Folge: 1224 | 29. Januar 2023 | Sender: SR | Regie: Kerstin Polte
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Bild: SR/Manuela Meyer |
So war der Tatort:
Wild.
Denn der Saarbrücker Tatort Die Kälte der Erde, der beim 44. Filmfestival Max Ophüls Preis und bei einer liebevoll arrangierten Preview im Ringtheater in Saarlouis seine Vorpremiere feierte, wirkt über weite Strecken wie ein furioser Industrie-Western – und klingt mit seinem überhöhten Martial-Arts-Finale fast genauso wild aus, wie er beginnt.
Schon in den Auftaktminuten des vierten Krimis mit den Hauptkommissaren Adam Schürk (Daniel Sträßer) und Leo Hölzer (Vladimir Burlakov) sowie ihren Kolleginnen Esther Baumann (Brigitte Urhausen) und Pia Heinrich (Ines Marie Westernströer) knacken die Knochen und spritzt das Blut: Drehbuchautorin Melanie Waelde und Regisseurin Kerstin Polte, die beide zum ersten Mal für die Krimireihe am Ruder sitzen, werfen uns direkt hinein in ein "Ackermatch". Eine brutale, aber festen Regeln folgende Prügelei unter Hooligans, die sich nach dem Lokalderby zwischen Saarbrücken und Kaiserslautern im Hof einer Industriebaracke die Fresse polieren. Was für ein Auftakt!
Und noch bevor einer der Hools als obligatorischer Auftakttoter nach einer verbotenen Messerattacke sein Leben lässt, lernen wir eine Frau kennen, die sich im blauen Farbton ihres Lieblingsvereins frisiert und in der vermeintlichen Männerwelt munter mitmischt: Die exzentrische Alina Barthel (überragend: Bineta Hansen) macht bei der dritten Halbzeit keine Gefangenen und prügelt sich wie eine Berserkerin durch diesen Krimi. Das aggressive Schwergewicht, das sich zu Hause liebevoll um Töchterchen Stella (Finja Leonie Meyer) kümmert, ist der faszinierende, aber auch anstrengende Dreh- und Angelpunkt einer stellenweise rasant inszenierten Tatort-Folge, deren Actioneinlagen Leinwandniveau ausstrahlen.
Kriminalfall und Horizontale können mit dieser tollen Optik allerdings nicht mithalten. Da ist ja nicht nur der Mörder, der überführt werden will. Da ist auch die folgenübergreifende Backstory, die im 1224. Tatort weitererzählt wird: Mit dem Tod von Schürks sadistischem Vater Roland (Torsten Michaelis) hat sie 2022 ein Herzstück verloren, das spürbar fehlt. So bringt sie nicht mehr ganz die Brisanz mit, die Das fleißige Lieschen, Der Herr des Waldes und Das Herz der Schlange auszeichneten. In welche Richtung sich das Ganze entwickelt, ist zudem früh ablesbar: Während Baumann ihre Fußballleidenschaft im Büro erst verschweigt und als Figur an Profil gewinnt, behält Schürk für sich, dass sich die üppige Beute aus dem Bankraub seines Vaters in seinem Besitz befindet.
HEINRICH:Findest du das nicht irgendwie komisch? Dass die uns das nie erzählt hat?SCHÜRK:Jeder Mensch hat sein Geheimnis.
Der Saar-Tatort stellt die Vertrauensfrage: Es geht um Vertrauen unter Kommissarinnen und Kommissaren, vor allem um das angeknackste Vertrauensverhältnis der Jugendfreunde und Gemeinschaftstäter Schürk und Hölzer, deren Beziehung fast etwas Toxisches gewinnt. Schon der Knastbesuch bei Schürks Onkel Boris Barns (Stephan Bissmeier) lässt bei Hölzer die Warnlampen aufleuchten. Und auf der Zielgeraden des Krimis, der erneut in einem Cliffhanger gipfelt, ist das Tischtuch zerschnitten. Schürk trägt daran die Schuld – und es scheint ihm herzlich egal zu sein.
Momente wie diese lassen nicht kalt, was man nicht von allen Handlungssträngen behaupten kann: Besonders die Ermittlungen in der Fußballszene, in der der angebliche Hardcore-Fan Baumann eher wie ein distanzierter Fremdkörper wirkt, gewinnen dem schwierigen Milieu wenig Neues ab. Auch fehlt hier und da die Authentizität: Dass penibel auf den echten Namen des saarländischen Hauptstadtclubs verzichtet wird, wurde in der Krimreihe schon anders gelöst (vgl. Mord in der ersten Liga) und mancher Dialog in der vielbesuchten Fan-Kaschemme klingt künstlich ("Der Schiri hat uns einen Elfer gegeben, wo der keinen Elfer geben musste.").
Wie so oft in Themenkrimis liegen das dünne Tatmotiv und der vorhersehbare Schlüssel zur Auflösung aber ohnehin woanders: Die Ermittlungen drehen sich viel um die Vaterschaft von Stellas Erzeuger, die homosexuellen Pflegeeltern Dr. Friedemann (Till Butterbach, Die goldene Zeit) und Carlos Lech (Alexander Prince Osei), die Stalking-Aktivitäten des Opfers und die Rache des einäugigen Raufbold-Rivalen Remy Pontier (Tamer Tahan). Vor allem aber konzentriert sich fast alles auf die aufbrausende Alina Barthel, die uns in ihrer Exzentrik, ihrer Hau-Drauf-Mentalität und ihrer Mutterrolle bis zum Schluss ein Rätsel bleibt. Wer ist diese Frau? Was treibt sie an? Und wie wurde sie zu der, die sie ist?
Fragen wie diese bleiben unbeantwortet, was wenig daran ändert, dass die frühere Junior-Boxmeisterin Bineta Hansen (Borowski und die Sterne) in ihrer Rolle eine immense Präsenz hat und zu großer Form aufläuft. Im Vergleich zu den drei Vorgängern bleibt der vor und hinter der Kamera bewusst divers besetzte Die Kälte der Erde dennoch ein gutes Stück zurück.
Bewertung: 6/10
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