Folge: 1228 | 12. März 2023 | Sender: BR | Regie: Katharina Bischof
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Bild: BR/Tellux Film GmbH/Hendrik Heiden |
So war der Tatort:
Viergeteilt.
Denn der 91. Fall der Münchner Hauptkommissare Ivo Batic (Miroslav Nemec) und Franz Leitmayr (Udo Wachtveitl), die bei den Ermittlungen einmal mehr von ihrem Kollegen Kalli Hammermann (Ferdinand Hofer) und Rechtsmediziner Dr. Steinbrecher (Robert Joseph Bartl) unterstützt werden, lässt sich in vier etwa gleich lange Teile mit unterschiedlichen erzählerischen Schwerpunkten einteilen – und Teil 1 ist dabei der konventionellste.
Der 1228. Tatort beginnt nämlich als klassischer Whodunit: In einer Hochhaussiedlung im Münchner Hasenbergl kommt der Frauenschwarm Adam Moser (Tolga Türk) auf perfide Weise zu Tode. Er wird bei der nächtlichen Fahrt auf seinem Motorrad mit einem Laserpointer geblendet und verunglückt. Weil der Täter oder die Täterin auf einem Balkon oder in einem nahegelegenen 24/7-Fitnessstudio gestanden hat, ist der Kreis der Verdächtigen entsprechend riesig – reduziert sich aber schon bald auf die in der Krimireihe übliche Handvoll.
Das vergleichsweise harmlose Auftaktviertel wartet zudem mit einem prominenten Gaststar auf: Fußballnationalspieler Joshua Kimmich ist als Fitnesstrainer Kenny zu sehen und versorgt Kalli Hammermann bei dessen Stippvisite in der Muckibude direkt mit einem grünen Smoothie. Anschließend taucht er mehrfach in Fitnessvideos auf – ein sympathischer Kurzauftritt, der auch schauspielerisch ansprechender ausfällt als die legendären Gastspiele seiner Vorgänger Berti Vogts 1999 im Hamburger Tatort Habgier (Video hier) oder Jogi Löw, Oliver Bierhoff und Theo Zwanziger im desaströsen Ludwigshafener Tatort Im Abseits von 2011 (Video hier).
Ab Minute 20 ist in diesem Tatort aber Schluss mit der Gemütlichkeit und Routine: Dann nämlich lernen wir mit dem rabiaten Wutbürger Johannes Bonifaz Hackl (Burghart Klaußner, Schatten), der als Bewohner einer Hochhauswohnung als Täter infrage kommt, die Schlüsselfigur kennen, der diese Tatort-Folge ihren markanten Titel verdankt. Ehe Batic und Leitmayr Hackl (mit Dackel) in seinem Schrebergarten besuchen, treffen sie die Nachbarinnen Sandra Mittermeier (Carolin Conrad) und Ulli Weber (Hanna Scheibe, Die Liebe, ein seltsames Spiel), die wenig Konkretes über das gewalttätige Ekelpaket zu berichten wissen.
LEITMAYR:Kennen Sie ihn näher?MITTERMEIER:Den kennt doch jeder. Und dann doch keiner.
Drehbuchautorin Dagmar Gabler (Wir - Ihr - Sie) und Regisseurin Katharina Bischof (Luna frisst oder stirbt) bringen mit Hackl eine faszinierende, wenn auch anstrengende Figur zu voller Blüte: Der Widerling beißt und kratzt, pöbelt und spuckt, sobald man ihm zu nahe kommt. Seine Abneigung gegen die Polizei ist tief verwurzelt. Er erinnert an militante Verschwörungserzähler oder radikale Reichsbürger, ist aber vor allem ein verbitterter Einzelgänger, der seinen Hass auf sich selbst und sein Leben an seinen Mitmenschen auslässt. Batic, der sich nach einem Fauxpas mit Leitmayr in die Wolle bekommt, schleudert er zur Begrüßung direkt ein paar Fischabfälle in die weiße Lockenpracht.
Und doch spüren wir die Empörtheit abklingen, denn die tickende Zeitbombe mit Anglerhut birgt eine innere Tragik, die irgendwann sogar Mitleid in uns weckt. Wie konnte aus Hackl nur werden, was er ist? Wie ist das Leben dieses Mannes zu retten? Für die Auflösung der Täterfrage scheint er zu verdächtig, das wäre zu einfach – und so widmen sich die Filmemacherinnen im dritten Teil ihres Krimis einem weiteren Einzelgänger, der sich als Täter für den Mord am Motorradfahrer auf- und den bisherigen Hauptverdächtigen in den Hintergrund drängt.
Jonas Mittermeier (Lorenzo Germeno) ist der Sohn der zitierten Nachbarin, hat psychische Probleme und verbringt seine Tage am liebsten mit Ballerspielen vor dem Computer. Typ Amokläufer eben. Anders als bei Hackl dringt die Geschichte nicht ganz zum Inneren des Jungen durch, die Sorgen seiner Mutter bleiben wage, seine irritierenden Ausbrüche hängen seltsam in der Luft. Zehn Minuten mehr Spielzeit hätte dem Tatort hier gut getan, sie hätten Jonas und seiner Mutter gut getan. Schade.
Der über weite Strecken so großartige Krimi hätte ein besseres Schlussviertel verdient gehabt; die zweifellos überraschende, angesichts des dünnen Tatmotivs aber wenig schlüssige Auflösung ist ein herber Wermutstropfen in einem ansonsten grandios gespielten Krimi. Vor allem Carolin Conrad und Burghart Klaußner, der auch körperlich bis an die Schmerzgrenze geht, liefern eine überragende Performance ab. Die beklemmende Schlusspointe gebührt noch einmal Hackl – und sie schlägt den Bogen zu einer anfangs recht beiläufig erzählten Geschichte vom Münchner Marienplatz, der wie fast alles Schöne in diesem Tatort ansonsten außen vor bleibt.
Bewertung: 7/10
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📅 Ausblick: Dieser Tatort läuft am nächsten Sonntag