Folge: 1263 | 3. März 2024 | Sender: NDR | Regie: Andreas Kleinert
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Bild: NDR/Thorsten Jander |
So war der Tatort:
Wie eine große Fickfackerei.
Denn der 1263. Tatort, in dem diese altertümliche Bezeichnung einer Schwindelei bei einer Befragung zitiert wird, steht lange Zeit auf doppeltem Boden – ganz so, wie wir das von Sascha Arango (Borowski und der gute Mensch) gewöhnt sind. Der Drehbuchautor, der unter anderem die vielgelobte Tatort-Trilogie um Kult-Killer Kai Korthals (Lars Eidinger) konstruierte und auch für den letzten Borowski-Tatort im Jahr 2025 am Ruder saß (→ weitere Informationen), hat einmal mehr ein originelles Verwirrspiel entsponnen, das seinen Reiz bis in die Schlussminuten aufrecht erhält.
Doch beginnen wir mit den Anfangsminuten, die mit einer Fuckerei auf dem Buffettisch enden: Die frisch für ihre beruflichen Erfolge ausgezeichnete Unternehmerin Greta Exner (Cordelia Wege) lässt sich nach einem Umtrunk in ihrer Villa zwischen Häppchen und Finger Food von ihrem untreuen Gatten Tobias Exner (Pétur Óskar) flachlegen – und dabei von ihrem persönlichen Mädchen für alles Witek Tusk (Greg Stosch) beobachten. Haben die zwei ein Verhältnis? Ganz sicher fremdgehen tut ihr Mann, denn davon werden wir bald Zeuge: Er bandelt in einem Dating-Portal mit Userin "Kitty13" an, filmt seine Schäferstündchen heimlich und plant sogar akribisch die Ermordung seiner argwöhnischen Gattin. Doch dann ist er plötzlich verschwunden.
Ganz genau: Keine klassische Auftaktleiche, kein klassischer Einstieg in die Ermittlungen, und der erste große Wendepunkt nach 18 Minuten. Hauptkommissar Klaus Borowski (Axel Milberg), seine Kollegin Mila Sahin (Almila Bagriacik) und Kriminalrat Roland Schladitz (Thomas Kügel) kommen bis dato gar nicht im Film vor und müssen sich anschließend erstmal sortieren. Ist die Mordkommission überhaupt zuständig? Einen Mord begeht sie allenfalls selbst – allerdings nicht an einem Menschen, sondern an einer Pressedrohne. Borowskis westernähnlich inszenierter Abschuss des ferngesteuerten Flugobjekts im Garten der Exnerschen Villa zählt zu den denkwürdigsten Szenen der Kieler Tatort-Geschichte und ist natürlich eine Steilvorlage für die eine oder andere Frotzelei.
SCHLADITZ:Du kannst doch nicht einfach 'ne Pressedrohne abknallen.BOROWSKI:Das dachte ich auch. Aber es war ganz einfach.SAHIN:So viel zum Thema Pressefreiheit.BOROWSKI:So viel zum Thema Privatsphäre.
In der Folge entspinnt sich in Borowski und der Wiedergänger, der beim Festival des deutschen Films 2023 seine Vorpremiere feierte und Axel Milberg den Preis für Schauspielkunst bescherte, ein humorvoll angereichertes, satirisch überzeichnetes und fast theaterhaft anmutendes Dialogfeuerwerk, aus dem sich im Minutentakt zitieren ließe. Alles ein wenig entrückt, alles ein wenig überhöht – dabei aber höchst unterhaltsam und überwiegend mit in der Krimireihe unverbrauchten Gesichtern besetzt. Auch der in den vergangenen Jahren oft nur als Stichwortgeber fungierende Schladitz hat endlich mal wieder eine tolle Szene – Stichwort: Holzklasse.
Ansonsten blicken die Filmemacher um Regisseur Andreas Kleinert (Flash) hinter die Kulissen einer vordergründig tadellosen Firmendynastie, wie sie es in den Jahren zuvor etwa in Das fleißige Lieschen oder Und immer gewinnt die Nacht taten: Greta Exner sieht sich Vorwürfen ihrer Mutter Vera (Karin Neuhäuser, Das Leben nach dem Tod), ihres Vaters Konstantin (Stephan Bissmeier, Die Kälte der Erde) und des Finanzberaters Pascal Rütli (Caspar Kaeser, Finsternis) ausgesetzt. Ihr verschwundener Gatte schade der Firma, wo er nur könne, und ja, damit liegen sie offenbar goldrichtig. Aber hat man ihn gleich aus dem Verkehr gezogen?
Dessen können wir uns bis zum spannenden Showdown nie ganz sicher sein: Textnachrichten ihres Gatten lassen nicht nur uns an seinem Ableben, sondern auch Greta daran zweifeln, was hier vor sich geht. Edgar Allan Poe lässt grüßen. Ein Mord, ein Bluff, eine Fickfackerei? Auf jeden Fall ein wendungsreiches Katz-und-Maus-Spiel, bei dem allein die Schlusspointe etwas früh zu erahnen ist. Borowski scheint bei seinem viertletzten Tatort-Auftritt ohnehin deutlich früher den Durchblick zu haben als wir, er verliert nie die Geduld. Und macht bisweilen auf Inspektor Columbo, der uns bekanntlich stets einen Schritt voraus war und vor dem Ende seiner Besuche – so wie hier der Kieler Kommissar – gern noch eine Zusatzfrage stellte.
Auch handwerklich setzt Borowski und der Wiedergänger einige Duftmarken, wenngleich nicht jede davon funktioniert: Vor allem die künstlerische Überhöhung von Anfang und Ende und die damit verbundenen Lost-Places-Anleihen wirken etwas bemüht. Und die schicke Aufmachung der in Schwarz-Weiß-Monologen zitierten Zeugen können nicht verschleiern, dass hier Charakterzeichnung mit der Brechstange betrieben wird. Absolut grandios ist hingegen der selbstironische Meta-Moment, in dem Greta Exner und Witek Tusk auf dem Sofa sitzen und einen Tatort abschalten – um anschließend Sätze auszusprechen, die wohl schon millionenfach in deutschen Wohnzimmern gefallen sind.
GRETA EXNER:Der war spannend.WITEK TUSK:Haben Sie verstanden, wer es war?GRETA EXNER:Nee. Du?WITEK TUSK:Nee.
Bewertung: 7/10
📲 Erklärung: So kamen die Textnachrichten aufs Handy der Täterin
🎥 Abschied: Alle Infos zum Ausstieg von Axel Milberg
👀 Drehspiegel: So geht es im Kieler Tatort weiter