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Channel: Wie war der Tatort?
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Love is Pain

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Folge: 1234 | 23. April 2023 | Sender: WDR | Regie: Sabine Bernardi
Bild: WDR/Ester.Reglin.Film/Martin Rottenkolber
So war der Tatort:

Totalüberwacht.

Denn in Love is Pain mit dem Dortmunder Ermittlertrio Peter Faber (Jörg Hartmann), Jan Pawlak (Rick Okon) und Rosa Herzog (Stefanie Reinsperger) hängt unter Regie von Tatort-Debütantin Sabine Bernardi immer genau da eine Kamera, wo das Drehbuch sie braucht: am "Kumpel Kiosk", an dem sich Herzogs kriminelle Mutter Susanne Bütow (Esther Zschieschow) herumtreibt, in einem öffentlichen Waschraum, in dem zufälligerweise eine Observation im Drogenmilieu stattfindet, und natürlich auch an dem Ort, an dem die erste Leiche in diesem Krimi gefunden wird. Am Tatort.

Ein Straßenbahnfahrer wurde in seinem überwachten Vehikel brutal mit mehreren Messerstichen ins Jenseits befördert – und der Täter war so dreist, sein Gesicht nach der blutigen Tat ganz offen in die Kamera zu zeigen. Ähnlich wie im vielgelobten Berliner TatortGegen den Kopf, in dem ein Fahrgast von Jugendlichen fast totgetreten wird, macht uns dieser erste Mord in seiner erschütternden Brutalität und vermeintlichen Beliebigkeit sprachlos. Spätestens nach dem zweiten Mord an einem Kneipenwirt, ebenfalls von einer Überwachungskamera aufgezeichnet, beginnen wir jedoch gemeinsam mit den Kriminalisten zu ahnen, dass zwischen den Taten ein Zusammenhang besteht.

Mit dem Besuch bei der alleinstehenden Sandra Heinrich (Silke Geertz, Tod einer Lehrerin), die ihren bettlägerigen Sohn Tom (Roberto Capasso) in ein Pflegeheim gegeben hat, und Tanja Zietmann (Johanna Polley, Nichts als die Wahrheit (1)& (2)), einer guten Bekannten jenes Toms, ergibt sich langsam ein klareres Bild. Bei den Befragungen im Umfeld der Opfer hat der 1234. Tatort seine konventionellsten, seine unaufgeregtesten, seine routiniertesten Momente. Es geht um Auto-Erotik, es geht um Verrat und um Freundschaft. Und es geht einmal mehr auch um homosexuelle Liebe. Doch warum die ganzen Kameras?

Die kommen nicht von ungefähr: Die Drehbuchautoren Hanno Hackfort und Bob Konrad, die zuletzt den Stoff für die Netflix-Serie Kleo entwickelten und zum ersten Mal für die Krimireihe am Ruder sitzen, stellen Faber & Co. bei den Ermittlungen diesmal eine "Super-Recognizerin" zur Seite. Eine Frau also, die Gesichter besser wiedererkennt als die moderne Technik und Otto Normalbeobachter. Rosa Herzog, die nach Fabers Ausfall im Dortmunder Vorgänger Du bleibst hier kommissarisch die Leitung der Mordkommission übernommen hat, kennt Beate Gräske (Sar Adina Scheer) noch von früher. Ihr Ex-Chef begrüßt sie angemessen irritiert.


FABER:
Na dann, willkommen in der Hölle, Superwoman.


Was die Filmemacher mit dieser ambitionierten Idee geschaffen haben, ist allerdings kein echter Mehrwert für die Handlung und den Spannungsbogen, sondern die vielleicht überflüssigste Figur der jüngeren Tatort-Geschichte. So sehr Gräske auch am Laptop ihre Expertise einbringt, so wenig erschließt sich, warum das so umständlich erzählt werden muss. Die Dauerüberwachung des Täters, der der Polizei ständig durch die Lappen geht, obwohl er sogar direkten Kontakt zu Pawlak und Herzog sucht, gerät damit doppelt so konstruiert und halb so glaubwürdig, wie sie es ohnehin schon tut.

Der Kriminalfall leidet auch unter den Päckchen, die im Ruhrpott-Tatort jeder zu tragen hat: Faber trauert um Bönisch, sorgt sich um seinen dementen "Vatter" und stichelt gegen Staatsanwalt Matuschek (Anna Schudts Ehemann Moritz Führmann, Der Tod der Anderen). Pawlak kämpft gegen seine Schwiegermutter Britta Tremmel (Angelika Bartsch) um das Sorgerecht für seine Tochter Mia (Jana Giesel). Und Herzog muss sich mit ihrer einleitend erwähnten Mutter herumschlagen, deren RAF-Vergangenheit ihr auf der Suche nach medizinischer Hilfe zum Verhängnis wird. Mit Blick auf Herzogs heimliche Manöver birgt der 1234. Tatort die größte Überraschung – ansonsten wird der Mordfall von diesen vielen Nebenschauplätzen aber oft ausgebremst.

Als Krimi bietet Love is Pain, dessen Krimititel an das englische Betitelungsprozedere im Münchner Tatort erinnert (vgl. Flash, Dreams, One Way Ticket), mit seinem unnötig komplizierten Arrangement viel Angriffsfläche, als wichtiger Teil der folgenübergreifenden Story funktioniert er aber ganz hervorragend. Und unterhaltsam ist das alles sehr, denn ein schwächeres Drehbuch wird in Dortmund fast immer von den starken Figuren aufgefangen. So auch hier. Dass Faber vergleichsweise handzahm unterwegs ist und den Enfant-Terrible-Stab langsam, aber sicher an Pawlak weiterreicht, tut dem Ensemble ebenfalls gut – denn auf Dauer ist wenig langweiliger als der Stillstand, der etwa seit über 20 Jahren bei den Tatort-Kollegen aus Münster zu beobachten ist.

Bewertung: 7/10




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