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Channel: Wie war der Tatort?
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Und immer gewinnt die Nacht

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Folge: 1181 | 12. Dezember 2021 | Sender: Radio Bremen | Regie: Oliver Hirschbiegel
Bild: Radio Bremen/Michael Ihle
So war der Tatort:

Dünn.

Denn Drehbuchautor Christian Jeltsch (Krieg im Kopf) will ein bisschen (zu) viel in seiner Geschichte unterbringen – und das geht in seinem Bremer Tatort, der in Sachen Unterhaltungswert ein gutes Stück hinter dem ordentlichen Vorgänger Neugeboren zurückbleibt, fast zwangsläufig auf Kosten der Charakterzeichnung und des Tiefgangs.

Dieser Eindruck verfestigt sich schon in den Anfangsminuten, der wie ein Skandinavienkrimi anmutet: Nach der kurzen Einleitung in Bremen, bei der Polizistin Liv Moormann (Jasna Fritzi Bauer) und BKA-Ermittlerin Linda Selb (Luise Wolfram) zur Leiche des Arztes Dr. Björn Kehrer (Markus Knüfken, Bittere Mandeln) gerufen werden, wechselt der Schauplatz nach Kopenhagen und wir werden in untertitelten Sequenzen Zeuge dessen, wie ihr dänischer Kollege Mads Andersen (Dar Salim) ein Jobangebot seines Kollegen Aksel Laudrup (Henrik Vestergaard) ablehnt. Anschließend wird er auf einem Friedhof von dem rachedurstigen Jugendlichen Adil Helveg (Issa Khattab) überfallen und bis nach Bremen von ihm verfolgt.

In direktem Zusammenhang zum Mordfall steht der lange Zeit undurchsichtige, aber selten mitreißende Nebenschauplatz allerdings nicht: Erst auf der Zielgeraden wird mühsam eine Verbindung zwischen den Handlungssträngen hergestellt – es ist nur ein Beispiel dafür, wie konstruiert sich die Geschichte diesmal gestaltet. Dass Andersen direkt nach seiner Ankunft wie selbstverständlich bei den Ermittlungen im Kehrer-Fall mitanpackt, macht das Ganze nicht glaubwürdiger – von seinen beiden Kolleginnen, die den Kanarienvogel des Mordopfers im Präsidium einquartieren, wird er dennoch herzlich in Empfang genommen.


ANDERSEN:
Ihr habt einen Vogel.

MOORMANN:
Wollte ihn Mads nennen.

SELB:
Piep-Mads.

ANDERSEN:
Schlechte Witze. Das hab' ich vermisst.


Der Humor kam schon im sehenswerten Vorgänger Neugeboren nicht zu kurz – und auch in Und immer gewinnt die Nacht, bei dem kein Geringerer als der kinoerprobte Filmemacher Oliver Hirschbiegel Regie führt (sein dritter Tatort nach Kinderspiel und Ostwärts aus den 90er Jahren), holen die glänzend harmonierenden Ermittler mit trockenem Dialogwitz und mal mehr, mal weniger subtiler Situationskomik wieder die Kohlen aus dem Feuer. Sie retten den Tatort trotz des enttäuschenden Kriminalfalls ins Mittelmaß.

Verdächtige gibt es ein halbes Dutzend, doch schenken ihnen die Filmemacher selten gesteigerte Aufmerksamkeit: Die Aktivistinnen Ann Gelsen (Anna Bachmann) und Vicky Aufhoven (Franziska von Harsdorf) etwa haben sich aufs Containern spezialisiert und greifen den Armen der Stadt unter die Arme – doch gerade Vickys Gefühlswelt wird nur zu Beginn näher beleuchtet. Die beiden leben den Moment und ihre Liebe, statt sich unterzuordnen – viel mehr müssen wir über den rebellischen Geist und den unerschütterlichen inneren Antrieb des lesbischen Pärchens offenbar nicht wissen.

Über Vickys Eltern Charlotte (Karoline Eichhorn, Murot und das Prinzip Hoffnung) und Claas-Heinrich Aufhoven (Ernst Stötzner, Der wüste Gobi) und ihre heruntergewirtschaftete Zigarrenfirma erfahren wir kaum mehr: Dass ein traditionsreiches Familienunternehmen reizvollen Stoff für einen Sonntagskrimi bergen kann, haben Fälle aus Weimar oder der Saarbrücker Tatort Das fleißige Lieschen bewiesen – hier gerät das Ganze aber ähnlich dünn wie in der vielkritisierten Zürcher Folge Schoggiläbe und verlässt nicht einmal das private Domizil der Aufhovens. Immerhin: BKA-Ermittlerin Selb, die Moormann und Andersen nach Feierabend in ihrem Tiny House bekocht, darf genüsslich an einer Zigarre ziehen und über Aromen fachsimpeln – ein köstlicher Moment. 

Überhaupt stiehlt Selb erneut viele Szenen – die Frau macht mit ihrer fast autistischen Art einfach einen Heidenspaß. Für die weiteren Handlungsstränge, die im 1181. Tatort wenig Durchschlagskraft entfalten, gilt das weniger: Während sich Andersen auf einem Frachter in bester B-Action-Movie-Manier eine wilde Rauferei mit der russischen Besatzung des wenig zimperlichen Kapitäns Sergej Paljukin (Nicolas Garin, Borowski und der Engel) liefert und um sein Leben fürchten muss, fühlen Moormann und Selb der alleinerziehenden Krankenschwester Kirsten Beck (Lisa Jopt, Inferno) auf den Zahn, die sich – so viel Klischee muss sein – in ihren ermordeten Chef verliebt hatte.

Unterm Strich bleibt nach dem Abspann wenig hängen – denn auch die konstruierte Auflösung der Täterfrage, die den spannungsarmen Whodunit am Leben hält, fällt mit Blick auf den Cast so vorhersehbar aus, wie wir es in der Krimireihe – nun ja – schon unzählige Male erlebt haben. Bleibt zu hoffen, dass Moormann und Selb bei ihrem dritten Fall (bei dem sie auf Andersens Dienste verzichten müssen) wieder mit einem überzeugenderen Drehbuch gesegnet sind.

Bewertung: 5/10



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