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Channel: Wie war der Tatort?
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Liebeswut

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Folge: 1202 | 29. Mai 2022 | Sender: Radio Bremen | Regie: Anne Zohra Berrached
Bild: Radio Bremen/Claudia Konerding
So war der Tatort:

Diabolisch.

Nach den leuchtend roten, dröhnend vertonten Opening Credits dieses spektakulären Krimis suchen die Bremer Ermittlerinnen Liv Moormann (Jasna Fritzi Bauer) und Linda Selb (Luise Wolfram) bei ihrem dritten gemeinsamen Einsatz nämlich den Teufel höchstpersönlich – zumindest, wenn man den rätselhaften Botschaften glaubt, die eine Frau in einem ebenfalls roten Hochzeitskleid vor ihrem Tod an die Wände ihres Schlafzimmers gekritzelt hat.

DER TEUFEL SPRICHT ZU IHNEN DURCH DIE WENDE [sic!] und weitere beunruhigende Sätze stehen dort geschrieben. Doch wo versteckt er sich, der Teufel? Wo sind die zwei Kinder, die die Verstorbene von der Schule abholen sollte? Und was treibt eigentlich der dänische Kollege Mads Andersen (Dar Salim), der in Liebeswut fehlt und Moormann und Selb bei den ersten zwei Fällen (Neugeboren, Und immer gewinnt die Nacht) unter die Arme griff?

Zumindest die letzte dieser drei Fragen beantwortet Drehbuchautorin Martina Mouchot, die nach Märchenwald von 2004 und Pauline von 2006 zum dritten Mal ein Skript für die Krimireihe geschrieben hat, schon bei der Tatortbesichtigung in aller Klarheit: Andersen weilt auf Dienstreise. Eine Rückkehr des beim TV-Publikum beliebten Dar Salim zum Bremer Tatort schließt das zumindest nicht aus (mehr dazu in unserem Drehspiegel).

Die Klärung der anderen beiden Fragen – und natürlich der, ob sich Susanne Kramer (Ilona Thor) selbst die Kugel gab oder erschossen wurde – gestaltet sich deutlich verzwickter. Sie sind die Antriebsfedern des schrill inszenierten Gruselkabinetts, bei dem Regisseurin Anne Zohra Berrached (Das kalte Haus) keine Gefangenen macht. Klassisch ist in diesem wild arrangierten, grell colorierten Parforceritt, dessen Thrill bisweilen an die Dresdner Schocker Das Nest und Parasomnia erinnert, nämlich nur die einleitende Kontroverse: Während die mürrische Moormann von Suizid ausgeht, fängt die gewohnt großartige Selb direkt Feuer.


SELB:
Warum willst du den Fall nicht?

MOORMANN:
Warum willst du unbedingt einen draus machen?

SELB:
Weil der Gegner der Teufel ist. Und der ist nie satt, wenn's um den Tod geht.


Die 1202. Tatort-Folge, und das ist durchaus typisch für die oft eigenwilligen Beiträge von Radio Bremen, ist ansonsten alles andere als ein gewöhnlicher Sonntagskrimi, der nur bewährten Mustern folgt. Liebeswut ist vielmehr eine hochklassig besetzte, doppelbödig (bzw. doppelwändig) arrangierte und unheimlich finster inszenierte Kreuzung aus elektrisierendem Horrorthriller, wuchtiger Milieugroteske und satirisch angehauchtem Sozialdrama. Das muss man auf diesem Sendeplatz erst einmal aushalten – und in Etappen verdauen.

Allein die maßlos überzeichneten, grandios gespielten Nebenfiguren sind aber schon das Einschalten wert: Allen voran brilliert Aljoscha Stadelmann (Borowski und das Glück der Anderen), der mit Anne Zohra Berrached schon bei ihrem ersten Tatort Der Fall Holdt zusammenarbeitete, im dreckverschmierten Unterhemd als bemerkenswert abgefuckter, ewig am Eis lutschender Nachbar Gernot Schaballa, dessen Maurerdekolletee dem Publikum schon bei der ersten Szene ins Gesicht springt. Ein denkwürdiger Auftritt, aber auch ein Auftritt an der Grenze des Erträglichen.

Aber da ist auch die herrlich naive Nachbarin Jaqueline Deppe (Milena Kaltenbach, Die Kalten und die Toten), die mit dem getrennt lebenden Mann der Ermordeten Zwillinge erwartet. Sie würde allein wohl nicht mal einen Goldfisch durchbringen. Ihr Lover Thomas Kramer (Matthias Matschke, Der treue Roy) bleibt lange die Unbekannte des Films, während der pädophile Klischee-Hausmeister Joachim Conradi (Dirk Martens, Schlangengrube) als schwächste Figur stets ausrechenbar bleibt und sein Schicksal früh zu erahnen ist.

Ansonsten schlägt das Drehbuch aber zahlreiche Haken – und leider auch manchen zu viel. Auf den zweiten Blick fehlt der Geschichte auch die Glaubwürdigkeit, und vor allem dem dünnen Tatmotiv, das sich erst auf der Zielgeraden offenbart, mangelt es spürbar an Substanz. Die ausufernde Optik, die grotesken Figuren und das David-Lynch-ähnliche Arrangement aus Wahrheit, Witz und Wahnsinn erdrücken den Kriminalfall förmlich. Dass die Filmemacher Moormann eine persönliche Vorgeschichte andichten, die in Zusammenhang zum Ekel-Nachbar Schaballa steht, wirkt da besonders überambitioniert.

Angesichts der steilen Spannungskurve und des grandiosen Ästhetikfeuerwerks sind diese Mängel für hartgesottene Zuschauer aber zu verschmerzen: Der Film macht den Abstrichen zum Trotz einfach einen Heidenspaß. Und so setzt das junge Bremer Team mit diesem düster-irritierenden Genremix und einem Großangriff auf die Sehgewohnheiten des Stammpublikums ein erstes Ausrufezeichen – da bleibt das Fehlen von Dar Salim am Ende nur eine Fußnote.


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