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Channel: Wie war der Tatort?
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Das Tor zur Hölle

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Folge: 1211 | 2. Oktober 2022 | Sender: ORF | Regie: Thomas Roth
Bild: ARD Degeto/ORF/Film 27/Hubert Mican
So war der Tatort:

Höllisch schlecht.

Das Tor zur Hölle fühlt sich nämlich über weite Strecken wie ein vier Wochen zu früh ausgestrahlter, schlechter Halloween-Streich an: Auf einer surrealen, ohnehin kaum machbaren Gratwanderung zwischen bierernstem Whodunit, finsterem Exorzismus-Schocker und leichter Sonntagabendunterhaltung verlieren die Filmemacher um Regisseur und Drehbuchautor Thomas Roth (Wahre Lügen) schon nach einer knappen halben Stunde gänzlich die Balance.

Die Wiener Ermittler Moritz Eisner (Harald Krassnitzer) und Bibi Fellner (Adele Neuhauser), die diesmal auf ihre Assistentin Meret Schande (Christina Scherrer) verzichten müssen, irrlichtern durch eine missglückte Krimi-Variation, die schon in ihrer rätselhaften Eröffnung einen Vorgeschmack auf die weitere Gangart gibt: Wir sehen die junge Bibi (Lotte Burger) als personifizierte Unschuld im weißen Kleid durchs Haus ihrer Tante schleichen und ihre Verwandten bei einem geheimnisvollen Ritual entdecken. Im nächsten Moment baumelt hinter ihr eine Leiche durchs Bild. Oh Schreck. Und Schnitt.

Später klärt sich: Das Ganze ist ein Alptraum, der die Majorin seit ihrer Zeit bei der Sitte verfolgt – und auch der Rest dieser Tatort-Folge hat über weite Strecken etwas Alptraumhaftes. Jump-Scares und Fingerübungen aus der Horror-Trickkiste haben 2020 im vielgelobten Dresdner Beitrag Parasomnia hervorragend funktioniert, der 1211. Tatort hingegen erinnert eher an das gefloppte Frankfurter Horror-Experiment Fürchte dich von 2017. Nicht einmal die sonst so starken Hauptfiguren um Eisner, Fellner und ihren diesmal recht handzahmen Vorgesetzten Ernst Rauter (Hubert Kramar) können die absurde Geschichte retten.

Nach dem obligatorischen Auftaktmord an einem Prälaten, der vermeintlich Besessenen den Teufel ausgetrieben hat, sind die Ermittler nur Gefangene eines gewagten, aber alles andere als überzeugenden Drehbuchs voller müder Wortwitze ("Bei uns ist die Hölle los!"). Statt einer Begegnung mit Publikumsliebling Inkasso-Heinzi (Simon Schwarz) befragen sie Fellners früheren Bekannten Günther Dambusch (stark: Roland Düringer), der sich intensiv mit Exorzismus auseinandersetzt und wertvolle Hinweise liefern kann. Wo Das Tor zur Hölle steht, dem dieser Austro-Tatort seinen Titel verdankt, weiß Dambusch allerdings auch nicht so genau.


DAMBUSCH:
Das Tor zur Hölle kann nur jemand finden, der daran glaubt, dass es existiert. Sonst würden sie da schon längst Mozartkugeln verkaufen.


Eine Weile liefert der Tatort passable Krimi-Unterhaltung, denn er beginnt – blenden wir die Auftaktsequenz aus – als geerdeter Whodunit: Dem Auffinden des toten Prälaten und Erkenntnissen von Rechtsmediziner Werner Kreindl (Günter Franzmeier) folgen die üblichen Befragungen im Umfeld des Toten. Und die übliche Geheimniskrämerei: Vom zugeknöpften Erzdiözese-Pressesprecher Wilfried Schüssler (Markus Schleinzer, Virus) und dem kühlen Kaplan Raimund (Lukas Watzl, spielte im eine Woche zuvor ausgestrahlten Murot und das Gesetz des Karma ebenfalls eine Nebenrolle) ist ebenso wenig Hilfe zu erwarten wie von Theologie-Professorin Tea Berkovic (Angela Gregovic,Deckname Kidon), die ihre Dissertation über Exorzismus geschrieben hat.

Es folgen: Die obligatorische Verfolgungsjagd, hier: durch ein Treppenhaus. Blutstropfen an einer Fensterscheibe, die die flüchtende Gestalt in Schwarz hinterlässt. Und wenig aufregende, paranormale Phänomene in Fellners Wohnung, die offenbar mit ihrem Alptraum in Verbindung stehen. Und dann folgt: der wohl denkwürdigste Auftritt der jüngeren Tatort-Geschichte.

Die offenbar vom Teufel besessene Nathalie (Maresi Riegner, spielte wenige Monate zuvor im Münchner Tatort Wunder gibt es immer wieder ironischerweise eine angehende Nonne) ernährt sich am liebsten von Hundefutter (!) und hat sich beim ermordeten Geistlichen und dem Psychotherapeuten August Sittsam (Sven Eric Bechtolf, Der schwarze Skorpion) in Behandlung begeben. Als die Ermittler ihr auf die Pelle rücken und sie das erste Mal mit verzerrter Dämonenstimme "DU FOTZE! FICK DICH!" durchs Präsidium brüllt, ist es dann um den Film und jeden Realitätsanspruch geschehen: Das ist Der Exorzist für Arme, das ist das Tatort-Pendant zur 12-jährigen Regan (Linda Blair), die in den 70er Jahren mit obszönen Verbalattacken und kolossaler Kotzerei Kinogeschichte schrieb.

Hier wirkt das leider nicht furchteinflößend, sondern unfreiwillig komisch – was auch daran liegt, dass die Filmemacher keinen stringenten Erzählton finden. Was uns im einen Moment erschrecken soll, wird schon im nächsten ironisiert. Der Tatort konterkariert sich selbst. Da nützt es wenig, dass Eisner die Teufel-und-Tor-Theorie zunächst skeptisch sieht; irgendwann nimmt auch er alles Übernatürliche für bare Münze. Und dass es einleitend heißt: "Nach Aufzeichnungen des Wiener Kriminalbeamten Emil R.". Eine abstruse Geschichte, die auf Aufzeichnungen basiert, bleibt eine abstruse Geschichte.

Man muss mutige Tatort-Experimente – dieses Wortspiel sei gestattet – nicht gleich verteufeln, zumal die ARD sie nach heftiger Kritik reduziert hat. Aber sie können auch scheitern. In Wien hat man das in dieser Extremform noch nicht erlebt – und so ist Das Tor zur Hölle nicht nur der ausgefallenste, sondern auch der mit Abstand schlechteste Eisner-Tatort.

Bewertung: 2/10




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