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Channel: Wie war der Tatort?
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Das Opfer

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Folge: 1218 | 18. Dezember 2022 | Sender: RBB | Regie: Stefan Schaller
Bild: rbb/Stefan Erhard
So war der Tatort:

Rubinlos.

Das Opfer ist nämlich der erste Berliner Tatort nach dem Tod von Hauptkommissarin Nina Rubin (Meret Becker), die in Das Mädchen, das allein nach Haus' geht unter dramatischen Umständen das Zeitliche segnete: Ihren langjährigen Kollegen und Gelegenheitsgeliebten Robert Karow (Mark Waschke) stürzte sie im überragenden Vorgänger auf dem BER-Rollfeld ins Tal der Tränen, und aus diesem Tal mag sich Karow bei seinem einmaligen Solo-Einsatz an der Spree noch nicht befreien. Vielmehr durchschreitet er gleich das nächste.

Über das Timing dafür lässt sich streiten, denn der queere Ermittler muss binnen weniger Monate erneut eine Hiobsbotschaft verkraften: Im Wald wird die Leiche seines geliebten Jugendfreundes Maik Balthasar (Andreas Pietschmann, Wo ist Mike?) gefunden, der als Undercover-Cop im Rotlichtmilieu der Stadt aktiv war. Fingerabdrücke auf der wenige Meter weiter entsorgten Tatwaffe führen zum einflussreichen Gangsterboss Mesut Günes (Sahin Eryilmaz, Der Reiz des Bösen), in dessen Kreise sich Balthasar eingeschleust hatte.

Klingt nach 4 Blocks, in dem sich ebenfalls ein Undercover-Cop das Vertrauen einer Berliner Unterweltgröße erarbeitet – die Klasse des vielfach prämierten Serienhits erreicht der gute Tatort von Drehbuchautor Erol Yesilkaya (Parasomnia) allerdings nicht ganz. In knapp 90 Krimiminuten ist das auch kaum zu machen, und der Schwerpunkt liegt hier woanders: Statt das Gangstermilieu mit seinen Intrigen und Brutalitäten von innen auszuleuchten, konzentrieren sich die Filmemacher auf das Seelenleben des von Mark Waschke überragend gespielten, gebeutelten Karow und dessen homoerotische Ersterfahrungen. Und war es im Vorgänger Nina Rubin, die eine junge Frau aus dem Milieu zu retten versuchte, ist es diesmal ihr Partner.

Weil Rubin nicht mehr da ist und Assistent Malik Aslan (Tan Caglar) ohne Angabe von Gründen fehlt, muss sich Karow mit Staatsanwältin Sara Taghavi (Jasmin Tabatabai, Herz-As) herumschlagen: Taghavi hat aufgrund der erdrückenden Indizienlast gegen Günes wenig Verständnis für Karows Alleingänge und versucht vergeblich, ihn in die Schranken zu weisen. Das bietet Steilvorlagen für markige Wortwechsel. Anders als Karow spielt die zugeknöpfte Mahnerin Taghavi gegenüber dem Publikum nicht mit offenen Karten und erfüllt damit das typische Klischee, das in der Krimireihe schon häufig zu beobachten war.


TAGHAVI:
Ihre Kollegen sagten bereits, dass Sie ein sehr engagierter Polizist sind.

KAROW:
"Arroganter Arsch" dürfte die Wortwahl gewesen sein, oder?


Auf drei Zeitebenen entwickelt sich unter Regie von Stefan Schaller, der zuletzt den grandiosen Tatort-Mindfuck Damian arrangierte, fernab des Präsidiums eine für die Krimireihe sehr ungewöhnliche Kreuzung aus sensiblem Coming-of-Age-Drama, brutalem Milieuthriller und stimmungsvollem Neo-Noir-Krimi. Die Handlung springt elegant zwischen nostalgischen Bildern aus Karows Teenager-Zeit, Folterszenen in düsteren Lagerhallen und munterem Buddy-Talk im Döner-und-Tattoo-Laden (!) des sympathischen Memo (Burak Yigit, Falscher Hase), der Karow Lahmacun und Ayran serviert.

Dem Erzählton schaden diese Sprünge nicht: Der Film wirkt durchdacht und stets aus einem Guss. Und vor allem: Er hat Herz. Die Homosexualität ist im 1218. Tatort so selbstverständlich, wie sie es sein sollte (in der Krimireihe aber nicht immer ist, vgl. Tanzmariechen von 2017): Das Opfer ist die wohl schwulste Tatort-Folge aller Zeiten. Sie zelebriert die Liebe unter Männern förmlich. Das braucht viel Platz, doch wird der Kriminalfall nicht vernachlässigt: Karows knifflige Schnitzeljagd auf den Spuren des Verstorbenen, die das erste Drittel dominiert, bietet reizvoll variierte Krimi-Unterhaltung. Puzzleteil für Puzzleteil will aneinandergelegt werden, um das große Ganze zu entschlüsseln – und doch ist womöglich nichts, wie es scheint. Spätestens auf der Zielgeraden kommen auch Whodunit-Puristen auf der Suche nach der Auflösung auf ihre Kosten. 

Über dicke Logiklöcher müssen wir aber hinwegsehen: Hätte die KTU im Wald einen besseren Job gemacht, wäre der Mordfall nach Minuten gelöst gewesen. Der finale Clou wirkt nicht ganz glaubhaft. Und wer um maximale Geheimhaltung bemüht ist, weil sein Leben schnell in Scherben liegen könnte, hinterlässt wohl kaum entlarvende Polaroid-Fotos am Ort des Geschehens. Den Unterhaltungswert schmälert das wenig: Das Opfer ist ein sehenswerter und mitreißender Überbrückungstatort für Robert Karow, der ab 2023 mit der früheren LKA-Größe Susanne Bonard (Corinna Harfouch) eine neue Partnerin bekommt. 

Bewertung: 7/10

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