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Channel: Wie war der Tatort?
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Aus der Tiefe der Zeit

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Folge: 884 | 27. Oktober 2013 | Sender: BR | Regie: Dominik Graf

So war der Tatort:

Bild: BR/Frederic Batier
Typisch Graf - Dominik Graf. Geschlagene achtzehn Jahre hat sich der zehnfache (!) Grimme-Preis-Gewinner Zeit gelassen, um nach Schwarzes Wochenende (1986) und dem vieldiskutierten Meilenstein Frau Bu lacht (1995) endlich mal wieder einen Tatort zu inszenieren. Und das Warten hat sich gelohnt: In der Zwischenzeit hat der  von der Kritik gefeierte, vom Publikum aber nur teilweise angenommene Filmemacher nicht nur herausragende TV-Serien wie Im Angesicht des Verbrechens oder einige starke Folgen der Polizeiruf 110-Reihe realisiert, sondern sich auch als Regisseur eine ganze Ecke weiterentwickelt. Punktete der vergleichsweise bieder inszenierte Frau Bu lacht vor allem aufgrund der Brüche mit den obersten Tatort-Prinzipien und seines mutigen Showdowns, bei dem die Münchner Hauptkommissare Ivo Batic (Miroslav Nemec) und Franz Leitmayr (Udo Wachtveitl) einer überführten Mörderin zur Flucht in ihr Heimatland Thailand verhelfen, bewegt sich Aus der Tiefe der Zeit schon allein stilistisch auf allerhöchstem TV-Niveau. Graf stürmt förmlich in die Geschichte und stößt das unvorbereitete Sonntagabendpublikum mit knackigen Parallelmontagen, anstrengenden Ton-Bild-Scheren und einem nebulösen Blick in die Vergangenheit kolossal vor den Kopf. Ein extrem anstrengender Auftakt - und auch in der Folge gestattet das Drehbuch von Grafs langjährigem Weggefährten Bernd Schwamm (Die apokalyptischen Reiter) dem Zuschauer kaum einen Moment der Ruhe. Selbst Leitmayrs einleitende Wohnungssuche im Münchner Westendviertel, das aufgrund der ärgerlichen Navi-Ansagen zur Odyssee wird, verpacken die beiden Filmemacher als Wettlauf gegen die Zeit - dabei ist die Leiche zu diesem Zeitpunkt noch nichtmal gefunden und der Kommissar lediglich auf der Suche nach einer vorübergehenden Bleibe, weil es im eigenen Domizil einen Wasserschaden gegeben hat.

Von der mutigen Radikalität und inhaltlichen Klasse des Graf-Vorgängers Frau Bu lacht ist der 884. Tatort ein gutes Stück entfernt - dafür ist die Geschichte ein wenig zu überfrachtet und das Krimikorsett, in das Graf seine Geschichte steckt, zu allgegenwärtig. Dennoch: Aus der Tiefe der Zeit ist ein erstklassig inszeniertes und gekonnt arrangiertes Familiendrama im Schafspelz, in dem vor allem die charismatische Erni Mangold (Nie wieder Oper) als schwerreiches Familienoberhaupt Magda Holzer zu großer Form aufläuft. Die ehemalige Zirkuslegende ballert im Garten ihres mondänen Anwesens auf alles, was nicht bei drei auf den Bäumen ist, so dass sich das Publikum glatt vorkommt wie in einem Italo-Western. Dieser Eindruck verstärkt sich nicht zuletzt auch dadurch, dass der leinwanderprobte Kameramann Alexander Fischerkoesen (Schwarzer Peter) immer wieder urplötzlich in die Gesichter der Protagonisten zoomt, während der bildgewaltige Showdown fast an eine antike Tragödie erinnert: Das Schwimmbecken färbt sich rot (s. Bild), die Holzersche Villa wird in ihren Grundfesten erschüttert und die Münchner Hauptkommissare müssen machtlos dabei zusehen. Nicht nur wegen dieses ebenso blutigen wie dramatischen Showdowns ist aus Aus der Tiefe der Zeit ist ein echtes Tatort-Erlebnis. Das wird vor allem dem konservativen und an den inszenatorischen TV-Einheitsbrei gewöhnten Publikum weniger schmecken, doch aus der Masse der Standard-Krimis sticht Grafs dritter Fadenkreuzkrimi erfreulich heraus. In einer Nebenrolle ist dabei Ex-Tatort-Kommissar Maximilian Brückner (Verschleppt), der 2011 im Zuge einer medialen Schlammschlacht vom SR vor die Tür gesetzt wurde, zu entdecken: Man muss zweimal hinsehen, um den Blondschopf als homosexuellen Edel-Coiffeur mit offenem Ohr für entscheidende Hinweise auf den Mörder wiederzuerkennen.

Bewertung: 8/10

Kalter Engel

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Folge: 885 | 3. November 2013 | Sender: MDR | Regie: Thomas Bohn

So war der Tatort:

Bild: MDR
Auf jung getrimmt. In Kalter Engel feiert das jüngste Tatort-Team aller Zeiten sein Debüt: In der thüringischen Landeshauptstadt Erfurt ermitteln ab sofort Kriminalhauptkommissar Henry Funck (Friedrich Mücke, Heimatfront), Kriminaloberkommissar Maik Schaffert (Benjamin Kramme) und Polizei-Praktikantin Johanna Grewel (Alina Levshin), die den beiden Jungbullen von Kriminaldirektorin Petra Fritzenberger (Kirsten Block, Edel sei der Mensch und Gesund) zur Seite gestellt wird. Ein mutiges, weil ausgefallenes Konzept, keine Frage: Doch Funck, Schaffert und Grewel hätten eigentlich viel besser ins Team der SK-Babiesgepasst, die - die älteren Leser werden sich erinnern - von 1996 bis 1999 von RTL auf Verbrecher und den Zuschauer losgelassen wurden. Qualitativ hebt sich der neue Tatort aus Thüringen kaum von dieser gruseligen, zu Recht in Vergessenheit geratenen RTL-Produktion ab: Funck und Schaffert kippen im Präsidium literweise Energydrinks, schleudern wild mit Anglizismen um sich ("Fuck and Go oder was?") und sind von Regisseur und Drehbuchautor Thomas Bohn (Tod im All) so fürchterlich auf cool getrimmt, dass Kalter Engel schon nach wenigen Minuten zur ärgerlichen Geduldsprobe wird.Das beste am 885. Tatort ist die einleitende Verfolgung des mutmaßlichen Frauenmörders Roman Darschner (Godehard Giese, Leben gegen Leben): Nicht etwa aufgrund der knackigen Actionszenen (die Inszenierung fällt schließlich eher bieder aus), sondern schlicht und einfach deshalb, weil zu diesem frühen Zeitpunkt des Films noch alle die Klappe halten. 

Ob Funcks müder Currywurst-Flirt mit der hübschen Valerie (Karoline Schuch, auch bekannt als Freddy Schenks Tochter Melanie aus dem Kölner Tatort), Fritzenbergers tadelnde Worte im Präsidium oder die schier unerträglichen, pseudo-tiefsinnigen Zwischenresümees der beiden Kommissare: Die Dialoge sind hölzerner als eine finnische Sauna und so himmelschreiend aufgesetzt, dass jeder Anspruch an einen halbwegs authentischen und spannenden Kriminalfall schon nach wenigen Minuten getrost zu den Akten gelegt werden kann. Kalter Engel mangelt es auch einfach an einem interessanten Thema: Frauenmörder, die keine sind, Eifersucht unter Mitbewohnerinnen, Medikamentenmissbrauch - das alles hat man im Tatort schon um Längen besser gesehen. Von Land und Leuten - für eine Kleinstadt wie Erfurt gleich doppelt wichtig, will sie sich mittelfristig in der unübersichtlichen Tatort-Landschaft behaupten - ist indes wenig zu spüren: Ein paar Außendrehs an der örtlichen Uni, eine Dialekt sprechende SpuSi-Kollegin - das war's. Stattdessen war die Requisite einfach im Fan-Shop von Rot-Weiß-Erfurt einkaufen: In Studentenspinden baumeln einsame Vereinswimpel, Schaffert trinkt seinen Kaffee (Koffein kann man offenbar nie genug haben) aus einer Tasse mit RWE-Logo und spielt mit unerträglicher Penetranz an einem handsignierten Lederfußball herum, den man den Kommissaren nach dem siebten oder achten "Alter!" am liebsten mit Karacho ins Gesicht feuern würde. Das Debüt des jüngsten Ermittlerteams aller Zeiten, die zudem stark an die gleichaltrigen Dortmunder Tatort-Kollegen Daniel Kossik (Stefan Konarske) und Nora Dalay (Aylin Tezel) erinnern, geht mit Pauken und Trompeten in die Hose: Kalter Engel (nur Gott weiß, was dieser nichtssagende Titel soll) ist einer der schwächsten Fadenkreuzkrimis des Jahres 2013.

Bewertung: 2/10

Kaum schwächere Dialoge: Die RTL-Serie "SK-Babies" (1996-1999)

Eine andere Welt

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Folge: 886 | 17. November 2013 | Sender: WDR | Regie: Andreas Herzog

So war der Tatort:

Bild: WDR/Thomas Kost
Scherbenreich. Dass Hauptkommissar und Vorzeige-Arschloch Peter Faber (Jörg Hartmann) gerne mal seinen Schreibtisch samt Arbeitseinrichtung zertrümmert, weiß der Zuschauer spätestens seit seinem spektakulären Abgang im zweiten Dortmund-Tatort Mein Revier - und in Eine andere Welt setzen Regisseur Andreas Herzog (Scheinwelten) und Drehbuchautor Jürgen Werner, der bereits an Mein Revier und dem Faber-Erstling Alter Ego mitschrieb, sogar noch einen drauf. Faber zerlegt das Waschbecken auf der Herrentoilette in seine Einzelteile, lässt die Scherben einfach liegen und kotzt gepflegt in die Kloschüssel - und das alles nur, weil ihn seine Vergangenheit einholt. Was sich in den Schlussminuten von Mein Reviermit einem anonymen Brief bereits angedeutet hatte, setzt sich im 886. Tatort fort: Den Dortmunder Teamchef, der seine Kollegen Martina Bönisch (Anna Schudt), Daniel Kossik (Stefan Konarske) und Nora Dalay (Aylin Tezel) auch diesmal wieder wie den letzten Dreck behandelt, belastet der Tod seiner Familie, der seinen dritten Einsatz in der Ruhrpott-Metropole zugleich zu seinem persönlichsten macht. Seine privaten Nachforschungen über den noch nicht bis ins Detail geklärten Tod seiner Frau und Tochter sind aber nur einer der Nebenkriegsschauplätze, die den ansonsten angenehm bodenständigen und authentischen Fall (man denke zurück an die kontrovers diskutierten Folgen der zurückliegenden Wochen) immer wieder vom Kurs abbringen. Wenn Kossik und Dalay minutenlang darüber debattieren, ob sie nun gemeinsam zu einer türkischen Hochzeit gehen sollen oder nicht, gerät der Tod der umtriebigen Gymnasiastin Nadine Petzokat (Antonia Lingemann) vorübergehend aus dem Blickfeld.

Immerhin: Das Alter der beiden Jungermittler, die diesmal zu deutlich weniger GZSZ-Dialogen genötigt werden als in den beiden Vorgängerfolgen, zahlt sich im dritten Fadenkreuzkrimi aus Dortmund endlich einmal aus. Die kesse Dalay ermittelt undercover in einem Nobelclub, in dem die deutlich älteren Faber ("Der Slip muss weg!") oder Bönisch ("Der Slip bleibt, wo er ist!") unter den jungen Partygästen und Schnöseln sofort aufgefallen wären, und wird von den tatverdächtigen Konstantin Prinz (Sergej Moya, herausragend in Hilflos) und Lars von Hesseling (Anton Rubtsov) sofort zum Wodkatrinken eingeladen. Das wirkt zwar nicht vollends glaubhaft, ist aber einer der besseren Einfälle von Drehbuchautor Jürgen Werner, der ansonsten auf eine konstruierte Häppchentaktik setzt: Hätten sich Faber & Co. nämlich das Videotagebuch der ermordeten Schülerin und ihrer besten Freundin Julia Nowak (Matilda Merkel, Spargelzeit) - Found-Footage-Hits wie das Blair Witch Project oder Cloverfield lassen grüßen - einfach sofort angesehen, wäre der Mord vermutlich schon nach zehn Minuten aufgeklärt gewesen. Man denke an den Kölner Tatort: Ballauf und Schenk hätten Assistentin Franziska einfach zur einer Nachtschicht verdonnert (wie z.B. in Blutdiamanten) - Fall gelöst, denn das Tatmotiv wird im letzten der zahlreichen Videoclips gelüftet. Die Dortmunder Ermittler aber schauen immer mal wieder rein, wenn gerade Zeit ist, als gäbe es weitaus wichtigeres zu erledigen - das ist grober Unfug und allein dem Spannungsaufbau und der Zurückhaltung der Auflösung geschuldet. Anders würde Eine andere Welt schlichtweg nicht funktionieren. Spaß macht er dennoch - nicht zuletzt aufgrund der zahlreichen One-Liner auf Stromberg-Niveau.

Faber: "Jetzt machen Sie mal nicht den Akten-Nazi!"

Bewertung: 6/10

Mord auf Langeoog

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Folge: 887 | 24. November 2013 | Sender: NDR | Regie: Stefan Kornatz

So war der Tatort:

Bild: NDR/Boris Laewen
Friesisch unterkühlt - und bei weitem nicht so witzig wie das bärenstarke WWM-Debüt Feuerteufel. Eine steife Brise weht am Sandstrand der beschaulichen Nordsee-Insel Langeoog, auf die es Hauptkommissar Thorsten Falke (Wotan Wilke Möhring) und seine neue Kollegin Katharina Lorenz (Petra Schmidt-Schaller), die ab 2014 bundesweit ermitteln, bei ihrem zweiten gemeinsamen Einsatz verschlägt - dabei wollte der Kommissar und Katzenliebhaber eigentlich nur ein paar Urlaubstage bei seinem Kumpel und Ex-Kollegen Jan Katz (Sebastian Schipper) und dessen Frau Mimi Meinders (Laura Tonke, Schlafende Hunde) verbringen. Falkes Freunde haben sich aus der Hansestadt verabschiedet und sind zurück in ihre ostfriesische Heimat gekehrt - und dort ermittelt Falke, der die kompletten neunzig Minuten einen modisch diskutablen Norwegerpulli trägt (s. Bild), im Fall der ermordeten Künstlerin Bella Goosen (Julia Jessen), deren Leiche morgens in den malerischen Dünen gefunden wird. Die tollen Kameraflüge über das UNESCO-Weltnaturerbe Wattenmeer und die scheinbar endlosen Sandstrände des Eilands, die der leinwanderprobte Kameramann Bernhard Keller in tollen Panoramen einfängt, sind leider schon das stärkste an Mord auf Langeoog: Regisseur Stefan Kornatz (Es ist böse) und Drehbuchautor Max Eipp (Salzleiche) gelingt es viel zu selten, ihren windig-unterkühlten Küstenkrimi auf Betriebstemperatur zu bringen. Selbst auf der Zielgeraden, auf der einmal mehr die Kommissarin (sonst meist Lena Odenthal, vgl. Der kalte Tod, Hauch des Todes oder Der Wald steht schwarz und schweiget) aus den Händen des Täters gerettet werden will, kommt der 887. Tatort nicht mehr recht in Fahrt.

Das liegt nicht zuletzt daran, dass sich die Filmemacher viel zu stark auf ihren Hauptverdächtigen konzentrieren: Der verwirrte Florian (Leonard Carow, Dinge, die noch zu tun sind), jüngerer Bruder von Mimi Meinders, wacht blutverschmiert und ohne Erinnerung an die zurückliegende Nacht neben der toten Frau auf - und scheidet damit als Täter sofort aus. Denn wenn der vermeintliche Mörder direkt neben der Leiche aufgefunden wird - man denke zurück an Prof. Boerne (Jan Josef Liefers) in Die chinesische Prinzessin - dann ist es so sicher wie das Amen in der Kirche, dass jemand anders das Opfer auf dem Gewissen hat. Wäre schließlich viel zu einfach. So wird Mord auf Langeoog im Mittelteil zwar zu einem authentischen Psychogramm, in dem Carow sein schauspielerisches Potenzial unter Beweis stellen kann, doch auf der Zielgeraden steht der Tatort vor einem Problem: Ein Mörder muss her, obwohl die Charakterzeichnung der übrigen Nebenfiguren vollkommen vergessen wurde. Was passiert also? Täter und Motiv werden im Schnellverfahren nachgereicht - eine überraschende, aber mit der Brechstange konstruierte Auflösung, die viel ausführlicher hätte vorbereitet werden müssen. Auch das Gastspiel der Frankfurter Ex-Kommissarin Nina Kunzendorf, die in Wer das Schweigen bricht ihren Abschied feierte und als Auricher Kollegin Christine Brandner mit von der Partie ist, fällt im Vergleich zu ihren vorherigen Tatort-Auftritten harmlos aus. Immerhin: Dank der übergroßen Nerd-Brille ist für den Gelegenheitszuschauer eine Verwechslung mit der charismatischen Power-Tussi Conny Mey ausgeschlossen.

Bewertung: 5/10

Happy Birthday, Sarah

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Folge: 888 | 1. Dezember 2013 | Sender: SWR | Regie: Oliver Kienle

So war der Tatort:

Bild: SWR/Stephanie Schweigert
Überholt - von der schwäbischen Realität. Staatsanwältin Emilia Álvarez (Carolina Vera) dürfte nämlich so ziemlich die Einzige sein, die am 1. Adventssonntag 2013 im piekfeinen Restaurant des Stuttgarter Fernsehturms bei prächtigem Ausblick zu Abend dinieren darf: Kurz nach dem Abschluss der Dreharbeiten von Happy Birthday, Sarah wurde der Touristenmagnet wegen Brandschutzgefahr für die Öffentlichkeit geschlossen  und aus Kostengründen bis heute nicht mehr wiedereröffnet. Diese vor allem für das ortskundige Fernsehpublikum unfreiwillig amüsante Szene bleibtbeim 13. gemeinsamen Einsatz von Hauptkommissar Thorsten Lannert (Richy Müller) und Sebastian Bootz (Felix Klare) jedoch die Ausnahme: Regisseur und Tatort-Debütant Oliver Kienle inszeniert einen grundsoliden und für schwäbische Verhältnise überraschend humorvollen, mit lässigen Lannertschen One-Linern förmlich gespickten Tatort, der auch im Hinblick auf die Skizzierung der heutigen Jugend erfreulich authentisch ausfällt. Anders als viele Drehbuchautoren der jüngeren Vergangenheit - man denke zurück an die peinlichen Tatort-Katastrophen Der Wald steht schwarz und schweigetoder Dinge, die noch zu tun sind - zeichnet Wolfgang Stauch (Die schöne Mona ist tot) keine müden Teenager-Stereotypen. Der Drehbuchautor nötigt die Jungdarsteller im Jugendzentrum "Klaus' Haus", in dem Sozialarbeiter Andreas Haber (Nikolaj Alexander Brucker, Ohne Beweise) einleitend in der Toilettenschüssel ertränkt wird, erfreulicherweise nicht zu pseudocoolen Sprüchen und vollkommen realitätsfernem Gehabe, und der 31 Jahre junge Filmemacher Kienle räumt seiner Hauptdarstellerin Ruby O. Fee bei der Interpretation ihrer Hauptfigur großen Freiraum ein.

Sarah ist erwartungsgemäß nicht die Täterin - stattdessen einmal mehr eine Nebenfigur, die im Mittelteil des Krimis aus dem Blickfeld gerät und sich in typischer Tatort-Manier pünktlich zur Auflösung wieder in den Vordergrund drängt. Nachwuchsdarstellerin Fee ist dennoch der unumstrittene Star im 888. Tatort und bringt die heranwachsende Rebellin, die die letzten verbleibenden Tage vor der Strafmündigkeit für falsche Geständnisse und Kurzschlussreaktionen nutzt, charismatisch und glaubwürdig auf die Mattscheibe. Es macht Spaß, der aufmüpfigen Sarah dabei zuzusehen, wie sie die genervten Hauptkommissare mit ihrer Sturheit zur Weißglut bringt und sich in den emotionalen Streitgesprächen mit ihrer Schwester, der personifizierten Stuttgarter Unterschicht Jeanette (Britta Hammelstein, Willkommen in Hamburg), und deren wild tätowiertem Lover Ronald (Antonio Wannek, Todesschütze, "Na, zurück in der Hölle des Löwen?") behaupten kann. Weit weniger unterhaltsam gestalten sich die schleppenden Familienszenen von Neu-Single Bootz und seinen beiden Kindern (s. Bild): Vor allem der freche Sohnemann, der das Handy des gestressten Kommissars in der Badewanne versenkt und dem Papa bei einer Festnahme vom Streifenwagen aus zujubelt, erinnert stark an den nervtötenden Prädidiumskasper Giuliano (Joshua Jacobs) aus der grauenvollen Odenthal-Folge Der Schrei, wird von seinem Erzieher aber mit bemerkenswerter Geduld umsorgt. Der Bootzsche Familienkitsch bleibt jedoch das einzige größere Manko eines ansonsten guten Fadenkreuzkrimis: Happy Birthday, Sarah macht einfach Laune und nutzt Sarahs minütlich näher rückende Strafmündigkeit auf der Zielgeraden für einen knackigen Countdown. Da hat man 2013 wahrlich schon Schlechteres gesehen.

Bewertung: 7/10

Schwindelfrei

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Folge: 889 | 8. Dezember 2013 | Sender: HR | Regie: Justus von Dohnányi

So war der Tatort:

Bild: HR/Katrin Denkewitz
Tumorfrei. LKA-Ermittler Felix Murot (Ulrich Tukur) kann endlich aufatmen: Der Tumor, dessen Anagramm ihm seinen Nachnamen bescherte, ist Geschichte! Surreale Träume und morbide Wahrnehmungsstörungen hatten den Kommissar vor allem in Das Dorfgeplagt, als ihm Regisseur und Drehbuchautor Justus von Dohnányi (Eine bessere Welt) sogar sein eigenes Gehirn auf einem Silbertablett servieren ließ undviele Zuschauer mit seiner musiklastigen und eigenwilligen Krimigroteske (Auftritt der Kessler-Zwillinge inklusive) fulminant vor den Kopf stieß. Dass Das Dorfvon großen Teilen der Presse gefeiert und sogar für einen Grimme-Preis nominiert wurde, scheint sich von Dohnányi weniger zu Herzen genommen zu haben als die irriterten Publikumsreaktionen - Murots dritter Einsatz, bei dem der Filmemacher erneut am Ruder sitzt, ist nicht ansatzweise so mutig und ausgefallen wie der Vorgänger, man möchte fast sagen: Schwindelfrei ist enttäuschend gewöhnlich. Eine klassische Whodunit-Konstruktion (mit einer vermissten Frau statt der üblichen Auftaktleiche), biedere Ermittlungsarbeit, langatmige Dialoge und eine erschreckend vorhersehbare Auflösung: Einmal mehr ist der prominenteste Nebendarsteller im Tatort der Mörder und sein Tatmotiv früh zu erahnen - es führt zurück in die Zeit des Kosovo-Krieges, der im Tatort bei weitem nicht zum ersten Mal aufgegriffen wird (zuletzt im Wiener Meisterwerk Kein Entkommen). Dass der 889. Fadenkreuzkrimi trotz dieser inhaltlichen Schwächen zu unterhalten weiß, liegt an seiner knallbunten Verpackung und seinem nostalgieschwangeren Schauplatz: Er spielt zu großen Teilen in einer Zirkusmanege.

Zirkusdirektor Raxon: "Wir leben hier auf einer kleinen einsamen Insel."

Der Zirkus Raxon, dem Murot in Fulda gemeinsam mit seiner Sekretärin Magda Wächter (Barbara Philipp) zur Feier der einleitenden Diagnose einen Besuch abstattet und von prompt von Bauchredner Buca (Jevgenij Sitochin, Der Tote im Nachtzug) zum Spontangesang in die Manege gebeten wird (s.Bild), bildet hier einen interessanten und originellen, wenn auch nicht gänzlich von der Außenwelt abgeriegelten Mikrokosmos - eine bunte, eigene Welt, in der einer der Angestellten um Buca, Pianist Charly (Leonard Carow, Mord auf Langeoog), Zirkusdirektor Raxon (Josef Ostendorf, Sterben für die Erben), Messerwerfer Frank (Uwe Bohm, Es ist böse), der hünenhafte Ex-Ringer Zoltan (Norbert Heisterkamp, Bittere Mandeln), Sängerin Rosalie (Zazie de Paris) oder Artistin Caja (Dorka Gryllus, Familienaufstellung) ein finsteres Geheimnis verbirgt. Weil sich nur einer der Angestellten - auch unabhängig von seinem prominenten Gesicht - als Täter aufdrängt, plätschert der Krimi vor allem im Mittelteil lange vor sich hin - Twists und doppelte Böden, die gerade diesem verspielten Zirkus-Tatort gut zu Gesicht gestanden hätten, bleiben leider aus. Erst auf der Zielgeraden kommt Schwindelfrei in Schwung: Murot, der sich zuvor als Aushilfspianist im Zirkus eingeschleust hatte, schleicht in bester 007-Manier als Clown ins Rampenlicht - genau so, wie es 1983 Roger Moore in Octopussy tat, als er im gleichnamigen Zirkus in letzter Sekunde vor den Augen des ahnungslosen Publikums eine tickende Zeitbombe entschärfte. Trotz der großen Zugeständnisse an das klassische Tatort-Konzept lässt sich von Dohnányi im Übrigen einen amüsanten Seitenhieb auf den Rest der Krimireihe nicht nehmen: Murot schaut den berühmten Tatort-Vorspann in seinem Hotelzimmer - und just in dem Moment, als die eigentliche Geschichte beginnt, schaltet er den Fernseher gelangweilt ab. Volltreffer.

Bewertung: 5/10

Allmächtig

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Folge: 890 | 22. Dezember 2013 | Sender: BR | Regie: Jochen Alexander Freydank

So war der Tatort:

Bild: BR/hager moss film GmbH/Bernd Schuller
Anklagend. Regisseur und Oscar-Gewinner Jochen Alexander Freydank, der nach dem Kriegsheimkehrer-Krimi Heimatfront zum zweiten Mal für den Tatort am Ruder sitzt, und die drei Drehbuchautoren Harald Göckeritz, Gerlinde Wolf und Edward Berger holen in Allmächtig zum großen Rundumschlag aus - doch nicht etwa gegen qualitätsfreie ZDF-Schundproduktionen wie Das Traumschiff oder gebührenfinanzierte ARD-Soaps wie Verbotene Liebe, sondern gegen Reality-Formate, die im Privatfernsehen seit Jahren das Programm dominieren und vermeintlich realistische Einblicke in den Alltag der bildungsfernen Schichten gewähren. Böse Privatsender! Und weil diese Pauschalanklage so simpel ist, verfahren Freydank und Kollegen bei ihrer Figurenzeichnung einfach genauso: Klischees und Schwarz-Weiß-Malerei, wohin man blickt. Es gibt die Guten - die bedauernswerten, bloßgestellten Opfer und natürlich die Münchner Hauptkommissare Ivo Batic (Miroslav Nemec) und Franz Leitmayr (Udo Wachtveitl) - und es gibt das Böse, das sich in Allmächtig in einer einzigen Person, dem fleischgewordenen TV-Teufel Albert A. Anast (Alexander Schubert), konzentriert. Der arrogante und skrupellose Entertainer, der den Satan als Anagramm im Nachnamen trägt und in den Türcode seiner sündhaft teuer eingerichteten Wohnung die Zahlen "666" unterbringt, scheut für ein paar mehr Videoklicks im Netz keine moralischen Hindernisse, führt seine Mitmenschen vor der Kamera gleich reihenweise vor und kann vom Zuschauer dafür nur abgrundtief verachtet werden. Dann ist er plötzlich verschwunden - und eines seiner Opfer tot.

Man muss kein Prophet sein, um zu erraten, dass der selbsternannte Entertainer den Mord an der Messi-Finanzbeamtin Maria Kohlbeck (Katja Brenner), die Zuflucht bei Pfarrer Fruhmann (Ernst Stötzner, Heimspiel) und Pater Rufus (Albrecht Abraham Schuch) gesucht hatte, nicht begangen hat. Schnell ist die zweite Leiche gefunden - und wenn der Tatort Allmächtig heißt, dann ist es so sicher wie das Amen in der Kirche, dass der Weg zur Auflösung der Täterfrage nur über Gesangsbuch und Weihwasser führt. Batic und Leitmayr, die 2011 in Ein ganz normaler Fall bereits zu einem spannungsarmen Crash-Kurs in Sachen Judentum genötigt wurden, lernen neben dem beinharten Konkurrenzkampf innerhalb einer TV-Produktionsfirma auch viel Neues über angestaubte Exorzismuspraktiken aus dem Mittelalter, die sich bis in die deutsche Gegenwart gehalten haben. Aha! Spaß machen da eher die bissigen One-Liner von Batic ("Auf was für Ideen man kommt, wenn man keinen Sex hat.") und die verbitterten Kommentare der gefrusteten Anast-Kollegin Ines Lohmiller (Claudia Hübschmann), die dem Erfolgsmoderator genauso wenig Tränen nachweint wie der Rest seiner Mitmenschen. Zu denen zählt auch der Mörder, der im furchtbar konstruierten Finale in letzter Sekunde von den Kommissaren vor dem sicheren Flammentod bewahrt wird und den Krimi mit unfreiwillig komischen Monologen endgültig die Bodenhaftung verlieren lässt. Allmächtiger! Einen so enttäuschenden Tatort gab es aus München seit Jahren nicht mehr. Da rettet auch der Gastauftritt des Saarbrücker Ex-Kommissars Gregor Weber (letzter Auftritt im Meisterwerk Verschleppt) am Ende wenig.

Bewertung: 4/10

Die fette Hoppe

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Folge: 891 | 26. Dezember 2013 | Sender: MDR | Regie: Franziska Meletzky

So war der Tatort:

Bild: MDR/Andreas Wünschirs
Kugelrund. Die Weimarer Kriminalkommissarin Kira Dorn (Nora Tschirner, Soloalbum) präsentiert in Die fette Hoppe neunzig Minuten lang ihren Babybauch - doch auch sonst ist das Debüt von Tschirner und ihrem Tatort-Partner Christian Ulmen (Männerherzen), mit dem sie schon häufiger vor der Kamera stand, eine runde Sache. Die Erwartungen an den im Vorfeld zunächst als einmaligen "Event-Tatort" angepriesenen Krimi, dessen Fortsetzung mittlerweile beschlossene Sache ist, hätten höher kaum ausfallen können: Das Ausstrahlungsdatum am 2. Weihnachtstag ist umkämpft wie kaum ein zweiter Termin im Jahr, die Besetzung der Hauptrollen prominent und Regisseurin Franziska Meletzky bereits mehrfach tatorterprobt (zuletzt: der Lindholm-Doppelpack Wegwerfmädchen und Das goldene Band). Auch beim Drehbuch geht der MDR auf Nummer sicher: Murmel Clausen schrieb unter anderem das Skript zum Mega-Kinoerfolg Der Schuh des Manitu, und sein Autorenkollege Andreas Pflüger arbeitet mit Die fette Hoppe bereits zum 18. Mal an einem Fadenkreuzkrimi mit. Diese Maßnahmen zahlen sich aus: Trotz eines klassischen Fehlstarts, bei dem die hochschwangere Dorn ihrem vornamenlosen Kollegen Lessing im Schwitzkasten eines Geiselnehmers ein plump vom damals werdenden Vater und heutigen ARD-Fußballexperten Mehmet Scholl ("Mir ist völlig egal, was es wird. Hauptsache er ist gesund.") abgekupfertes Zitat zum Besten gibt, laufen Tschirner und Ulmen mit zunehmender Spieldauer zu Hochform auf und hauen sich die meist mehr, selten weniger amüsanten One-Liner fast im Minutentakt um die Ohren.

Dorn: "Sie sollten doch bei der Leiche bleiben!"
Lessing: "Joa. Die läuft doch nicht weg, Frau Dorn!"

Der Tatort aus Münster lässt grüßen - doch während Thiel und Boerne allmählich in die Jahre kommen undimmer seltener an die Klasse früherer Tage anknüpfen, sind die neuen Kollegen aus Weimar naturgemäß noch völlig unverbraucht. Als besonders gelungener Coup erweist sich die Entscheidung der Filmemacher, dem Publikum zunächst zu verschweigen, dass Lessing und Dorn liiert sind und das Baby das gemeinsame der Kommissare ist - der verblüffende Paukenschlag im Mittelteil des Films ist ein Geniestrich und legt den Grundstein für weitere amüsante Folgen aus der Dichterstadt. Mit einem Tatort der alten Schule hat das wenig zu tun: Die tiefgefrorene Leiche, die weitergereicht wird wie eine Schaufensterpuppe, finden Lessing und Dorn erst nach einer Stunde, Auflösung und Täterfrage sind zweitrangig und der auffallend ironische Kontrapunkt zum ernsten Rest der Krimireihe (Münster und die Saarbrücker Ulknudeln ausgenommen) ist hier der Schlüssel zum Erfolg. Dabei fügen sich auch Kriminalhauptkommissar Kurt Stich (Thorsten Merten, Der tote Chinese) und Kriminaltechniker Hans Bangen (Wolfgang Maria Bauer, Nie wieder frei sein) stimmig ein, wenngleich sie den Kinostars Tschirner und Ulmen erwartungsgemäß das Feld überlassen. Wer Spannung sucht, wird in Weimar allerdings keine finden: Verfolgungsjagden absolvieren die Ermittler in der gemütlichen Kutsche des tatverdächtigen Caspar Bogdanski (Dominique Horwitz, Schatten), während im Motorraum des Dienstwagens tote Nager verwesen (Dorn: "Sieht mir nach 'nem klassischen Selbstmarder aus!"). Dennoch: Die fette Hoppe ist eine unterhaltsame und stellenweise brüllend komische Krimi-Persiflage, die den hohen Erwartungen trotz der flachen Spannungskurve gerecht wird und den Münsteraner Kollegen den Fehdehandschuh hinwirft.

Bewertung: 7/10

Borowski und der Engel

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Folge: 892 | 29. Dezember 2013 | Sender: NDR | Regie: Alexander Kleinert

So war der Tatort:

Bild: NDR/Christine Schröder
Krönend - denn der letzte Tatort des Jahres 2013, in dem es wie immer Höhen, Tiefen und viel Mittelmaß gab, ist zugleich der beste. Das ist kein Zufall: Wenn Drehbuchautor Sascha Arango - der unter anderem die hochkarätigen Skripts zum Kopper-Debüt Der kalte Tod oder den Kieler Folgen Borowski und das Mädchen im Moor und Borowski und die Frau am Fenster schrieb - am Ruder sitzt, dann kann einfach nichts schief gehen. Erneut konzipiert der Ausnahmeautor eine extrem reizvolle Geschichte, die mit mehreren eisernen Tatort-Prinzipien bricht, gekonnt mit ihnen spielt und von der ersten bis zur letzten Minute an den Fernsehsessel fesselt. Dabei verzichtet Arango in Borowski und der Engel einmal mehr auf das gewohnte Whodunit-Prinzip: Wenngleich die vereinsamte Altenpflegerin Sabrina Dobisch (fantastisch: Lavinia Wilson) eigentlich nur einen Katzenunfall provozieren und als vermeintlich Trauernde die tröstenden Worte ihrer Mitmenschen ernten will, wird sie durch das Ausweichmanöver der bedauernswerten Autofahrerin Doris Ackermann (Leslie Malton, Teufel im Leib) plötzlich zur indirekten Mörderin. Ackermann rast stattdessen in die Fensterfront eines Blumengeschäfts und erwischt den Jungpianisten und Frauenschwarm Christian von Meeren (Martin Bruchmann) tödlich. Kein klassischer Auftaktmord, kein echtes Motiv, kein Miträtseln bei der Täterfrage - und doch ist Borowski und der Engel so packend wie kaum eine zweite Folge im Jahr 2013. Denn ist die Frage, ob die Kieler Hauptkommissare Klaus Borowski (Axel Milberg) und Sarah Brandt (Sibell Kekilli) der weitermordenden Dobisch in bester Columbo-Manier am Ende das Handwerk legen können, für den Zuschauer vielleicht nicht die viel fesselndere als die normalerweise gestellte nach Täter oder Täterin?

Bis zur Schlussminute bleibt offen, ob Borowski und Brandt den perfiden Todesengel hinter Gitter bringen. Dass eine Leiche verschwunden bleibt und Dobisch vielleicht sogar für ein Verbrechen büßen muss, dass sie gar nicht begangen hat, ist die Krönung der clever arrangierten und bis ins Detail durchdachten Geschichte. Allein der groteske Wendepunkt, bei dem von Meeren-Freund André Rosenthal (Bruno Cathomas, Schöner sterben) sich einen tödlichen Cocktail verabreicht, macht deutlich, dass der Tatort auch nach über 40 Jahren Mattscheibenpräsenz noch immer originelle Einfälle aus dem Hut zaubert - zumindest dann, wenn ein Autor wie Arango, der mit Milberg befreundet ist, vom federführenden Sender mit entsprechenden kreativen Freiheiten ausgestattet wird. Der 893. Tatort lebt aber nicht nur von seinem erstklassigen Drehbuch, sondern auch von seinen glänzend aufgelegten Schauspielern, zu denen auch Sesamstraßenlegende Horst Janson und Victoria von Trauttmannsdorff (Schwindelfrei)zählen: Allein die formidabel aufspielende Grimme-Preis-Trägerin Lavinia Wilson (Falsches Leben) ist das Einschalten wert. Wilson brilliert in der Rolle als eiskalter Engel und wandelt sich binnen Sekunden von der bemitleidenswerten Einzelgängerin zum perfiden Täuschungsprofi. Die beste Szene gehört dennoch Kriminalrat Roland Schladitz (Thomas Kügeler): Der hantiert diesmal leichtsinnig mit einer Schusswaffe und ballert Brandt im Nebenzimmer fast vom Bürostuhl. Neben solchen gröberen, aber vortrefflich zündenden Gags sind es auch die gewohnt subtil eingeflochtenen, humorvollen Zwischentöne, die Borowski und der Engel als Gesamtkomposition zu dem Tatort-Highlight des Jahres machen und die Spitzenposition des Krimis aus der Fördestadt - der seit Jahren nicht mehr enttäuscht hat - in bemerkenswerter Manier zementieren. Hut ab.

Bewertung: 9/10

Türkischer Honig

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Folge: 893 |1. Januar 2014 | Sender: MDR | Regie: Claudia Hartmann

So war der Tatort:

Bild: MDR/Andreas Wünschirs
Halbschwesterlich. Fast zweieinhalb Jahre liegt der Leipziger Tatort Nasse Sachen mittlerweile zurück - und gipfelte einst in einem bemerkenswerten Finale: Hauptkommissarin Eva Saalfeld (Simone Thomalla) brachte im Juni 2011 nicht irgendeinen Mörder hinter Schloss und Riegel, sondern ihren eigenen Vater Horst (Günter Junghans, Krumme Hunde). Den trifft sie in Türkischer Honig nun im Besuchsraum der Haftanstalt wieder, doch damit nicht genug: Auch Saalfelds bis dato unbekannte Halbschwester Julia (Josefine Preuß, Die Unmöglichkeit, sich den Tod vorzustellen) meldet sich aus heiterem Himmel bei der Kommissarin und wird Sekunden später auf offener Straße entführt. Hoppla! Weil sie aber schon kurze Zeit später wieder auftaucht - krimierfahrene Zuschauer ahnen früh, warum - bleibt noch reichlich Zeit für halbschwesterliche Kontroversen: Eva und Julia kennen sich zwar eigentlich gar nicht, streiten und schluchzen sich aber trotzdem durch den Film, werfen sich gegenseitig die Versäumnisse der letzten Jahre vor und bremsen den Kriminalfall um den ermordeten türkischen Kredithai Abdul Günes (Mohammad-Ali Behboudi, Wer das Schweigen bricht) damit immer wieder aus. Einmal mehr offenbart sich dabei, dass facettenreiches Mienenspiel nicht unbedingt zu Simone Thomallas Stärken zählt: Die Gefängnisszene mit ihrem verhassten Vater ist enttäuschend, und in den zahlreichen Streitgesprächen spielt Josefine Preuß ihre ältere Schauspielkollegin ein ums andere Mal an die Wand. Spaß macht da schon eher Kollege Andreas Keppler (Martin Wuttke), der in markigen Wortgefechten mit dem türkischen Bilderbuch-Kleinkriminellen Ergol Günes (Denis Moschitto, Hochzeitsnacht) sein Revier markiert.

Was die Annäherung an die türkische Kultur angeht, liefert der 893. Tatort aber kaum mehr als Altbekanntes und müde Klischees: Aha, beim Türken gibt es Mokka, Tee und leckeres Gebäck, und während die erste Zuwandergeneration noch fest im Islam verwurzelt ist und täglich gen Mekka betet, brausen die ungläubigen Nachkommen mit Zuhälterkarre und offenem Verdeck zu orientalischen Klängen durch die Leipziger Innenstadt  - ganz so, wie es ihnen Saalfeld und Keppler in einer furchtbar witzlosen Sequenz gleich tun. Drehbuchautor Andreas Pflüger (Die fette Hoppe) hätte gut daran getan, nicht auch noch Kriminalassistent Wolfgang Menzel (Maxim Mehmet), der nach der fast freundschaftlichen Annäherung im letzten Leipziger Tatort Die Wahrheit stirbt zuerst plötzlich wieder auf Kriegsfuß mit Keppler steht, einen türkischen Vater anzudichten: Menzel bietet seinem Vorgesetzten orientalische Teigröllchen an wie Sauerbier und wird sogar zu radebrechendem Türkisch genötigt. Das ist Völkerverständigung mit der Brechstange und macht den ansonsten soliden und durchaus spannenden Fadenkreuzkrimi immer wieder zum Ärgernis. Immerhin: Die Auflösung fällt knifflig aus, weil sich drei bis vier Verdächtige gleichermaßen stark als Täter aufdrängen und erst in den Schlussminuten Licht ins Dunkel kommt. Für einen guten Tatort ist es dalängst zu spät: Türkischer Honig ist gerade im Vorgleich zur bärenstarken Vorwoche mit Die fette Hoppe und Borowski und der Engel ein enttäuschender Auftakt ins Tatort-Jahr 2014.

Bewertung: 4/10

Der Eskimo

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Folge: 894 | 5. Januar 2014 | Sender: HR | Regie: Achim von Borries

So war der Tatort:

Bild: HR/Bettina Müller
Meyfrei. Dass beim Tatort die besten Ermittler nicht immer zuletzt gehen, ist spätestens seit dem Abschied des großartigen Hamburger Undercover-Ermittlers Cenk Batu (Mehmet Kurtulus, Der Weg ins Paradies) bekannt - und auch Nina Kunzendorf (Der Tote im Nachtzug), die Frankfurtin den letzten Jahren als Hauptkommissarin Conny Mey aufmischte, strich nach ihrem letzten Auftritt in Wer das Schweigenbricht viel zu früh die Segel. Kurz darauf gab auch Kunzendorfs Tatort-Partner Joachim Król seinen Ausstieg bekannt - doch anders als seine Kollegin bleibt der Charakterdarsteller der Krimireihe zumindest noch für zwei weitere Folgen als Hauptkommissar Frank Steier erhalten. Ein Solo-Auftritt ist sein sechster Einsatz deshalb noch lange nicht: Der Hessische Rundfunk, der mit Wolfram Koch und Margarita Broich bereits das Frankfurter Nachfolgeteam bekannt gegeben hat, stellt ihm für Der Eskimo einmalig Alwara Höfels (Alles hat seinen Preis) zur Seite, die Kunzendorfs Abschied als nassforsche Kriminalkommissarsanwärterin Linda Dräger zumindest ein Stück weit auffangen und dem giftigen Steier ("Was machen Sie hier eigentlich? Schülerpraktikum?") Paroli bieten soll. Die Betonung liegt auf soll - denn anders als ihre toughe Vorgängerin bewegt sie sich bei den zahlreichen Streitgesprächen eher selten auf Augenhöhe mit dem cholerischen Alki-Kommissar. An Höfels' schauspielerischen Qualitäten liegt das freilich nicht: Das Drehbuch von Achim von Borries (Wie einst Lilly), der auch Regie führt, und Hendrik Handloegten (Der tote Chinese) ist nun mal stark auf den verkaterten Kommissar zugeschnitten, der nach einer durchzechten Nacht auf einer Parkbank aufwacht und kurz darauf Zeuge eines Mordes wird.

Schon Steiers kläglich scheiternde Verfolgung der Täterin offenbart, dass Der Eskimo als Trinkerdrama deutlich besser funktioniert als als Sonntagskrimi zum Miträtseln: Der wirre Kriminalfall, zu dessen Auflösung die Ermittlerden Text von Manfred Manns Evergreen Mighty Quinn auseinander pflücken, wäre in einem Science-Fiction-Film aus Hollywood deutlich besser aufgehoben als in einem Fadenkreuzkrimi. Amerikanische Elite-Soldaten und Alien-DNA in einem Tatort? Kaum zu glauben. Da nützt es wenig, dass Dräger über diesen hanebüchenen Handlungsstrang - der Ludwigshafener Kult-TatortTod im All lässt grüßen - witzelt und die Gedanken vieler Fernsehzuschauer unfreiwillig auf den Punkt bringen dürfte. Während die krude Militärgeschichte aber zumindest frischen Wind in die Krimireihe bringt, ist im 894. Tatort ansonsten alles genau so angelegt, wie man es erwartet: Das emotional aufgeladene Wiedersehen mit Steiers Ex-Frau Jutta (Jenny Schily) - das ein paar starke Szenen beim gemeinsamen Lieblingsitaliener mit sich bringt - ist natürlich kein Zufall, sondern eng mit der früh vorhersehbaren Auflösung der Täterfrage verknüpft. Während sich dem Zuschauer spätestens nach einer Dreiviertelstunde überdeutlich offenbart, was es mit der Joggerin, Juttas deutlich jüngerem Lover Lars (Volker Bruch, Unbestechlich) und der verschwundenen Transe aus der Nachbarwohnung des zweiten Opfers auf sich hat, tappen Steier und Dräger jedoch eine halbe Ewigkeit im Dunkeln: So wirkt auch der spannend arrangierte Showdown recht konstruiert. So ist Króls sechster Einsatz in Frankfurt zwar kein wirklich schwacher, aber sein bisher schwächster - bleibt zu hoffen, dass ihm nach bis dato vielen starken Auftritten in seinem letzten Tatort Das Haus am Ende der Straße (geplant für Herbst 2014) wieder ein besseres Drehbuch vergönnt ist.

Bewertung: 5/10

When Quinn the Eskimo gets here, everybody's gonna jump for joy...

Franziska

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Folge: 895 | 5. Januar 2014 | Sender: WDR | Regie: Dror Zahavi

So war der Tatort:

Bild: WDR/Martin Valentin Menke
Für die Jugend verboten - und daher verbannt auf 22 Uhr und um ein halbes Jahr verschoben. Ursprünglich sollte Franziska bereits im Juni 2013 zur gewohnten Sendezeit über die deutschen Mattscheiben flimmern - doch dann intervenierten die Sittenwächter der ARD und verweigerten dem 58. gemeinsamen Einsatz der Kölner Hauptkommissare Max Ballauf (Klaus J. Behrendt) und Freddy Schenk (Dietmar Bär) aus Jugendschutzgründen die Freigabe für die Prime Time. Ein Tatort im Spätprogramm - das gab es zwar schon 1980 (Der gelbe Unterrock) und 1998 (Ein Hauch von Hollywood), doch ganz einleuchten will diese Maßnahme nicht: Franziska ist zwar hart, für Tatort-Verhältnisse sogar sehr hart, aber angesichts zurückliegender Folgen wie dem alptraumhaften Meilenstein Verschleppt oder der kaum minder brutalen Wiener Milieustudie Angezählt weit davon entfernt, den Bogen in Sachen Gewalt zu überspannen. Der späte Sendetermin ist im Übrigen gleich doppelt ärgerlich: Wer als Frühaufsteher nach dem direkt davor ausgestrahlten Der Eskimo das wohlverdiente Bett aufsucht, hat den schlechteren Krimi gesehen und ausgerechnet den besten Kölner Tatort seit Jahren verpasst. Denn Franziska ist ein fesselndes, nicht eine Sekunde langweiliges Kammerspiel, ein fiebriges Psychoduell auf engstem Raum, dasTessa Mittelstaedt bei ihrem letzten Auftritt als titelgebende Franziska Lüttgenjohann endlich Gelegenheit gibt, ihr schauspielerisches Potenzial in die Waagschale zu werfen und sich von ihrer eindimensionalen Rolle als männerverschleißende Überstundenrekordlerin zu emanzipieren.

Die treue Bürokraft und ehrenamtliche Bewährungshelferin, die in der Kölner JVA von Häftling Daniel Kehl (stark: Hinnerk Schönemann, Ausweglos) als Geisel genommen wird, trägt bei ihrem dramatischen Tatort-Abschied fast über die komplette Spielzeit einen scharfen Kabelbinder um den Hals, der einen SEK-Einsatz im Besucherraum der Haftanstalt ungemein riskant macht: Selbst wenn der Zugriff gelingt, tendieren die Überlebenschancen der Kriminalassistentin gen Null, sollte Kehl die Kehlenschlinge mit letzter Kraft zuziehen. Nur einer von vielen cleveren Einfällen von Drehbuchautor Jürgen Werner (Eine andere Welt), die Regisseur Dror Zahavi (Auf ewig Dein) hochspannend in Szene setzt und den 895. Tatort so bis zum dramatischen Showdown zu einer buchstäblich fesselnden und extrem unterhaltsamen Angelegenheit macht. Dass Franziska dabei auch zum traditionellen Miträtseln geeignet ist, liegt an einer gekonnten Parallelkonstruktion: Während Ballauf ("A wie Arschloch, L wie Lahmarsch...") und Schenk in einem Wettlauf gegen die Zeit nach dem Mörder von Kehls Mithäftling Sergej Rowitsch (Dimitri Bilov, Spargelzeit) suchen, zieht sich die Schlinge um Franziskas Hals immer enger zu. Erst bei der finalen Zusammenführung der beiden Handlungsstränge schwächelt der Film: Just in dem Moment nämlich, in dem Ballauf und Schenk das entscheidende Puzzleteil finden, nimmt auch die erbitterte Auseinandersetzung im Besucherraum eine zu diesem späten Zeitpunkt sehr konstruiert wirkende Wende. Der dramatische Showdown, bei dem die Auflösung der omnipräsenten Frage "Stirbt sie oder stirbt sie nicht?" endlich beantwortet wird, läuft fast komplett in Zeitlupe ab und wird in der letzten Szene durch schmalzige Worte auf dem Präsidium abgemildert. Hier wäre weniger mehr gewesen - doch auch so ist Franziska das Wachbleiben am Sonntagabend wert und ein würdiger Abschied für Tessa Mittelstaedt, die über dreizehn Jahre lang eine feste Größe in der Domstadt war.

Bewertung: 8/10

Todesspiel

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Folge: 896 | 19. Januar 2014 | Sender: SWR | Regie: Jürgen Bretzinger

So war der Tatort:

Bild: SWR/Stephanie Schweigert
Kostspielig. Zumindest für Hauptkommissar Kai Perlmann (Sebastian Bezzel): Der schleust sich in Todesspiel undercover in eine Clique der Schönen, Reichen und Leichen ein - und bleibt nach einem feuchtfröhlichen Champagnerabend prompt auf seiner vierstelligen Spesenrechnung sitzen. Immerhin: Neben dem Spott seiner Kollegin Klara Blum (Eva Mattes) und seiner Assistentin Annika "Beckchen" Beck (Justine Hauer) bringt Perlmann die Begegnung mit der ahnungslosen Boutiquenbesitzerin Nadine (Alexandra Finder, Schweinegeld), die ihn in die dekadente Clique um Mordopfer und Enfant Terrible Benjamin Wolters (Michael Pink, Der illegale Tod) einschleust, zumindest ein paar Komplimente ein. Der Tatort aus Konstanz macht also genau da weiter, wo er im Juni 2013 aufgehört hat: Bereits in Letzte Tage durfte der blonde Kommissar beim weiblichen Geschlecht auf Tuchfühlung gehen - das Ergebnis war eine spannungsfreie, dramaturgisch vollkommen verkorkste Krimischmonzette, bei der man am Ende fast froh sein konnte, dass Perlmann und die leukämiekranke Studentin Mia (Natalia Christina Rudziewicz, Abgezockt) wieder getrennte Wege gingen. Ganz so seicht und langatmig geht es diesmal zwar nicht zur Sache - doch vor allem im Vergleich zum hochspannenden Kölner Vorgänger Franziska, der zwei Wochen vor der Todesspiel-Ausstrahlung ein Millionenpublikum um den Schlaf brachte, zeigt sich einmal mehr, dass der Tatort vom Bodensee seit jeher zu den gemächlichsten der Krimireihe zählt und der SWR offenbar nicht gewillt ist, seinen Krimi von diesem Image zu emanzipieren. Im Gegenteil: Allen russischen Roulette-Einlagen zum Trotz wäre der Krimititel Trauerspiel für den 896. Tatort der deutlich treffendere.

Regisseur Jürgen Bretzinger (Schmuggler) und Drehbuchautor Leo P. Ard (Das erste Opfer) bieten die perfekte Einschlafhilfe für den Sonntagabend: Die Inszenierung ist einfallslos und bieder, die Dialoge sind harmlos bis grauenhaft und knisternde Spannungsmomente schlichtweg nicht vorhanden. Erst in den Schlussminuten (vorausgesetzt, der Zuschauer ist bis dahin wach geblieben) kommt das zähe Todesspiel ein wenig auf Touren, doch für einen guten Krimi ist es da längst zu spät. Hinzu kommt eine Vorhersehbarkeit, die exemplarisch für so manches Drehbuch der Reihe steht: Wenn eine verdächtige Person gebürtig vom Balkan stammt - man denke zurück an den mäßigen letzten Wiesbadener Tatort Schwindelfrei - dann blickt sie im Tatort immer auf eine bewegte Vergangenheit zurück und hat garantiert Dreck am Stecken. Warum sollte die Abstammung von Alisa (Anna Bederke,Der Weg ins Paradies), die das Mordopfer beim Sexspiel zurückwies, wohl sonst eine Rolle spielen? So bleibt außer eines charismatischen Auftritts des ehemaligen Frankfurter Staatsanwalts Thomas Balou Martin (Das Böse) und ein paar launigen Perlmann-Kommentaren am Ende wenig Positives in Erinnerung - schon gar nicht das bemühte Dauergefoppe auf dem Präsidium, bei dem man den sympathischen Ermittler am liebsten persönlich von seinen nervtötenden Kolleginnen erlösen und in ein anderes Revier versetzen würde. Und dann ist da noch der bedauernswerte Sänger und naive Casting-Show-Zweite Daniel (Daniel Roesner, Der Polizistinnenmörder), der seinen heimlichen Fan "Beckchen" natürlich schon bei der ersten Begegnung zum Schmachten bringt: Müder als die Weisheiten des naiven Teenieschwarms, der von der Requisite fast über die komplette Spielzeit zum Tragen eines schwarzen Klischeehuts genötigt wird, können Seitenhiebe auf das Showbiz kaum ausfallen.

Daniel: "Der Traum, dass ich ein großer Star werde, war nach einem Jahr wieder ausgeträumt."

Sag bloß.

Bewertung: 3/10

Adams Alptraum

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Folge: 897 | 26. Januar 2014 | Sender: SR | Regie: Hannu Salonen

So war der Tatort:

Bild: SR/Manuela Meyer
Alptraumhaft - doch anders als zuletzt nicht für das Fernsehpublikum, sondern für einen vermeintlich pädophilen Schwimmtrainer. Spott und scharfe Kritik hatte es für die ersten zwei Tatort-Folgen mit Jens Stellbrink (Devid Striesow) und Lisa Marx (Elisabeth Brück) gehagelt: Schon das Debüt Melinda ging in die Hose und wurde vom peinlichen Totalausfall Eine Handvoll Paradiessogar noch unterboten (beide Krimis landeten direkt in den WwdT-Flops 2013). Ein dritter Rohrkrepierer in Folge bleibt den Zuschauern zum Glück erspart: Schon vor Monaten ließ sich erahnen, dass sich der federführende Saarländische Rundfunk die vernichtende Kritik von Presse und Publikum zu Herzen genommen hat. Tatort-Redakteur Christian Bauer kündigte "Justierungen" an, die uns Schauspielerin Sandra Steinbach - zum dritten Mal als unterkühlte Staatsanwältin Nicole Dubois zu sehen - im WwdT-Interview bestätigte. Sie halten Wort: Adams Alptraum ist nicht ansatzweise so klamauklastig wie die beiden Vorgänger - was auch daran liegt, dass sich die Drehbuchautoren Lars Montag und Dirk Kämper für große Zugeständnisse an die gängigen Tatort-Konventionen entscheiden und sich ein für Ironie denkbar ungeeignetes Thema vorknöpfen: Kindesmissbrauch. Schwimmtrainer Sven Haasberger (Markus Hoffmann) gerät in den Verdacht, sich seinen Schülern unsittlich genähert zu haben und wird daraufhin von einer vermummten Flashmob-Meute in der Saarbrücker Innenstadt fast totgeprügelt. Ein Schwimmtrainer? Stimmt, da war ja was: Bereits 2002 arbeitete im Tatort ein Pädophiler am Beckenrand - im schwachen Odenthal-Krimi Schrott und Totschlag, der dank hanebüchener Zufälle und unerträglicher Stereotypen zum Ärgernis geriet. 

Das ist Adams Alptraum selten: Regisseur Hannu Salonen, der mit Verschleppt den spannendsten Saarbrücker Tatort aller Zeiten inszenierte und zum dritten Mal in Folge am Ruder sitzt, stellt nach den letzten Fehlschlägen unter Beweis, dass ihm ein atmosphärisch dichter und spannender Krimi vielleicht eher liegt als ein Feuerwerk der Absurditäten. Die Balance zwischen Komik und Tragik ist stimmig, Stellbrink - stark vor allem die Szenen mit dem geistig behinderten Finn (Daniel Neu) - wirkt geerdeter und auch die übrigen Figuren werden weit weniger überzeichnet als in Melinda und Eine Handvoll Paradies. Einzig Eisblock Marx (Stellbrink: "Deswegen heißt du bei den Kollegen ja auch Mrs. Spock: wegen dem Stock.") stagniert als unterkühltes Anhängsel, das kein einziges Lächeln über die Lippen bringt und dem älteren Publikum den Begriff "Flashmob" erklären muss.Der übereifrige Spurensicherungsleiter Horst Jordan (Hartmut Volle) leistet wertvolle Helferdienste, Margot Müller (Silvia Bervingas) feiert ein sympathisches Kurz-Comeback und Staatsanwältin Dubois hält sich spürbar mit nervtötenden Störfeuern zurück. Das doppelbödige Verwirrspiel um Kindesmissbrauch, Vorverurteilung und die Gefahren anonymer Chaträume gerät zwar etwas unübersichtlich und wird am Ende hölzern rekapituliert, dank modernem CSI-Look und auffallend blaustichigen Bildern aber zumindest ansprechend inszeniert. Und beim starken Showdown darf sogar richtig mitgefiebert werden, weil Ex-Chaos-Cop Stellbrink sich bei einer Fahrt im Linienbus selbst als Lockvogel zur Verfügung stellt. Dass einer der Täter in Zeiten von boomendem Internethandel anhand verrauschter Bilder seiner ausgefallenen Turnschuhe identifiziert wird - geschenkt. Denn der dritte Tatort mit Stellbrink und Marx ist ein großer Schritt in die richtige Richtung, dem am 2. Weihnachtstag 2014 in Weihnachtsgeld gern der nächste folgen darf.

Bewertung: 6/10

Auf ewig Dein

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Folge: 898 | 2. Februar 2014 | Sender: WDR | Regie: Dror Zahavi

So war der Tatort:

Bild: WDR/Thomas Kost
Schwindelerregend. Der große Showdown von Auf ewig Dein findet schließlich in luftiger Höhe auf einem Dortmunder Hochhausdach statt, auf dem es zwischen Hauptkommissar Peter Faber (bärenstark: Jörg Hartmann) und dem unberechenbaren Markus Graf (Florian Bartholomäi, Ein ganz normaler Fall) zu einem packenden Psychoduell kommt. Der vierte Dortmunder Tatort ist einmal mehr eine One-Man-Show des egozentrischen Ermittlers, der einst Grafs Vater hinter Gitter brachte und nun damit umgehen muss, dass ihm der mittlerweile erwachsene Sohn seine Frau und Tochter nahm und weitere unschuldige Mädchen auf dem Gewissen hat. Die Puzzlestücke der bewegten Faberschen Vergangenheit, die in den ersten drei Ruhrpott-Krimis Alter Ego, Mein Revier und Eine andere Welt nach und nach ein Gesamtbild ergaben, fügen sich zusammen und machen den 898. Tatort zum bis dato persönlichsten für den exzentrischen Kommissar. Mehr als einmal muss seine Kollegin Martina Bönisch (Anna Schudt) mentale Aufbauhilfe leisten und als menschlicher Katalysator einspringen, um die tickende Zeitbombe Faber überhaupt im Zaum halten zu können. Das macht Laune - wer aber mit Fabers Ego-Touren bisher nichts anfangen konnte, wird auch mit Auf ewig Dein nicht glücklich werden. Drehbuchautor Jürgen Werner (Klassentreffen), der auch die Bücher zu den ersten drei Dortmunder Folgen beisteuerte, setzt seinen eigenwilligen Kurs fort, stellt für seine Figuren aber zugleich die Weichen für eine von Veränderungen geprägte Zukunft. Und setzt erneut auf bissige One-Liner und amüsante Zwischentöne - zum Beispiel dann, wenn der gewohnt verlottert auftretende Faber bei einer Stippvisite in der Reinigungsfirma von Stefan Passek (Martin Reik) irrtümlich für einen schlecht gekleideten Bewerber gehalten wird.

Passek:"Wenn Sie'n Job suchen, lassen Sie's, ich stelle keine Obdachlosen ein!"

Schwindelerregend ist aber nicht nur der Showdown, sondern auch das Tempo, dass Regisseur Dror Zahavi (Franziska) in den ersten zwanzig Minuten vorlegt: Wer kurz aufs Klo geht oder nicht pünktlich eingeschaltet hat, wird Mühe haben, die vielen neuen Namen später nicht durcheinander zu werfen. Dieser Zeitrafferkurs bei der Suche nach dem Mörder der 12-jährigen Miriam kommt nicht von ungefähr: Erneut werden in Dortmund viele Nebenkriegsschauplätze beackert, so dass für Ermittlungsarbeit und Übersicht schaffende Dialoge kaum Zeit bleibt. Während Faber zum Angriff auf Graf bläst, muss sich Bönisch mit Ex-Lover Toni Kelling (Jo Weil) herumärgern - der ist nicht nur Callboy, sondern auch Koksdealer und nutzt eine Begegnung auf dem Präsidium prompt für eine fiese Erpressung. Faber wäre nicht Faber, würde er Bönischs Geständnis nicht für seine ganz eigene Lösung des Problems nutzen, kann sich hier aber ein Stück weit von seinem Kollegenschwein-Image emanzipieren und überraschende Sympathiepunkte sammeln. Für die einstigen Turteltauben Daniel Kossik (Stefan Konarske) und Nora Dalay (Aylin Tezel) gilt dies freilich nicht: Keine zwei Monate nach Kira Dorn (Nora Tschirner) in Die fette Hoppe ist nun die nächste Tatort-Kommissarin schwanger und die dramaturgische Vollbremsung damit vorprogrammiert. Exemplarisch zeigt sich dies in der kitschigen Küchenszene, in der Rechtsmediziner Jonas Zander (Thomas Arnold) mit Laborergebnissen in die traute Zweisamkeit platzt: Kossik scheint darüber fast verärgert. Was kümmert ihn schließlich ein Mordopfer, wenn es um den eigenen Nachwuchs geht? Immerhin: Die Liaison zwischen Kossik und Dalay, die das Kind abtreiben möchte, scheint nach diesem Tatort beendet. Für die kommenden Folgen keine schlechten Voraussetzungen, will Dortmund endlich aus dem soliden Mittelmaß heraus.

Bewertung: 6/10

Großer schwarzer Vogel

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Folge: 899 | 9. Februar 2014 | Sender: rbb | Regie: Alexander Dierbach

So war der Tatort:

Bild: rbb/Conny Klein
Ein wenig lustlos - vor allem, was den Auftritt der Berliner Hauptkommissare angeht. Großer schwarzer Vogel ist der letzte, aber bei weitem nicht der beste gemeinsame Fall von Till Ritter (Dominic Raacke) und Felix Stark (Boris Aljinovic), die im September 2013 - ausgerechnet nach der bärenstarken Folge Gegen den Kopf - vom rbb überraschend über ihre Ablösung informiert wurden. Vor allem Raacke reagierte darauf verstimmt: "Wenn Schluss sein soll, dann richtig, eine große Abschiedsnummer wird es nicht geben",  gab der Schauspieler einer Berliner Zeitung zu Protokoll - und stand für den letzten gemeinsamen Dreh mit Aljinovic, der in der nächsten Folge Die Vorsehung einmalig allein ermitteln wird, kurzerhand nicht mehr zur Verfügung. Es überrascht nicht, dass seinem Großstadtcowboy Ritter im damals bereits abgedrehten 899. Tatort nicht einmal ein standesgemäßer Abschied aus der Krimireihe vergönnt ist: Heimlich, still und leise verlässt Raacke nach fünfzehn Jahren den Berliner Tatort - das passt irgendwie zu diesem gemächlich dahin plätscherndern, selten spannenden Krimi. Und man könnte fast meinen, Raacke und Aljinovic hätten zum Zeitpunkt der Dreharbeiten bereits von ihrem Abschied gewusst: Beide spulen ihre Sätze in Großer schwarzer Vogel relativ gelangweilt herunter und überlassen der deutlich beherzter agierenden Julia Koschitz (Schmuggler) über weite Strecken das Feld. Auch sonst ist ein schauspielerisches Leistungsgefälle unübersehbar: Florian Panzner (Blutdiamanten) kann als verfolgter Radiomoderator und Ex-Schwimmer, dem ein perfider Attentäter einleitend eine Briefbombe auf die Türschwelle legt, noch am ehesten mithalten, während die übrigen Nebendarsteller deutlich abfallen.

Dass der 30. Einsatz der Berliner Hauptkommissare, die 2001 in Berliner Bärchen zum ersten Mal gemeinsam auf Täterfang gingen, unter dem Strich enttäuscht, liegt aber auch am uninspirierten Drehbuch: Früh offenbart sich, dass der Weg zur Auflösung über Lohmanns gescheiterte Schwimmer-Karriere, den überzeichneten Klischee-Trainervater Hans (Hans Uwe Bauer, Heimspiel) und einen tragischen Autounfall mit doppelter Todesfolge führt. Jochen Greve (Hochzeitsnacht) setzt voll auf die etablierten Tatort-Prinzipien und weiß daher nur selten zu überraschen. Immer wenn aus der melancholischen Grundnote Langeweile zu werden droht, läuft einfach wieder ein Verdächtiger davon - Verfolgungsjagden ziehen im Tatort eben immer. Spannend ist Großer schwarzer Vogel deshalb - sieht man von der großartig inszenierten Auftaktexplosion im Treppenhaus einmal ab - noch lange nicht: Selbst als Lohmann-Freundin Anne (Klara Manzel) nachts von einem Einbrecher heimgesucht wird, will sich kein echter Gänsehautmoment einstellen. Und die überdeutlich von der WDR-Talksendung Domian inspirierte Geschichte um einen Radiomoderator im Visier des Verbrechens ist alles andere als neu: Bereits 2007 ermittelten die Hauptkommissare Max Ballauf (Klaus J. Behrendt) und Freddy Schenk (Dietmar Bär) im schwachen Tatort Nachtgeflüster in Jürgen Domians Wahlheimat Köln im Umfeld einer Radiomoderatorin und smalltalkten sogar on air mit einem Geiselnehmer, während heimlich das SEK anrückte. Ein solch realitätsfernes Szenario bleibt dem Zuschauer diesmal zum Glück erspart: Berlin zählt nun mal seit Jahren zu den bodenständigen Vertretern der Krimireihe und untermauert diesen Eindruck auch in Raackes wenig originellem Abschiedsfall. An den werden sich in einigen Jahren wohl nur wenige erinnern - dann schon eher an die herausragende Hommage Hitchcock und Frau Wernicke, die nach 36 Einsätzen seine beste Folge bleiben wird.

Bewertung: 4/10

Domian: Sein berühmtester Anrufer

Zirkuskind

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Folge: 900 | 16. Februar 2014 | Sender: SWR | Regie: Till Endemann

So war der Tatort:

Bild: SWR/Stephanie Schweigert
Weit entfernt von der Klasse früherer Tage. Was waren das noch für Zeiten, als die dynamische Jungkommissarin Lena Odenthal (Ulrike Folkerts) Ende der 80er Jahre in ihrem Debüt Die Neue frischen Wind in die männerdominierte Krimireihe brachte und in den 90er Jahren noch mit starken Drehbüchern wie dem zu Der kalte Tod gesegnet war. Heute, fast ein Vierteljahrhundert später, wirken sie und ihr langjähriger Partner Mario Kopper (Andreas Hoppe) wie ein Schatten ihrer selbst, weil sich die Figuren schon seit Jahren nicht mehr weiterentwickelt haben. Odenthals 59. Einsatz steht dafür exemplarisch: Wären da nicht die Mobiltelefone und die Frisuren der Kommissare, könnte man glatt meinen, Zirkuskind wäre der 400. oder 500., und nicht der 900. Tatort. Die langweilige Inszenierung von Till Endemann wirkt angestaubt, die Dialoge der Kommissare extrem hölzern und das Drehbuch von Harald Göckeritz, der bereits den letzten Ludwigshafener Tatort Freunde bis in den Tod in den Sand setzte, so einfallsreich wie eine rote Rose zum Valentinstag. Keine drei Monate nach Felix Murots spannungsarmem, aber zumindest originellen Pianisten-Intermezzo in Schwindelfrei schickt Göckeritz den Tatort erneut in die Manege, lässt Zirkusfan Odenthal freudestrahlend auf einem Drahtseil balancieren und beim Vorbeischlendern im Schaufenster eines Schmuckladens zufällig entscheidende Indizien für Mordmotive entdecken. Über das Innenleben einer Zirkusgemeinschaft hat Göckeritz nichts, aber auch gar nichts Interessantes zu erzählen: "Das sind doch alles arme Schlucker", wiederholt Geburtstagskind Edith Keller (Annalena Schmidt) die plumpe Ersteinschätzung ihres Vorgesetzten Kopper und bringt damit leider auch schon die einzige nennenswerte Erkenntnis des Krimis auf den Punkt.

Überboten wird die müde Sozialkeule nur noch durch die penetrante Wiederholung des Satzes "Du bist ein Zirkuskind" - gemeint ist Zirkuskind Felicitas, verkörpert von Nachwuchshoffnung Liv Lisa Fries, die seit dieser Woche im rührenden Drama Und morgen mittag bin ich tot das Kinopublikum zum Schluchzen und sich selbst für ambitioniertere Projekte als diesen schwachen Tatort ins Gespräch bringt. In ihrer Nebenrolle ist sie ebenso unterfordert wie Charakterdarstellerin Steffi Kühnert als Zirkuspatriarchin Louisana, die dem ermordeten Feuerspucker Pit (Mark Filatov) keine Träne nachweint, kurz vorm Abspann in ein peinliches Tutu gequetscht wird und beim Verhör selbst dann traurig ein Clownskostüm trägt, wenn seit Tagen alle Zirkusvorstellungen abgesagt wurden. Plakativer geht es kaum. Da passt es ins Bild, dass sich ihr antiquitätenschmuggelnder Angestellter Robbi (Hanno Koffler, Im Sog des Bösen) beim heimlichen Treffen mit einem Kontaktmann seine rote Zirkusjacke anzieht, um Kopper bei der Observierung in der Innenstadt auch ja nicht aus den Augen zu geraten. Die überzeugenden Nebendarsteller Kühnert, Fries und Koffler sind die einzigen Lichtblicke in einem Krimi, in dem die Ermittler gemeinsam im Zirkus Popcorn knuspern, um am Morgen danach eine Leiche in der Manege zu finden, in dem Kopper gebetsmühlenartig alles für den Zuschauer wiederholt, was ihm sein Gesprächspartner am Telefon gesagt hat, in dem der suizidgefährdete Bademantelträger (bedauernswert: Fritz Roth, Mord in der ersten Liga) eine eindrucksvolle Bewerbung für die dämlichste Nebenfigur der Tatort-Geschichte abgibt, und in dem die Krisenherde Irak und Libyen in einer zweiminütigen Schmuggel-Präsentation abgefrühstückt werden. Wären da nicht Fries & Co. und der ohne größere Logiklöcher konstruierte Mordfall - Zirkuskind wäre nach Flops wie Der Schrei oder Der Wald steht schwarz und schweiget das nächste Desaster aus Ludwigshafen geworden.

Bewertung: 3/10

Brüder

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Folge: 901 | 23. Februar 2014 | Sender: Radio Bremen | Regie: Florian Baxmeyer

So war der Tatort:

Bild: Radio Bremen
Beunruhigend. Man könnte fast meinen, der Schauplatz von Brüder wäre nicht Bremen, sondern Hamburg: Ein krimineller Clan, der eine Hansestadt fest im Griff hält, ein actionerprobter Regisseur und ein Showdown im Kugelhagel: Zwei Wochen bevor Nick Tschiller (Til Schweiger) und Yalcin Gümer (Fahri Yardim) es in Kopfgeld ein zweites Mal mit dem kriminellen Astan-Clan zu tun bekommen, nehmen es auch die deutlich dienstälteren Kollegen aus Bremen im Alleingang mit der organisierten Kriminalität auf. Hauptkommissarin Inga Lürsen (Sabine Postel) und ihr Kollege Nils Stedefreund (Oliver Mommsen) geraten mit dem arabischen Nidal-Clan unter Führung des brutalen Hassan  (charismatisch: Game of Thrones-Star Dar Salim) aneinander - und mit dem ist wahrlich nicht zu spaßen. Eine Woche nach dem schwachen Odenthal-Schongang Zirkuskind schaltet der dreifache Grimme-Preisträger Wilfried Huismann(Schlafende Hunde), der das Drehbuch gemeinsam mit Dagmar Gabler (Unter Druck) schrieb, neunzig Minuten lang auf Schleudergang und entspinnt in der Weserstadt ein beängstigendes und zugleich hochspannendes Szenario, das sich erfreulicherweise nicht in billigen Actionszenen verliert. Hassan und seine finsteren Brüder Ahmed (Kailas Mahadevan) und Mo (Hassan Akkouch) treten Polizistin Anne Peters (Anna-Lena Doll) bei einem vermeintlichen Routine-Einsatz halb tot und bringen das Polizeipräsidium mit Kraftausdrücken, Handgreiflichkeiten und höchst aggressivem Auftreten auf Trab. Spätestens, als Mo der Kommissarin ohne Vorwarnung ins Gesicht spuckt, ist dieses extreme, dabei aber nie zu klischeebeladene Szenario kaum noch zu ertragen: Anders als die Ermittler weiß der Zuschauer um den Hergang der Schreckenstat und würde die provokanten Brutalos am liebsten kollektiv wegsperren. Doch so einfach ist das natürlich nicht.

Huismann und Gabler bringen die Ohnmacht des Rechtsstaats, in dem die Ordnungshüter wie ein Spielball der Staatsanwaltschaft und organisierten Kriminalität wirken, schonungslos auf den Punkt und unterfüttern den im Tatort oft weichgespülten Polizistenalltag mit erschütternder Dramatik. Exemplarisch dafür steht das Schicksal von Streifenpolizist David Förster (stark: Christoph Letkowski, Scherbenhaufen), der Peters nicht zu retten versucht und später von seinen Kollegen wie ein Aussätziger behandelt wird: Mit einer geladenen Maschinenpistole in der Hand steht er dem finsteren Hassan nach dessen Gräueltat gegenüber und zeigt trotz Waffe, Uniform und Ausbildung nur die menschlichste aller Reaktionen - nackte Angst ums Überleben. Regisseur Florian Baxmeyer gönnt dem Publikum kaum Verschnaufpausen und beweist nach dem atemberaubenden Batu-Tatort Häuserkampf erneut, dass er ein starkes Drehbuch mit einer stilsicheren Inszenierung zu vergolden weiß. In Brüder stimmt fast alles: Der Cast ist klasse, die Atmosphäre brutal beklemmend und die Geschichte einfach ungemein fesselnd. Auch weil private Störfeuer ausbleiben: Für Streitgespräche mit Tochter Helen (Camilla Renschke) bleibt der Goethe-zitierenden Lürsen ("Wer sich allzu grün macht, den fressen die Ziegen.") ebenso wenig Zeit wie für Trauer um ihren in Er wird töten ermordeten Lover Leo (Antoine Monot Jr.): Ein Bild auf dem Schreibtisch, das die Kamera wie zufällig einfängt - das war's. Die Filmemacher konzentrieren sich voll auf den packenden Kriminalfall und beziehen für öffentlich-rechtliche Verhältnisse bemerkenswert mutig Position: "Wenn ihre Söhne hier auf alles scheißen, dann müssen sie sich nicht wundern, wenn man hier auch auf sie scheißt", knallt Lürsen Familienvater Nidal an den Kopf. Hoppla! Die Kommissarin ist der willkommene Ruhepol in diesem authentischen und hochemotionalen Thriller, der in einer beunruhigenden Schlusspointe gipfelt und bis heute der spannendste aus der Weserstadt ist.

Bewertung: 9/10

Abgründe

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Folge: 902 | 2. März 2014 | Sender: ORF | Regie: Harald Sicheritz

So war der Tatort:

Bild: rbb/ORF/Petro Domenigg
Ungeniert. Der Wiener Oberleutnant Moritz Eisner (Harald Krassnitzer) und Major Bibi Fellner (Adele Neuhauser) müssen in Abgründe nämlich fast die Hälfte des Films ohne Dienstwaffe und Ausweis auskommen - und ist der Cop erst suspendiert, lebt es sich ganz ungeniert: Eisner und Fellner nehmen den Freibrief für unkonventionelle Methoden mit Kusshand an, ballern Verdächtigen mit einem Jagdgewehr den Flat-Screen vom Fernsehtisch, sprengen harmonische Familienfeiern und treten auch sonst so ziemlich jedem auf die Füße, der nicht bei drei in Deckung gesprungen ist. Kein Wunder: Abgründe ist eine dieser Tatort-Folgen, in der die Kommissare sich mal wieder gegen "die da oben" - in diesem Fall ihren Chef Ernst Rauter (Hubert Kramar), das BKA und das Ministerium - behaupten müssen, weil eine großangelegte Schweinerei - hier: ein Kinderpornoring - nicht an das Licht der Öffentlichkeit geraten soll. In der Krimireihe gab es das leider schon ziemlich oft, zuletzt z.B. im soliden Lindholm-Tatort Wegwerfmädchen, und deswegen kommt der achte Einsatz des sympathischen Ermittlerduos auch erst nach einer knappen Stunde und reichlich Standardstreitereien so richtig in Fahrt. Als Tochter Claudia (Tanja Raunig) ins Visier der Kriminellen gerät und ein Leben im Rollstuhl droht, brennen Dauergrantler Eisner endgültig die Sicherungen durch - und ab diesem Zeitpunkt wird Abgründe endlich zum spannenden Krimispaß. Da ist es zu verschmerzen, dass aus der ersten Filmhälfte vor allem die hoffnungslosen Flirtversuche von Kollegin Julia Wiesner (Stefanie Dvorak) in Erinnerung bleiben, die dem genervten Eisner nach ihren eindeutigen Avancen in Falsch verpackt ("Du hast ja 'nen schönen Busen - aber du musst ihn mir net immer ins Gesicht halten.") erneut schöne Augen macht und von Fellner dafür nur belächelt wird.

Regisseur Harald Sicheritz (Baum der Erlösung) und Drehbuchautor Uli Brée nehmen Bezug auf den Fall Kampusch und verteilen die Rollen von Gut und Böse im verschneiten Wien eindeutig: Der schmierige Bauunternehmer Werner Nussbacher (Thomas Mraz) sieht mit Pullunder, Riesenbrille, Schnurrbart und Spießerfrisur (s. Bild) schon aus wie ein Kinderschänder aus dem Bilderbuch, der undurchsichtige Polizeikollege Markus Frey (Michael Dangl) verhält sich einfach viel zu verdächtig, als dass er nichts auf dem Kerbholz hätte, und auch der scharfe Kasernenton des schwerreichen Paul von Fichtenberg (Heinz Trixner, Schlüssel zum Mord) lässt kaum ernste Zweifel an dessen finsterem Doppelleben aufkommen. Macht nichts: Hier stellt sich weniger die Frage nach den Tätern, sondern eher die nach der genauen Funktion der Kriminellen, und ob es den Ermittlern trotz aller Störfeuer von oben gelingt, die Pädophilen am Ende hinter Schloss und Riegel zu bringen. Der blutige Showdown und die pfiffige Schlusspointe sind dabei die Höhepunkte in einem Spiel ohne Regeln, in dem sich in der Wiener High-Society Abgründe auftun und es am Ende nur Verlierer gibt. Und Eisner und Fellner? Die zeigen sich einmal mehr in Top-Form und untermauern auch diesmal wieder ihren Status als eines der derzeitig stärksten Tatort-Teams: "Wir arbeiten in einem Saustall, und du hältst dich an die Regeln", wirft Fellner ihrem verdutzten Kollegen an den Kopf, und stiftet ihn förmlich dazu an, mal so richtig mit ihr über die Stränge zu schlagen. Das mag zwar nur bedingt realistisch sein, ist aber entwaffnend unterhaltsam und einfach unheimlich amüsant. Und ihre zum Dienstwagen umfunktionierte "Schlampenschleuder" von Busenkumpel Inkasso-Heinzi ist jetzt schon kultiger als jede Karre, die Kollege und Autoliebhaber Freddy Schenk (Dietmar Bär) in Köln jemals fahren dürfte.

Bewertung: 7/10

Kopfgeld

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Folge: 903 | 9. März 2014 | Sender: NDR | Regie: Christian Alvart

So war der Tatort:

Bild: NDR/Marion von der Mehden
Leichenreich. Auf sage und schreibe neunzehn Leichen bringt es Kopfgeld,der zweite Einsatz von Rüpel-Cop Nick Tschiller (Til Schweiger) und seiner besseren Hälfte Yalcin Gümer (Fahri Yardim) - das ist bis heute absoluter Tatort-Rekord. Schweiger & Co. wissen genau, was Schlagzeilen macht, und pulverisieren nicht nur den stattlichen Body Count aus Willkommen in Hamburg, sondern auch den bisherigen Höchstwert von Moritz Eisner (Harald Krassnitzer) und Bibi Fellner (Adele Neuhauser), die im hochspannenden Wiener Meilenstein Kein Entkommen2012 immerhin fünfzehn Tote zu beklagen hatten. Aber machen mehr Leichen auch automatisch einen besseren Krimi? Die Antwort ist ein klares Nein: Kopfgeld ist trotz der starken Inszenierung von Christian Alvart, der bereits bei Willkommen in Hamburg Regie führte, der knackigen Actionszenen und der tollen Bilder von Kameramann Jakub Bejnarowicz (Die Ballade von Cenk und Valerie) ein wenig schwächer als der Vorgänger. War das umstrittene Schweiger-Debüt noch ein adrenalinschwangerer, überraschend selbstironischer Popcorn-Spaß, gehen die LKA-Ermittler diesmal zum Lachen in den Keller: Vor allem Gümer kommen bei seinem angenehm schnodderigen Auftritt deutlich weniger spaßige One-Liner über die Lippen. Stattdessen übt sich der Sidekick in Political Correctness und biegt all die flapsigen Sprüche wieder gerade, die Tschiller und der herbeizitierte LKA-Drogenexperte Enno Kromer (Ralph Herforth, Tödliche Ermittlungen) bei den Ermittlungen gegen die kriminellen Kurden und Türken aus dem Ärmel schütteln. Hier hätte dem Drehbuch von Christoph Darnstädt ein wenig mehr Mut und weniger Allgemeinplätze zu Gesicht gestanden - dass das hervorragend funktionieren kann, hat der heiß diskutierte Bremer Tatort Brüder schließlich erst zwei Wochen vorher bewiesen.

Wer Willkommen in Hamburg mochte, wird aber auch an Kopfgeld Gefallen finden - in der Unterwelt werden keine Gefangenen gemacht und auch verbal ("Fick dich", "Fotze", "Arschloch") weht an der Waterkant ein rauer Wind. Unter Gangstern und Ermittlern hagelt es dabei aber vor allem Plattitüden und bemühten Gangslang, in den nervötenden Vater-Tochter-Szenen mit  Lenny Tschiller (Luna Schweiger) kitschige Familienweisheiten, und selbst Gümer schießt gelegentlich über das Ziel hinaus:"Wie talkst du eigentlich mit mir", brüllt der türkische Publikumsliebling den inhaftierten Astan-Kumpel Amed (Kasem Hoxha) an, und scheint dabei selbst nicht zu wissen, warum er nicht das deutlich gängigere Wort "reden" verwendet hat. Was Kopfgeld schwächer macht als Willkommen in Hamburg, ist aber auch das Fehlen eines charismatischen Gegenspielers: Während beim Tschiller-Debüt der zukünftige Berliner Hauptkommissar Mark Waschke als schmieriger Antagonist glänzte, ist der Feind diesmal kaum greifbar. Clan-Anführer Aykut Bürsum (Martin Umbach, Das Glockenbachgeheimnis) taucht erst in den Schlussminuten auf, die einflussreichsten Astan-Köpfe Firat (Erdal Yildizm, Odins Rache) und Ismael (Sahin Eryilmaz) sitzen hinter Gittern und deren Schergen unter Führung des finsteren Rahid (herrlich fies: Carlo Ljubek) bleiben nur austauschbare Stereotypen. Dass sich der skrupellose Schläger ausgerechnet Staatsanwältin Hanna Lennertz (Edita Malovcic), mit der Tschiller einleitend eine Nummer schiebt und dabei natürlich nackt von Frau und Tochter überrascht wird, zur Brust nimmt, verleiht dem Geschehen kaum Dramatik: Lennertz verbringt die zweite Filmhälfte zwar im Krankenhausbett, doch ihr Schicksal als unschuldiges Opfer macht nur bedingt betroffen, weil der Zuschauer sie eigentlich nie richtig kennenlernen durfte. Das falsche Spiel des frustrierten Drogenexperten Kromer hingegen wird viel zu früh offengelegt, so dass der Twist beim Showdown im Hamburger Hafen ohne Verblüffungseffekt verpufft. So wie der ganze Krimi, der trotz Leichenrekord und Kinoprominenz am Ende genau das ist, was er wohl am wenigsten sein will: müder Durchschnitt.

Bewertung: 5/10
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