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Channel: Wie war der Tatort?
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MagicMom

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Folge: 1227 | 5. März 2023 | Sender: WDR | Regie: Michaela Kezele
Bild: WDR/Bavaria Fiction GmbH/Thomas Kost
So war der Tatort:

Mütterlich.

Denn bei ihrem 43. Tatort-Einsatz ermitteln der knurrige Hauptkommissar Frank Thiel (Axel Prahl) und der eitle Professor Karl-Friedrich Boerne (Jan Josef Liefers) in der Welt der Momfluencerinnen – nach Aufmerksamkeit und monetärer Entlohnung gierenden Frauen also, die ihre Follower in den sozialen Medien an ihrem Dasein als Mutter teilhaben lassen. Aber hat der Münster-Tatort über das Gebaren dieser Influencerinnen auch etwas Neues zu erzählen?

Leider nicht. Drehbuchautorin Regine Bielefeldt, die zum ersten Mal ein Skript zur Krimireihe beisteuert, gewinnt der glitzernden Scheinwelt und den Machenschaften der Menschen, die durch Werbung, Verschwörungserzählungen oder Product Placement Millionen verdienen können, in MagicMom wenig neue Aspekte ab. Auf Instagram & Co. wird nicht nur geshared und geliked, sondern auch getrickst und gestalkt, gehated und gefaked, gehetzt und verletzt. Ach echt?

Hinlänglich bekannt und auch in Tatort-Folgen wie Heile Welt, Level X oder Katz und Mausschon thematisiert. Die schlecht gealterten Figuren aus Münster, allen voran den immer weniger erträglichen Boerne, auf ein solch digitales und modernes Thema loszulassen, geht erwartungsgemäß schief, dabei beginnt der Tatort vielversprechend: Die titelgebende "MagicMom" Evita Vogt (Laura Louisa Garde) dreht gerade ein Selfie-Video vorm Ringlicht, als die Momfluencerin der Erstickungstod ereilt – wunderbar drastisch dokumentiert für die Nachwelt.

Was folgt, ist die übliche westfälische Nummernrevue: Hauptfiguren, die nur noch Karikaturen ihrer selbst sind, Sidekicks wie Herbert "Vattern" Thiel (Claus Dieter Clausnitzer) und Silke "Alberich" Haller (Christine Urspruch), die seit 21 Jahren für die gleichen Kiffer-und-Kleinwuchs-Kalauer herhalten, und wieder irgendein neuer Verwandter. Diesmal ist es Titus (Casper Gold), der Neffe von Staatsanwältin Wilhelmine Klemm (Mechthild Großmann), der im Dosenwurfduell mit Boerne unterliegt. Wieder und wieder trifft man sich in diesem Film auf einem Straßenfest – wahrscheinlich wurden sämtliche Szenen am selben Tag gedreht und einfach über 90 Minuten verteilt.

Was MagicMom nicht nur zu einem schwachen Tatort, sondern zu einem anstrengenden Ärgernis macht, sind aber seine gleichsam verkrampften wie diskriminierenden Beiträge zu den ohnehin schon aufgeheizten Geschlechter- und Diversitätsdebatten: Es nützt wenig, wenn Assistent Mirko Schrader (Björn Meyer), den Thiel "Schraderchen" nennt, sein Outing als queerer Mensch feiert und Klemm die Suche nach einem Sensibilitätsbeauftragten ausruft, es aber gleichzeitig von frauenverachtenden Macho-Sprüchen, homophoben Nebensätzen und steinzeitlichem Gender-Bashing nur so wimmelt.


BOERNE:
Meine Favoritin für den Posten der Sensibilitätsbeauftragten ist ganz klar Frau Haller.

HALLER:
Ich trau mich kaum zu fragen, warum.

BOERNE:
Ist doch selbstverständlich, liegt doch auf der Hand: Frau Haller ist immer klein, Herr Schrader ist nur nach Feierabend schwul.

THIEL:
(lacht)


Ob man wie Thiel über solche Sprüche und müde Wortwitze wie "Boerner" oder "Boerne-Out" lachen kann, muss jeder für sich selbst entscheiden – der Autor dieser Zeilen kann es schon lange nicht mehr. Auch sonst ist der 1227. Tatort ein Feuerwerk der Witzlosigkeiten: Während man Thiel das Wort Beef erklären muss, äfft Boerne wie ein Fünfjähriger Tierlaute nach und hampelt als Erklärbär in Reels herum, statt seine Expertise einfach ganz normal einzubringen. Besonders alberne Einlagen wie diese gab es in den letzten Jahren häufiger, man denke nur zurück an Es lebe der König! und seinen zum Fremdschämen einladenden Tanz in der Ritterrüstung. Tatort-Kollege Til Schweiger bezeichnete das jüngst als "Kasperletheater"– man mag ihm hier nicht widersprechen.

Nichts an diesem Tatort wirkt echt, entsprechend kalt lassen die schwachen Nebenfiguren, die im Münster-Tatort immer häufiger mit Vorabenddarstellern besetzt werden: Die mit gezinkten Karten spielende Influencer-Konkurrentin Sabine "BusyBine" Hertweck (Agnes Decker), die neidische Nachbarin Thekla Cooper (Monika Oschek), der Ehemann Moritz Vogt (Golo Euler, Rettung so nah) mit dem absolut wasserdichten Alibi – wer 1 und 1 zusammenzählen kann, wird die Auflösung der Täterfrage meilenweit im Voraus erahnen. Substanzlose Figuren wie Boernes neue Putzfrau Frau Escobar (Perissa Büschi) oder die Studentin Emmalotta Suhr (Yvonne Pferrer) dienen als Stichwortgeberinnen allein dazu, den nächsten müden Boerne-Gag vorzubereiten.

Die finale, altbacken arrangierte Verfolgungsjagd durch die Altstadt bewegt sich unter Regie von Tatort-Debütantin Michaela Kezele ebenfalls auf Vorabendniveau, doch immerhin: Für ein cleveres Smart-Home-Indiz zur Überführung des Täters hat es in dieser missglückten und erneut spannungslosen Krimikomödie gereicht. Auch der Slapstick hält sich in Grenzen. Ganz so katastrophal wie Propheteus oder Das Wunder von Wolbeck ist MagicMom damit unterm Strich nicht geworden. Im Jahr 2023 ist der Münster-Tatort dennoch ein Schatten früherer Tage – und mit jeder weiteren Folge verfestigt sich der Eindruck, dass der richtige Zeitpunkt zum Aufhören schon Jahre zurückliegt.

Bewertung: 3/10




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