Folge: 1235 | 30. April 2023 | Sender: SRF | Regie: Tobias Ineichen
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Bild: ARD Degeto/SRF/Sava Hlavacek |
So war der Tatort:
Von der Realität im britischen Königshaus überholt.
Denn dieser Schweizer Tatort, der im Spätsommer 2021 gedreht wurde, beginnt mit einem schlecht gealterten Zitat: "Her Majesty, die Queen, sagt immer zu mir: Less is more, James", prahlt der englische Moderator James McDermott (David Chrisman) bei einer Rede vor potenziellen Investoren bei einer Spendengala am Zürisee – nicht wissend, dass die zitierte Queen Elizabeth II. knapp acht Monate vor der TV-Premiere von Seilschaft verstorben ist und ihr Sohn und Thronfolger Charles III. sechs Tage später zum neuen König gekrönt werden wird.
McDermott ist zugleich der erste Tote, den es in diesem etwas steif inszenierten und recht schematisch vorgetragenen Krimi unter Regie von Tobias Ineichen (Kriegssplitter) zu beklagen gibt: Am Morgen nach der "Internationalen Entwicklerkonferenz" für die Reichen und Schönen der Stadt stehen die Zürcher Kantonspolizistinnen Isabelle Grandjean (Anna Pieri Zuercher) und Tessa Ott (Carol Schuler) vor seiner Leiche. Der populäre Entertainer, der erstklassige Kontakte zur Politik, zur Wirtschaft und zur britischen Königsfamilie pflegte, wurde mit einem Bolzenschussgerät im Hotelzimmer hingerichtet und um fünf seiner Zehen erleichtert.
Was folgt, ist neben Otts bereits im mauen Vorgänger Risiken mit Nebenwirkungenpraktizierten SUV-Bashing ein in der Krimireihe viel zu häufig zu beobachtender, im Schweizer Tatort weiterhin tapfer durchexerzierter Standardmoment: Staatsanwältin Anita Wegenast (Rachel Braunschweig), die schon beim bloßen Gedanken an den charmanten McDermott rote Wangen bekommt, hebt direkt den mahnenden Zeigefinger. Bei diesem brutalen Mord gehe es um ein Mitglied der Haute Volée, man möge also bitteschön mit höchster Priorität, aber auch mit maximaler Diskretion ermitteln und die böse Presse bloß nichts davon wissen lassen. Gähn.
Teilnahmslos registrieren wir ihr Gebaren, denn deutlich aufregender als diese ausgelutschten Einwürfe sind Todesfall Nr. 2 und Nr. 3, für die derselbe Serientäter verantwortlich zeichnet: Der aufwändig vorbereiteten Taucher-Attacke auf einen Ruderer folgt der denkwürdige Einsatz eines Glases mit giftigen Eichen-Prozessionsspinnern. Mit Blick auf die perfiden Morde, deren symbolschwangere Inszenierung eine Nähe zur Mafia nahelegt, zählt Seilschaft tatsächlich zu den originellsten Tatort-Folgen nach der Jahrtausendwende. Gerade der dritte Mord und das Platzieren zweier teurer Uhren an den Handgelenken des Opfers zeigen zudem: Grandjean und Ott gehen gemeinsam auf Verbrecherjagd, stammen aber aus verschiedenen Welten.
GRANDJEAN:Sind Einzelstücke.OTT:Woher weißt du das?GRANDJEAN:Sieht man. Also ich.
So kreativ die Morde in diesem Tatort arrangiert sind, so holzschnittartig gestalten sich jedoch die klischeebeladenen Nebenfiguren und ihr berechenbares Handeln. Egal ob Fondsmanager Dominic Mercier (Leonardo Nigro, Um jeden Preis), Waisenkind Gina "Gogo" Keller (Rabea Egg) oder Boxtrainerin Nina Katz (Ariane Pochon): Jeder und jede tut immer genau das, was man nach den ersten Eindrücken und Baukasten-Dialogen auch erwarten würde. Da zählen Otts Gespräche mit ihrem treuen Mitbewohner Charlie Locher (Peter Jecklin) noch zu den tiefsinnigsten Momenten. Beim SRF scheint man bemerkt zu haben, dass Ott die spannendere Ermittlerin ist und räumt ihr entsprechend mehr Kamerazeit ein.
Die Drehbuchautorinnen Claudia Pütz und Karin Heberlein, die zum ersten Mal für die Krimireihe am Ruder sitzen, tragen generell sehr dick auf und können sich nie entscheiden: Wollen sie nun einen 'Ndrangheta-Thriller im Stile des Jubiläumszweiteilers In der Familie erzählen oder soll der 1235. Tatort ein Entführungsdrama mit Epstein-Anleihen werden, bei dem Ott eine besondere Beziehung zur jungen Tatzeugin Ronja (Lillyenne Zünd) aufbaut? Seilschaft ist irgendetwas dazwischen, nichts Halbes und nichts Ganzes. Mit der Spurensuche in einem Kinderheim und einem vielsagenden Spielplatz-Graffito entfernt sich der Krimi immer weiter von seiner Ausgangslage, die irgendein gesichtsloses Verbrechersyndikat in den Raum stellt, das seine Gelder über die Charity-Organisation des ersten Mordopfers wäscht.
Entsprechend substanzlos gestaltet sich die Ausarbeitung dieser dubiosen Machenschaften: Zettel und Fotos werden an Pinnwände gehängt, Landkarten mit sinnlosen Pfeilen und Stichworten bekritzelt und dann einfach behauptet, das Ganze sei ein ausgeklügeltes System, dem man nun auf die Schliche gekommen ist. Was das Fedpol in Person von Jürg Wettstein (Elidan Arzoni) über Jahre beschäftigt, wird hier in wenigen 08/15-Sätzen abgefrühstückt. Dünner und behaupteter kann man organisierte Kriminalität kaum thematisieren – das haben vor allem die Tatort-Kollegen aus Wien schon deutlich besser hinbekommen.
Bewertung: 4/10
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