Folge: 1183 | 26. Dezember 2021 | Sender: NDR | Regie: Detlev Buck
Atlantisch-hanseatisch.
Denn in diesem Tatort gibt es an einem ganz besonderen Ort ein Wiedersehen mit einem Musiker, der nicht nur in der Originalversion der über 50 Jahre alten Tatort-Titelmusik von Klaus Doldinger das Schlagzeug spielt, sondern bereits im Tatort Kneipenbekanntschaft von 1974 einen kurzen Gastauftritt hatte: Panikpräsident und Deutsch-Pop-Rocker Udo Lindenberg steuert den Soundtrack zum Weihnachtstatort 2021 bei und lädt das TV-Publikum zudem in sein Hamburger Wahl-Zuhause ein.
Alles kommt zurück spielt zu großen Teilen im berühmten Hotel Atlantic an der Außenalster – jenem Gründerzeitbau also, in dem Lindenberg seit den 90er Jahren eine Suite bewohnt und in den es 1997 auch den Geheimagenten Ihrer Majestät verschlug. Im Tatort ist es die eigentlich in Göttingen beheimatete Ex-LKA-Ermittlerin Charlotte Lindholm (Maria Furtwängler), die aus der niedersächsischen Provinz nach Hamburg reist, um sich im Atlantic mit einem Mann zu einem Sex-Date zu treffen – und die ihren Augen nicht traut, als ihr Liebhaber nachts tot im Hotelbett liegt und sie mit blutigen Händen zur Hauptverdächtigen wird.
Der vermeintliche Clou: Im Hotel findet gerade ein Udo-Lindenberg-Doppelgänger-Treffen statt – und weil Lindholm, die auf die Unterstützung ihrer Göttinger Kollegin Anaïs Schmitz (Florence Kasumba) verzichten muss, in unmittelbarer Nähe zum Tatort nicht nur eine junge Frau, sondern auch den Musiker selbst wahrgenommen haben will, könnte eines seiner vielen Dutzend Ebenbilder der Täter sein. Der Auftakt zu einem cleveren Verwirrspiel, bei dem die Kommissarin die Nadel im Heuhafen finden muss, um sich selbst zu entlasten?
Mitnichten.
Drehbuchautor Uli Brée (Glück allein) und Regisseur Detlev Buck, der im Film eine witzlose Rolle als Zuhälter "Einstein"übernimmt, arrangieren eine verunglückte Kombination aus klassischem Krimi, pseudokultiger Kiezgroteske und kitschiger Kripo-Romanze. Dabei sind die guten Ansätze in dieser hanebüchen zusammengeschusterten Nummernrevue durchaus da: Zu den Lichtblicken zählt etwa der Ausflug in eine schummerige Karaoke-Bar auf der Reeperbahn, in der Lindholm mit dem Aufreißer Jimmy (Kida Khodr Ramadan, Borowski und der Fluch der weißen Möwe) und dem Barkeeper zwei Bekannte ihres ermordeten Liebhabers kennenlernt.
LINDHOLM:
Wo ist denn hier 'ne Toilette?
BARKEEPER:Für Mutige da hinten. Der Rest geht zu Hause.
Wirklich gelungene Momente wie dieser lassen sich leider an einer Hand abzählen – ansonsten wird man den Eindruck nie los, dass Alles kommt zurück vor allem als reichweitenstarke PR-Nummer für Udo Lindenbergs Kompilation "Udopium - Das Beste" gedreht wurde. Nicht von ungefähr war Maria Furtwängler, die erstmalig als Produzentin einer Tatort-Folge fungiert und 2018 den Song Bist du vom KGB? mit Lindenberg aufnahm, in ihrer Rolle als Charlotte Lindholm auch im Musikvideo zur Single-Auskopplung Kompass zu sehen, die im Film performt wird – der Publicity hat es sicher nicht geschadet.
Für den Krimi ist die gesamte Udo-Nummer allenfalls musikalisch eine Bereicherung – die reizvolle Doppelgänger-Idee hingegen wird schon nach ein paar amüsanten Auftaktbildern wieder fallen gelassen. Lindenberg selbst ist lange Zeit gar nicht im Film zu sehen, ehe er mit drei Zeilen Sprechtext und wenigen Minuten Kamerazeit bedacht wird und zumindest das tut, was er am besten kann: singen.
Eine herbe Enttäuschung ist der Tatort aber auch unabhängig von dem ganzen PR-Brimborium: Mit Ruben Delfgau (Jens Harzer) und Jana Zimmermann (Anne Ratte-Polle) installieren die Filmemacher zwei Ermittler, die immer wieder in den Hintergrund rücken – weil sich im Tatort mit Charlotte Lindholm eben alles um Charlotte Lindholm drehen muss. Da dürfen die obligatorischen Badezimmer-Aufnahmen ebenso wenig fehlen wie die Romanze: Delfgau verguckt sich natürlich gleich in die attraktive Göttinger Kollegin, die sich in der Hotellobby in einer zum Fremdschämen schlechten Szene mit dem Rücken zur Kamera vor ihm entblößt, um sich später nach dem Sex im Hotelzimmer prüde in eine Bettdecke zu wickeln. Von den 47 Pressebildern der ARD zeigen über 40 Maria Furtwängler und/oder Udo Lindenberg, aber kein einziges Kida Ramadan.
Während Delfgaus Figur nicht zuletzt die erstklassige Performance des Iffland-Ringträgers Jens Harzer (Amour fou) rettet, muss Anne Ratte-Polle (Masken) eine egozentrische Cholerikerin spielen – das ist nicht nur hoffnungslos überzeichnet, sondern auch ziemlich anstrengend. Positiv ins Gewicht fällt dafür der Brückenschlag zum Tatort Der Fall Holdt, der Lindholm 2017 ihre Strafversetzung einbrachte: In Alles kommt zurück trifft sie mit Jonas Holdt (Lukas Zumbrock) erstmalig den Sohn des Mannes, den sie einst in den Selbstmord trieb.
Auch für diese Begegnung und die überkonstruierte, in einem unfreiwillig komischen Finale gipfelnde Auflösung des verkorksten PR-Krimis, in den die Filmemacher zu allem Überfluss noch völlig uninspirierte Shining- und Titanic-Momente quetschen, hätte es Udo Lindenberg und seine zahlreichen Doppelgänger nicht im Geringsten gebraucht – und so ist der letzte Tatort in 2021 leider auch der schwächste des Jahres.
Bewertung: 3/10
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📝 So war der Vorgänger: Kritik zum Münchner Tatort "Wunder gibt es immer wieder"