter) bleibt unterm Strich um Längen dahinter zurück.
Dabei knöpft sich Drehbuchautor Stefan Dähnert, der zuletzt die Geschichte zum soliden Odenthal-Tatort Die Pfalz von oben schrieb, zwei aktuelle Themen vor: verletzte männliche Eitelkeiten, die mit dem Gendern, weiblichen Vorgesetzten und Feminist:innen nicht zurecht kommen, und Femizid, der bereits ähnlich schwach im Göttinger Tatort National feminin und deutlich besser im Dresdner Tatort Das kalte Haus thematisiert wurde. Und ähnlich wie im Krimi aus Sachsen, der drei Monate zuvor seine TV-Premiere feierte, scheint der Täter von Beginn an festzustehen.
Das Verhör dreht sich unter routinierter Regie von Tatort-Debütantin Esther Wenger fast ausschließlich um den chauvinistischen Hauptmann Hajo Kessler (Götz Otto, spielte bereits eine ähnliche Rolle im Odenthal-Tatort Nahkampf von 1997): Er soll die geschiedene Investmentbankerin Ann-Kathrin Werfel bei lebendigem Leib verbrannt haben. Und er wirkt in seinem Frauenhass so fanatisch, dass an seiner Schuld keine Zweifel bestehen. Mit seinem Schubladendenken ist er in diesem Tatort aber in bester Gesellschaft – wie es sich etwa bei Sterns Besuch bei Rechtsmediziner Dr. Özcan (Kailas Mahadevan) offenbart.
ÖZCAN:Erfolgreich, schön – die Männer haben wahrscheinlich Schlange gestanden.
Auch sonst entpuppt sich der 1207. Tatort als bemühte Klischeeparade: Da gibt es den mit hässlicher und schlecht gebundener Krawatte schon optisch sehr karikaturesken Junganwalt Baki Kaya (Emre Aksizoglu, Ihr Kinderlein kommet), der direkt der Lächerlichkeit preisgegeben wird. Da gibt es den unerträglich-überheblichen Oberstaatsanwalt Marquardt (Max Tidof), der Odenthal mit Freude in die Parade grätscht. Und da gibt es immer noch Edith Keller (Annalena Schmidt), die trotz ihres fortgeschrittenen Rentenalters die Stellung auf der Assistenzstelle hält und den dringend tatverdächtigen Kessler mit einem Tablet im Verhörzimmer allein lässt. Ohne sie würde der Clou dieser mit Tablet- und Coffee-to-go-Becher-Szenen förmlich vollgestopften und an den Hitchcock-Klassiker "Der Fremde im Zug" angelehnten Whodunit-Konstruktion gar nicht funktionieren.
Immerhin: Keller wird so intensiv in die Handlung eingebunden, wie man es am Rhein lange nicht gesehen hat – und auch sonst ist Das Verhör trotz der aufgesetzt klingenden Dialoge nicht ganz so schlecht wie manch anderer Odenthal-Krimi der jüngeren Vergangenheit (man denke nur an Babbeldasch). Während die frühere Kratzbürste Stern den Ruhepol dieses Tatorts bildet, reibt sich Odenthal im Verhörzimmer auf und verliert sich in aggressiven Wortgefechten mit dem süffisant-überlegenen Kessler, der die dienstälteste Kommissarin der Krimireihe ins Leere laufen lässt. Eine Weile ist das durchaus unterhaltsam, irgendwann aber ermüdend.
Wie fleißig in diesem Tatort rechtsstaatliche Prinzipien mit Füßen getreten werden, ist zudem bemerkenswert: Da wird dem Beschuldigten eine halbe Ewigkeit das offenbar dringend benötigte Asthmaspray vorenthalten, da wird eine Leiche (!) im Präsidium geohrfeigt, um den Verdächtigen aus der Reserve zu locken – und da springt statt eines SEKs mal eben eine führungslose Bundeswehrtruppe ein, wenn die befehlshabende Oberstleutnant Angelika Limbach (Katrin Röver, Dreams) aus einer misslichen Lage fernab der Kaserne befreit werden muss. Puh.
Einen Tatort einem Abgleich mit realem Polizeialltag zu unterziehen, ist zwar selten eine gute Idee – Das Verhör gestaltet sich bisweilen aber dermaßen abwegig, dass die Geschichte in unfreiwillige Komik mündet. Und sie schenkt einer Schlüsselfigur zu wenig Aufmerksamkeit: Während Kesslers eher dünnes Tatmotiv und sein Hass vor der Kamera ausgiebig zelebriert werden, bleibt das Seelenleben des von der Ermordeten geschiedenen Patrick Werfel (Jonathan Müller, Die ewige Welle) auf der Strecke. So muss die Verbindung zwischen den zwei Männern auf der Tonspur erläutert werden – und das wirkt nicht erst beim hanebüchenen Showdown sehr behauptet.
Bewertung: 4/10
🎥 Drehspiegel: Nächster LU-Tatort schon im Kasten
📅 Ausblick: Dieser Tatort läuft am nächsten Sonntag