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Channel: Wie war der Tatort?
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Die Feigheit des Löwen

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Folge: 924 | 30. November 2014 | Sender: NDR | Regie: Marvin Kren

So war der Tatort:

Bild: NDR/Christine Schroeder
Nicht ganz so "supergut", wie Hauptkommissar Thorsten Falke (Wotan Wilke Möhring) im Film gleich mehrfach betont, aber immerhin: ziemlich gut. Nach dem bärenstarken Debüt Feuerteufel, in dem Falke und seine Partnerin Katharina Lorenz (Petra Schmidt-Schaller) noch in Hamburg ermittelten, fanden diese sich nach der Beförderung durch den NDR nicht nur im Dienste der Bundespolizei, sondern leider auch im Mittelmaß wieder: Der Inselkrimi Mord auf Langeoog und die in Wilhelmshaven spielende Folge Kaltstart blieben hinter den Erwartungen zurück. Bei ihrem vierten Tatort-Einsatz zeigt der Pfeil allerdings wieder nach oben: Die Feigheit des Löwen, der einige Wochen vor seiner Erstausstrahlung auch beim Filmfest Hamburg zu sehen war, ist ein etwas unübersichtlicher, aber kraftvoller Flüchtlingskrimi, der durch eingeflochtene Radioberichte und TV-Bilder aus syrischen Bürgerkriegsgebieten gekonnt im aktuellen Zeitgeschehen verortet wird. Unterstützung erhalten Falke und Lorenz in Oldenburg von einer österreichischen Gerichtsmedizinerin, die sich in Sachen Unterhaltungswert vor dem Münsteraner Kollegen Karl-Friedrich Boerne (Jan Josef Liefers) nicht verstecken muss: Die sympathische Pathologin Dr. Evers (Brigritte Kren) mausert sich im 924. Tatort zum Publikumsliebling und demonstriert den verdutzten Ermittlern den sogenannten Bolustod - eine der wohl fiesesten Todesarten in der Geschichte der Krimireihe. Wer hätte gedacht, dass es tatsächlich gefährlich werden kann, einen roten und einen grünen Apfel direkt hintereinander zu verputzen.
Falke: "Ich musste irgendwie an Schneewittchen denken."
Anders als in Kaltstart, dessen Geschichte um illegale Waffengeschäfte und geheimnisvolle Drohnen trotz einiger guter Ansätze eine Nummer zu groß geriet, ermitteln Falke und Lorenz diesmal auf Augenhöhe mit den Verbrechern und müssen feststellen, dass der Schrecken des syrischen Bürgerkriegs bis ins beschauliche Niedersachsen reicht. Auf einem Parkplatz sterben ein syrischer Familienvater und seine kleine Tochter, seine Ehefrau Mira (Alev Irmak) und sein Sohnemann Ali (Mert Dincer) kommen mit dem Schrecken davon. Während sich Falkes Oldenburger Busenkumpel Jan Katz (Sebastian Schipper) an dem kleinen Jungen die Zähne ausbeißt, entwickelt der Bundespolizist schon bald väterliche Gefühle für den Kleinen: Schnell wird deutlich, dass Die Feigheit des Löwen nicht nur ein cleverer Schleuserkrimi, sondern auch ein intensives und hochkarätig besetztes Familiendrama ist. Neben Karoline Eichhorn (Borowski und das Meer), die die deutsche Frau eines syrischen Arztes spielt, zählen nämlich auch zwei Schauspieler aus der US-Erfolgsserie Homeland zum Cast: Während Numan Acar (mimt den Terroristen Haissam Haqqani in Staffel 4) schon nach wenigen Minuten das Zeitliche segnet, drückt Navid Negahban (mimt den Terroristen Abu Nazir in Staffel 1 und 2) dem Tatort mit charismatischem Spiel seinen Stempel auf: Vom finster dreinblickenden Flüchtling Harun, der seinem Bruder Nagib (Husam Chadat) für dessen Rettungsaktion zu keiner Sekunde dankbar zu sein scheint, geht eine permanente subtile Bedrohung aus, die das dramatische Finale allerdings früh erahnen lässt. Doch es überwiegen die Stärken: Regisseur Marvin Kren (Die letzte Wiesn) und Drehbuchautor Friedrich Ani (Das Glockenbachgeheimnis), arrangieren ein ruhiges, aber fesselndes Krimidrama mit politischem Anstrich. Und Falke und Lorenz? Die kommen sich nach einer "Billstedter Milch" bei leidenschaftlichen Zungenküssen näher und wecken schon jetzt die Vorfreude auf ihren fünften Einsatz Frohe Ostern, Falke - in dem sich vielleicht auch klärt, ob denn nun nachts etwas gelaufen ist.

Bewertung: 7/10

Der sanfte Tod

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Folge: 925 | 7. Dezember 2014 | Sender: NDR | Regie: Alexander Adolph

So war der Tatort:

Bild: NDR/Christine Schroeder
Appetitverderbend - schließlich kann sich nicht jeder Zuschauer so teures und gutes Fleisch auf seinem Teller leisten wie der schwerreiche Wurstfabrikant Jan-Peter Landmann (Heino Ferch), um den sich im 925. Tatort alles dreht. "Dry-aged Rinderlende aus Mecklenburg-Vorpommern", schwärmt der Schweinebaron beim einseitigen Feierabendflirt mit Hauptkommissarin Charlotte Lindholm (Maria Furtwängler) - natürlich viel besser und gesünder als das, was Otto Normalverbraucher so Tag für Tag im Discounter in seinen Einkaufswagen legt. Dass unser Konsumverhalten nicht gerade förderlich für das Wohlbefinden von Schwein und Rind und die Methoden der Fleischindustrie ohnehin unter aller Sau sind, haben wir zwar schon gewusst, aber Regisseur und Drehbuchautor Alexander Adolph (Der oide Depp) erzählt es uns trotzdem: In Zeiten veganer Food-Blogs oder Soja Latte zum Mitnehmen kann man schließlich gar nicht dick genug auftragen. Auch sonst hat der eigentlich begnadete Filmemacher, der zuletzt immerhin die Tatort-HochkaräterDer tiefe Schlafund Der Weg ins Paradies inszenierte, diesmal wenig Neues zu erzählen: Einmal mehr ermittelt Lindholm auf Weisung ihres Chefs (diesmal: Robert Dölle, Schiffe versenken) in der niedersächsichen Provinz, einmal mehr vernachlässigt sie ihren Sohn David (neu dabei: Neven Metekol) straflässig, und einmal mehr outen sich die örtlichen Behörden, die auf die Ankunft der LKA-Kommissarin offenbar nur gewartet haben, als ziemlich kompetenzfrei. So dämlich wie die stammelnde Landpomeranze Bär (Bibiana Beglau, Leben gegen Leben) hat sich an Lindholms Seite allerdings selten jemand angestellt.
Lindholm: "Ich brauche Sie jetzt - wir spielen 'Guter Bulle, böser Bulle'!"
Von einem Kurswechsel ist nach zweijähriger Furtwänglerscher Tatort-Abstinenz (letzter Auftritt in der Doppelfolge Wegwerfmädchen und Das goldene Band) nichts zu spüren: Ob wohl je einTatort gedreht wird, in der Lindholm mal nicht von ihrer Mama(Kathrin Ackermann) getadelt wird, nur mit einem Handtuch bekleidet aus der Dusche steigt oder sich den kitschigen Komplimenten eines Verehrers erwehren muss? Man darf getrost Zweifel anmelden. In Der sanfte Tod findet all dies zum x-ten Male statt - die Fans von Burda-Gattin Furtwängler wird es zwar freuen, einmal mehr ist das aber ziemlich vorhersehbar und einschläfernd. Was dem 22. Lindholm-Einsatz das Genick bricht, ist jedoch der Schlingerkurs, den der zweifache Grimme-Preis-Träger Adolph fährt. Ein plötzlich eingeflochtener Schockmoment, bei dem die um ihren Sohn "Carlito" (Steven Merting) trauernde Lise Ebert für zwei Sekunden zur Horrorfigur mutiert, wirkt angesichts der bis dato gemächlichen Gangart (zähe Rotwein-Dialoge von Landmann und Lindholm inklusive) völlig deplatziert, und auch als Familienkiste will der Film nicht funktionieren: Die Szenen mit Landmann-Tochter Stella (Ricarda Zimmerer) und ihrem bemüht irritiert wirkenden Vater ("Hast du etwa geraucht?") wirken steif und konstruiert, und der trinkfreudige Loser-Neffe Martin Landmann (Sebastian Weber, Tote Männer) bleibt als Figur zu schemenhaft (darf aber herzhaft das Niedersachsenlied schmettern). Zumindest der vielfach leinwanderprobte Heino Ferch (Mordnacht) erledigt als kühl-kalkulierende Komplimente-Schleuder einen soliden Job. Setzt man seinen Auftritt als aalglatter Schweinebaron ("Nehmen wir den Tieren das Leben oder schenken wir es ihnen nicht vielmehr?") aber in Relation zu ähnlich spektakulär angelegten Bösewichten der jüngeren Vergangenheit, fällt er im Vergleich zu Ulrich Matthes (überragend in Im Schmerz geboren), Yasin el Harrouk (exzentrisch in Der Wüstensohn) oder Milan Peschel (sympathisch überzeichnet in Der Hammer) doch spürbar ab. Da rettet die nette Schlusspointe, die an das verräterische Husten des Mörders in Der tiefe Schlaf erinnert, am Ende nur wenig.

Bewertung: 3/10
Sturmfest und erdverwachsen:

Der Maulwurf

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Folge: 926 | 21. Dezember 2014 | Sender: MDR | Regie: Johannes Grieser

So war der Tatort:

Bild: MDR/Andreas Wünschirs
Anglizismenfrei - und nicht nur deshalb ist die Kurskorrektur, die der MDR beim zweiten Einsatz des jüngsten Tatort-Teams aller Zeiten vornimmt, unübersehbar. Der pseudocoole Jugendslang ("Fuck 'n Go?"), zu dem die Erfurter Kommissare bei ihrem Debüt in Kalter Engel noch genötigt wurden, ist Geschichte, und Energydrinks sucht man in Der Maulwurf ebenso vergeblich wie Fanartikel von Rot-Weiß Erfurt, mit denen dem schwachen Vorgänger vergeblich Lokalkolorit eingeprügelt werden sollte. Alles neu, alles besser? Leider (noch) nicht: Der zweite Fall von Hauptkommissar Henry Funck (Friedrich Mücke), Oberkommissar Maik Schaffert (Benjamin Kramme) und Neu-Kommissarin Johanna Grewel (Alina Levshin), die in Kalter Engel noch als Praktikantin ermittelte, bietet zwar weniger Angriffsfläche als der desaströse Vorgänger, ist aber bei weitem noch kein überzeugender Krimi. Dabei geht es vielversprechend los: Die einleitende Beerdigung, bei der der inhaftierte Rotlichtkönig Timo Lemke (xXx-Schauspieler Werner Daehn) beim Freigang flieht und einen Polizisten erschießt, wird spannend und authentisch in Szene gesetzt - was aber nicht zuletzt daran liegt, dass die Kommissare hier noch nicht auf der Bildfläche erscheinen. Die wirken nämlich auch weiterhin wie Abziehbilder realer Geschöpfe: Die Dialoge klingen aufgesagt und steif, die Blicke wirken gekünstelt und einstudiert, und so bleibt ihre Jugend auch weiterhin bloße Behauptung. Vor allem Funck kauft man den betont versiert agierenden Teamleiter, der nach der baldigen Entführung von Chefin Petra "Fritze" Fritzenberger (Kirsten Block) in der Verantwortung steht, nur selten ab - da kann er am Ende noch so treffende Binsenweisheiten zum Besten geben.
Funck: "Wir alle machen Fehler. Wichtig ist, daraus zu lernen."
Der MDR hat nämlich aus seinen Fehlern gelernt: Nach der vernichtenden Pressekritik zu Kalter Engel (die in einer verweigerten Interviewfreigabe unrühmlich gipfelte) landete ein bereits fertiges Drehbuch zum zweiten Fall angeblich im Papierkorb. Stattdessen schickt der Sender mit Regisseur Johannes Grieser (Nasse Sachen) und den Drehbuchautoren Leo P. Ard (Todesspiel) und Michael B. Müller drei vielfach krimierprobte Filmemacher ins Rennen. Die gehen auf Nummer Sicher und reihen im 926. Tatort einfach all das aneinander, was auch in anderen Städten funktioniert: Entführte Kolleginnen zum Erzeugen künstlicher Spannung (vgl. Ihr Kinderlein kommet oder Der Wald steht schwarz und schweiget), eine prominent besetzte Nebenrolle als todsicheren Tipp für die richtige Auflösung (vgl. Letzte Tage oder Schwindelfrei), die obligatorische Zwischengrätsche vom LKA und nicht zuletzt SEK-Einsätze, wenn sich mal wieder Leerlauf in die Handlung eingeschlichen hat. Der Maulwurf bietet nichts, was man am Sonntagabend nicht schon dutzendfach gesehen hätte. Mitreißend ist das selten, und manchmal sogar unfreiwillig komisch: Schaffert beispielsweise wirkt beim Bestellen von alkoholfreiem Bier in einem taghell ausgeleuchteten Strip-Schuppen (in dem vor Einbruch der Dunkelheit bemerkenswerter Andrang herrscht) wie ein schüchterner Teenager vorm Tittenheft-Regal (s. Bild), während eine Stangentänzerin lustlos zu Lil Jons Turn Down For What die Hüften schwingt. Man stelle sich diese Szene mit Horst Schimanski oder Peter Faber vor! Auch für zartbesaitete Zuschauer ist der Krimi nur bedingt empfehlenswert: Die psychische Gewalt bewegt sich zwar - anders in Franziska, der erst um 22 Uhr gesendet wurde - im Rahmen, doch gilt es einige brutale Szenen mit "Fritze" und ihrem Entführer Ingo Konzack (Oliver Stokowski, Königskinder) zu überstehen. Wer sich angesichts der Vorhersehbarkeit und der flachen Spannungskurve einen Spaß machen möchte, sollte einfach mal zählen, wie oft die Kommissare (allen voran Grewel) nach einer Erkenntnis nachdenklich vor sich auf den Boden blicken – das Dutzend ist schon nach einer guten halben Stunde voll.

Bewertung: 3/10
Deutlich dynamischer als der Auftritt der Strip-Tänzerin:

Weihnachtsgeld

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Folge: 927 | 26. Dezember 2014 | Sender: SR | Regie: Zoltan Spirandelli

So war der Tatort:

Bild: SR/Manuela Meyer
Weihnachtlich. Anders als der relativ zeitlos arrangierte Event-Tatort Die fette Hoppe, mit dem die Weimarer Hauptkommissare Lessing (Christian Ulmen) und Dorn (Nora Tschirner) 2013 einen Mediathek-Rekord aufstellten, ist Weihnachtsgeld nämlich ganz auf den Ausstrahlungstermin am 2. Weihnachtstag zugeschnitten: Ermittlungen auf dem Saarbrücker Christkindlmarkt, dampfender Glühwein und als Weihnachtsmänner verkleidete Taschendiebe, eine Weihnachtsfeier auf dem Präsidium, unerschütterliche Weihnachtshits in Endlosschleife, vor allem aber: die Weihnachtsgeschichte. Ja! Auch sie hält Einzug ins Drehbuch von Michael Illner (Undercover Camping): Die hochschwangere Maria (Fanny Krausz) flüchtet aus dem Haus ihrer Schwiegereltern und will sich von Taxifahrer Josef (Florian Bartholomäi, Vielleicht), der mit dem Weihnachtsgeld seiner Kollegen durchgebrannt ist, nach Sizilien kutschieren lassen - doch schon nach wenigen Metern platzt Maria die Fruchtblase, und die Gesuchten quartieren sich notgedrungen in einer leerstehenden Scheune ein. Kommt einem doch irgendwie bekannt vor, oder? Fehlen eigentlich nur noch die Hirten und die heiligen drei Könige - und letztere finden zumindest im Nachnamen von Bordellbesitzer Georg König (Gregor Bloéb) ihre Entsprechung. Der aufbrausende Zuhälter ist allerdings alles andere als ein Heiliger: König ist als Figur zwar nicht minder stereotyp angelegt als seine kecken Prostituierten und Marias sizilianische Schwiegereltern, am Ende aber noch der charismatischste Kopf in einem Krimi, der zwar pures Feiertagsfeeling versprüht, aber von Beginn an merkwürdig unrund wirkt. Der vielkritisierte Klamauk-Anteil in Melinda und Eine Handvoll Paradies wurde zwar bereits in Adams Alptraum auf ein erfreuliches Maß zurückgeschraubt, ein klares Konzept ist nun aber nicht mehr zu erkennen.

Der vierte Tatort mit Jens Stellbrink (Devid Striesow) und Lisa Marx (Elisabeth Brück) gestaltet sich wechselhaft: selten fesselnd, hier witzig, da ernst, meist seicht, oft überraschend, auf jeden Fall originell, unter dem Strich aber alles andere als homogen - Weihnachtsgeld ist weder Fisch, noch Fleisch. Das Einbinden der Weihnachtsgeschichte funktioniert dabei noch am besten, und wann wäre ein besserer Zeitpunkt für solch ausgefallene Spielereien als am 2. Weihnachtstag? Wenn dann noch Last Christmas und vertrauter Kirchenchorgesang in Endlosschleife dudeln, stellen sich binnen Minuten gemütliche Weihnachtsgefühle ein. Wer am 26. Dezember allerdings nichts (mehr) für Kerzenschein und Glühwein übrig hat, kommt nur bedingt auf seine Kosten: Spannung will keine aufkommen, und einen einheitlichen Erzählton sucht Regisseur Zoltan Spirandelli (Grabenkämpfe) bis zum Schluss vergeblich. Anders als beim ähnlich humorlastigen Tatort aus Münster wirken die Figuren zudem nicht aufeinander abgestimmt: Während die einmal mehr blasse Hauptkommissarin Marx und die gewohnt unterkühlt agierende Staatsanwältin Nicole Dubois (Sandra Steinbach) zum Lachen in den Keller gehen, macht Spurensicherungsleiter Horst Jordan (Hartmut Volle) vor allem durch seinen anstrengenden Übereifer auf sich aufmerksam. Stellbrink hingegen fehlt es an einem Gegenpol: Der überzeugte Rollerfahrer gibt zwar den einen oder anderen amüsanten One-Liner zum Besten, muss aber nach wie vor gegen das Witzfigürliche ankämpfen. Am Ende wirkt auch die Geschichte überfrachtet: Die Jagd auf den Taschendieb scheint einzig dem Zeigen der hübschen Weihnachtskulisse zu dienen, und als sich der Mord- und Fahrerfluchtfall auf der Zielgeraden noch zum Familiendrama wandelt, ist das des gut Gemeinten einfach zu viel. Am ehesten positiv in Erinnerung bleibt da noch Stellbrinks schüchterner Besuch in Königs Bordell, in dem standesgemäß bunte Penis-Anhänger am Tannenbaum baumeln.

Bewertung: 4/10
Frohe Weihnachten!

Das verkaufte Lächeln

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Folge: 928 | 28. Dezember 2014 | Sender: BR | Regie: Andreas Senn

So war der Tatort:

Bild: BR/Elke Werner
Gewöhnungsbedürftig. Es dauert nämlich eine Weile, bis man sich daran gewöhnt hat, dass Maxim Mehmet in einem Tatort nicht den treuen Kriminalassistenten Menzel mimt: Der blonde Schauspieler, der seit 2008 (Debüt in Todesstrafe) an der Seite der Leipziger Hauptkommissare Andreas Keppler (Martin Wuttke) und Eva Saalfeld (Simone Thomalla) auf Täterfang geht, verkörpert im Münchner Tatort Das verkaufte Lächeln den pädophilen Hauptverdächtigen Guido Buchholz - und ist deshalb alles andere als ein Sympathieträger. Getötet haben soll Buchholz den 14-jährigen Tim Kiener, der im Internet gegen Kreditkartenzahlung und teure Geschenke freizügige Videos von sich angeboten hat. Für Mehmet bietet die ungewohnte Rolle die sicher nicht unwillkommene Gelegenheit, Werbung in eigener Sache zu betreiben: Nicht zuletzt, weil der Leipziger Tatort 2016 eingestellt wird, empfiehlt sich der leinwanderprobte Schauspieler mit seiner soliden Performance schon mal für weitere Engagements. Familienvater Buchholz ist als Figur allerdings recht klischeehaft angelegt (Trainieren von Nachwuchskickern inklusive), und so sind die Stars im 928. Tatort zwei Jungdarsteller, die bereits gemeinsam für den Publikumshit Fack ju Göhte vor der Kamera standen: Anna-Lena Klenke und Nino Böhlau mimen Hanna Leibold und Florian Hof, Freunde des Opfers, die sich mit Netz-Prostitution ebenfalls bestens auskennen, während ihre Eltern völlig ahnungslos sind. Klenke überzeugt als freizügige Webcam-Lolita ebenso wie Böhlau, der als emotional zermürbter bester Freund des Toten eine Schlüsselrolle stemmt. Die Beweggründe, warum sich Hanna bereitwillig vor der Webcam auszieht (und auch Leitmayr ins Schwitzen bringt), hätte man allerdings noch ausführlicher ausarbeiten können: Die alleinige Sehnsucht nach mehr Taschengeld klingt bei ihr weniger plausibel als bei Opfer Tim, der anders als die hübsche Tochter wohlhabender Eltern aus kleinbürgerlichen Verhältnissen stammt.

Dennoch wirkt Das verkaufte Lächeln beunruhigend und zeitgemäß, was angesichts der digitalen Stolpersteine alles andere als selbstverständlich ist. Wenn sich die Tatort-Autoren nämlich mit den Neuen Medien beschäftigen, stehen sie immer vor einem Dilemma: Während sich die jungen Zuschauer im Internet meist besser auskennen als die Filmemacher, verstehen große Teile des älteren Publikums bei Fachbegriffen wie "IP-Adresse" nur Bahnhof. Zuletzt klang das dann meistens ziemlich hölzern - zum Beispiel in den durchwachsenen Kölner Tatort-Folgen Ohnmacht und Wahre Liebe, in denen sich Online-Laie Max Ballauf (Klaus J. Behrendt) über Begriffe wie "Avatar" oder "LOL" aufklären ließ. Regisseur Andreas Senn (Kaltblütig) und Drehbuchautor Holger Joos finden in Das verkaufte Lächeln eine elegantere Lösung: Sie setzen den sympathischen Jung-Assistenten Kalli Hammermann (Ferdinand Hofer) vor den Rechner, der beim Passwort-Knacken nebenbei auf der Konsole zockt (eine der spaßigsten Szenen des Krimis) und den ergrauten Hauptkommissaren Ivo Batic (Miroslav Nemec) und Franz Leitmayr (Udo Wachtveitl) ungekünstelt erklärt, was sie wissen müssen. Die geben sich weder sonderlich beeindruckt, noch überrascht - ob sie gerade dazu gelernt haben oder sich in ihren Vermutungen bestätigt sehen, bleibt einfach ihr Geheimnis. Ein Geheimnis bleibt lange auch die Auflösung der Täterfrage: Nach den vielen vorhersehbaren Folgen der letzten Wochen (vgl. Die Feigheit des Löwen oder Der Maulwurf) darf diesmal wieder fleißig mitgerätselt werden. Wenngleich die richtige Antwort nicht die ganz große Überraschung ist, bietet sie doch Gelegenheit für einen dramatischen Showdown, bei dem Katharina Marie Schubert (Ein neues Leben) stark aufspielt und bei dem die Filmemacher erst im letzten Moment die Handbremse ziehen. So ist Das verkaufte Lächeln unter dem Strich ein verhalten beginnender, am Ende aber mitreißender Krimi, der das Tatort-Jahr 2014 nach vielen Höhen und Tiefen würdig abrundet. Von Fallanalytikerin Christine Lerch (Lisa Wagner), die auch diesmal nur wenige Minuten zu sehen ist, darf in Zukunft allerdings gerne noch mehr kommen.

Bewertung: 7/10

Der irre Iwan

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Folge: 929 | 1. Januar 2015 | Sender: MDR | Regie: Richard Huber

So war der Tatort:

Bild: MDR/Wiedemann & Berg Television/Anke Neugebauer
(Verw)Irre(nd). "Ich verstehe gar nichts mehr", bringt es die doppelt betrogene Ehefrau Nicole Windisch (Therese Hämer, Kalter Engel) beim zweiten Fall der Weimarer Hauptkommissare Lessing (Christian Ulmen) und Dorn (Nora Tschirner) irgendwann ernüchtert auf den Punkt - und der eine oder andere Zuschauer dürfte angesichts der absurden Handlungsschlenker und doppelten Böden in diesem Moment mit ihr fühlen. Die (w)irre Geschichte um eineiige Zwillinge und getauschte Identitäten, die die Drehbuchautoren Andreas Pflüger und Murmel Clausen ihrem Publikum auftischen, ist spätestens nach einer Stunde und dem Leichenfund in einer Geisterbahn auf der Rudolstädter Kirmes kaum noch zu überblicken. Darum geht es den Filmemachern, die bereits den Vorgängerfall Die fette Hoppe konzipierten, aber auch gar nicht: Auch in Der irre Iwan steht der Spaß im Vordergrund, und den kann das Publikum mit Lessing, Dorn und all den skurrilen Charakteren, denen die beiden liierten Kommissare bei ihren Ermittlungen begegnen, reichlich haben. Vorausgesetzt, er lässt sich auf das absurde Treiben ein: Der 929. Tatort ist schräg, schrill und völlig überzeichnet, und wer in der Hoffnung auf Nervenkitzel und einen kniffligen Krimi zum Miträtseln eingeschaltet hat, erlebt ganz sicher eine Enttäuschung. Auch der zweite Tatort aus der Dichterstadt erinnert dank der zahlreichen ironisch angehauchten Dialoge und Frotzeleien an die Tonalität der Münsteraner Kollegen Frank Thiel (Axel Prahl) und Professor Karl-Friedrich Boerne (Jan Josef Liefers) - doch während die Quotenkönige ein wenig in die Jahre gekommen sind und nur noch selten überraschen, präsentiert sich das neue Tatort-Pärchen aus Weimar frech, frisch und unverbraucht.
Dorn: "Hast du gehört? Nach 21 Jahren Ehe wird das Körperliche überschätzt."
Lessing: "Dann gucken wir eben Fernsehen."
Regisseur Richard Huber (Auf der Sonnenseite) inszeniert keinen klassischen Krimi, sondern eine lockere Komödie, die zwar vollkommen spannungsarm, aber genauso kurzweilig ausfällt wie ihr Vorhänger: Der irre Iwan sprüht nur so vor verrückten Einfällen und Dialogwitz. Ulmen und Tschirner, die zuletzt für die romantische Weihnachtskomödie Alles ist Liebe gemeinsam vor der Kamera standen, harmonieren erneut prächtig und präsentieren sich bereits eingespielter als manches altgediente Tatort-Duo. Deutlich wird dies vor allem in den köstlich trockenen Dialogen, in denen Lessing seine zukünftige Ehefrau immer wieder mit einem mahnenden "Frau Dooorn!" tadelt, während er sich selbst ein wahres Spitzenfeuerwerk (zum Beispiel wegen seiner wenig athletischen Figur) gefallen lassen muss. Die Schauspieler und  Filmemacher nehmen den Film und die Figuren zu keinem Zeitpunkt ernst - da flieht schon mal eine Leiche vom Seziertisch, bevor ihr Gerichtsmedizinerin Dr. Seelenbinder (herrlich pragmatisch: Ute Wieckhorst) den Schädel aufsägen kann. Vom Leichenfund in der Geisterbahn über eine Verfolgungsjagd im Spiegelkabinett und finalem Shoot-Out am Schießstand ist in diesem Tatort so ziemlich alles dabei. Nur bei den tückenreichen Go Trabi Go-Gedächtnisfahrten in einem uralten VW ihres Vorgesetzten Kurt Stich (Thorsten Merten) wird der Bogen deutlich überspannt, denn hier wird aus Komödie Klamauk. Für Farbe im Figurenensemble sorgen diesmal unter anderem der wütende Kettensägenclown Caspar Bogdanski (sympathisch: Dominique Horwitz) und die tätowierte Tresendame Peggy Schuhschnabel (nackt: Michelle Monballijn), die Lessing und Dorn wie selbstverständlich oben ohne durch ihr FKK-Paradies führt. Schauspielerisch glänzen tut Jörg Witte (Ordnung im Lot), der als irrer Stadtkämmerer Iwan Windisch und Zwillingsbruder Josef Eisenheim mal eben eine Doppelrolle aus dem Ärmel schüttelt. Schüttelten auch die Drehbuchautoren dieselbigen - es würden gleich reihenweise Asse rausfallen. Selbst der kritischen Twitter-Gemeinde liefert Dorn noch eine köstliche Steilvorlage für reichlich #aufschrei- und #tatort-Gezwitscher.

Bewertung: 7/10

Deckname Kidon

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Folge: 930 | 4. Januar 2015 | Sender: ORF | Regie: Thomas Roth

So war der Tatort:

Bild: ORF
Agentenfilmähnlich. "Moritz und Bibi Bond", witzelt Oberstleutnant Moritz Eisner (Harald Krassnitzer) bei einer gemeinsamen Autofahrt mit Kollegin Bibi Fellner (Adele Neuhauser), und so ganz Unrecht hat er damit nicht: In Deckname Kidon finden sich auffallend viele Anleihen aus der populären 007-Reihe und anderen berühmten Agentenfilmen. Denkt man an James Bond, den Geheimagenten Ihrer Majestät, denkt man sofort auch an seine legendären Gegenspieler, die Goldfingers, Blofelds, Dr. Nos oder Le Chiffres dieser Filmwelt. Im 930. Tatort gibt es ihn auch, den schwerreichen und auf einem hermetisch abgeschotteten Anwesen hausenden Bösewicht: Es ist der aalglatte Modeschöpfer und abgefeimte Lobbyist Johannes Leopold Trachtenfels-Lissé (wunderbar überheblich: Udo Samel, Schlaf, Kindlein, schlaf), der in seiner sündhaft teuer eingerichteten Villa mit seiner Frau (Caroline Frank) schrille Barock-Parties zu wohltätigen Zwecken veranstaltet und die Wiener Ermittler bei ihrer Stippvisite am liebsten zur Kasse bitten würde. Nachdem der iranische Diplomat und Atomphysiker Dr. Bansari aus dem Fenster seines Hotelzimmers gestürzt ist und sich der ebenfalls diplomatischen Schutz genießende Sekretär der iranischen Botschaft Hossein Zadeh (Massud Rahnama) am Tatort die wichtigsten Beweisstücke unter den Nagel gerissen hat, führt der Weg zur Auflösung direkt in die mondäne Villa des exzentrischen Bösewichts. Der stets auf die Etikette achtende Trachtenfels-Lissé eifert seinen berühmten 007-Vorbildern fleißig nach: Kaum sind Eisner und Fellner außer Hörweite, gibt er seinen Handlangern telefonisch Instruktionen, und ehe sich die beiden versehen, werden sie auch schon von einem hartnäckigen Verkehrspolizisten an den Fahrbahnrand gewunken und zur denkbar unwillkommenen Alkoholkontrolle gebeten.

Neben dem mächtigen Antagonisten hat Deckname Kidon - der geheimnisvolle Krimititel verspricht es bereits - aber noch weit mehr von einem klassischen Agentenfilm: Verfolgungsjagden vor der Kulisse berühmter Bauwerke, geheime Dokumente, Industriespionage und Telefonüberwachungen - selbst einem Zug dürfen Eisner und Fellner noch hinterherdüsen, ganz wie es James Bond 1983 in Octopussy oder 1995 in Goldeneye tat. Fast wünscht man sich zur Krönung dieser Sequenz einen Nahkampf auf dem Dach des Zuges, wie er 2013 den 007-Film Skyfall einleitete, doch halt: Das hier ist immer noch ein Tatort, und Regisseuer Thomas Roth (Der Teufel vom Berg) und Drehbuchautor Max Gruber (Operation Hiob) laufen nie Gefahr, ihren Krimi Richtung Actionthriller abdriften zu lassen. Zum Ermittlungserfolg trägt auch Chef Ernst Rauter (Hubert Kramar) bei, der seine Kommissare zwar hin und wieder bremsen muss, ihnen diesmal aber nicht wie so viele andere Tatort-Vorgesetzte störrisch in die Parade fährt, um keine politischen Verwicklungen zu riskieren. Anders als zum Beispiel der überzeichnete Regierungsrat Mattmann (Jean-Pierre Cornu) im Schweizer Tatort Verfolgt scheint Rauter selbst an einer Aufklärung gelegen, so dass er sich konstruktiv ins Geschehen einschaltet, statt nur diplomatisch auf den einflussreichen Trachtenfels-Lissé einzuwirken. Was Deckname Kidon allerdings hin und wieder das Tempo nimmt, sind die zähen Reha-Momente mit Claudia Eisner (Tanja Raunig), die sich in einer Klinik mühsam vom Rollstuhl zurück auf die Beine kämpft. Und die Sequenz, in der die gewiefte Mossad-Agentin Sara Gilani (Angela Gregovic) binnen Sekunden Eisners Handy manipuliert, hätten die Filmemacher vielleicht besser nachgereicht: Viel prickelnder wäre es doch gewesen, den Zuschauer über Eisners ewig leeren Akku rätseln zu lassen, um Gilanis gekonntes Ablenkungsmanöver am Ende in einer verblüffenden Rückblende aufzulösen. Macht aber nichts: Deckname Kidon ist auch ohne diesen möglichen Twist spannend und endet erfreulich konsequent. Nach den schrägen Tatort-Folgen der Vorwochen präsentiert sich Wien damit zum Jahresauftakt 2015 bodenständig und gewohnt stark.

Bewertung: 8/10

Hydra

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Folge: 931 | 11. Januar 2015 | Sender: WDR | Regie: Nicole Weegmann

So war der Tatort:

Bild: WDR/Thomas Kost
Hakenkreuzreich. Schon bei der ersten Tatort-Besichtigung bilden rechte Schmierereien an den tristen Wänden einer leer stehenden Industrieanlage die Kulisse für den fünften Einsatz von Hauptkommissar Peter Faber (Jörg Hartmann), Martina Bönisch (Anna Schudt), Daniel Kossik (Stefan Konarske) und Nora Dalay (Aylin Tezel) - er führt das Dortmunder Team tief in den braunen Sumpf, in die rechtsextreme Szene, deren Kopf durch die Ermordung von Anführer Kai Fischer nur vorübergehend abgetrennt wurde. Regisseurin Nicole Weegmann (Romeo und Julia) und Drehbuchautor Jürgen Werner (Franziska), der bereits die ersten vier Faber-Folgen konzipierte, bringen den Krimititel Hydra gekonnt auf den Punkt: Trennt man einen Kopf ab, wachsen andere nach. Dortmund hat sein Problem mit Rechten verschlafen, und auch angesichts des NSU-Skandals oder den Anti-Islamisierungsbewegungen PEGIDA und HoGeSa legen die Filmemacher ihren Finger auf den Puls der Zeit: "Wir sagen laut, was die schweigende Mehrheit denkt", brüstet sich der rechtsextreme Germanistikstudent Nils Jacob (Franz Pätzold) mit einer Parole, die auch von Thilo Sarrazin oder einem AfD-Funktionär stammen könnte. Bei der Skizzierung der rechten Szene in schummerigen BVB-Kneipen zeigt sich, dass das Bild vom kahlrasierten Springerstiefelträger überholt ist: Kossik-Bruder Tobias (Robert Stadlober, Der Teufel vom Berg) könnte man mit Wuschelfrisur undMütze optisch ebenso der linken Szene zuordnen wie seine pinkhaarige Freundin Lena Keller (Natalia Rudziewicz, Letzte Tage). Einzig Skinhead Stefan Tremmel (Rolf Peter Kahl, Der Hammer) verkörpert den altbekannten Neonazi-Typus und wird von Faber und Dalay dank deren origineller "Türkischer Bulle, deutscher Bulle"-Verhörmethodik aufs Kreuz gelegt.
Dalay:  "Wollen Sie mit der Türkin wieder vor der Nazi-Nase rumwedeln, ja?"
Hydra ist ein mutiger, weil unbequemer und sperriger Tatort, in dem die Kommissare - allen voran das launische Enfant terrible Faber - nicht scheuen, Klartext zu sprechen. Während Dalay lernen muss, ihre Abstammung als Provokationsmittel zu nutzen, gibt sich ihr Chef gegenüber den Neonazis fast kumpelhaft. Weil der exzentrische Faber ("Deutscher, Grieche, Türke, Holländer - Nazi kann jeder sein!") schon mit wenigen Worten das Vertrauen der Rechtsradikalen gewinnt, entlarven die Filmemacher deren Weltbild erfreulicherweise auch ohne kitschige Brandreden - man stelle sich vor, wie dick der WDR wohl in einem Kölner Tatort mit Moralapostel Max Ballauf (Klaus J. Behrendt) aufgetragen hätte. Dass sich auch die Ermittler unfreiwillig politisch vorbelasteten Vokabulars bedienen, demonstriert der gewiefte Nils Jacob am Beispiel "Drittes Reich" - und belegt damit, wie leicht man heutzutage durch eine vermeintlich neutrale Äußerung in die rechte Ecke gestellt werden kann. Ansonsten ist der Umgangston harsch und aggressiv: Die Stimmung im Polizeipräsidium erreicht durch die Suche nach einer "Ratte" einen neuen Tiefpunkt, und die frisch getrennten Dalay und Kossik sind als Ermittlerduo kaum noch tragbar. Der türkischen Kommissarin kommt nach der Attacke vermummter Schläger eine Schlüsselrolle zu, was Aylin Tezel endlich einmal Gelegenheit gibt, im Tatort zu zeigen, was schauspielerisch in ihr steckt. Der Übergriff ist die heftigste Szene in einem kompromisslosen Krimi, dem allerdings im Schlussdrittel ein wenig die Puste ausgeht: Die Auflösung der Rattenfrage ist früh zu erahnen, und dem Konflikt zwischen den Kossik-Brüdern hätte eine dramatischere Zuspitzung gut zu Gesicht gestanden. Doch allein Fabers Eskapaden entschädigen für die kleinen Schwächen: Der einsame Hauptkommissar kippt diesmal beim Frühstück mit einem Obdachlosen Korn in seinen Kaffee (s. Bild) und ist bei seinen - wie immer mit köstlichen One-Linern gespickten - Ego-Touren einzig von Kollegin Bönisch zu bändigen. Für den Tatort aus Dortmund zeigt der Pfeil damit eindeutig nach oben.

Bewertung: 7/10

Die Sonne stirbt wie ein Tier

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Folge: 932 | 18. Januar 2015 | Sender: SWR | Regie: Patrick Winczewski

So war der Tatort:

Bild: SWR/Alexander Kluge
Leider nicht ansatzweise so rehabilitiert wie Hauptkommissarin Lena Odenthal (Ulrike Folkerts), die nach ihrem Zusammenbruch im Vorgänger Blackoutdie dringend notwendige Reha vorzeitig beendet und wie gewohnt an vorderster Front ermittelt: Wirklich überzeugt haben die dienstälteste Tatort-Ermittlerin und ihr langjähriger Partner Mario Kopper (Andreas Hoppe) schon seit Jahren nicht mehr, doch mit dem mittelschweren Krimi-Desaster Die Sonne stirbt wie ein Tier erreichen die Trauerspiele aus Ludwigshafen einen neuen Tiefpunkt. Wer schon den Filmtitel irgendwie seltsam findet, ahnt beim Einschalten vermutlich trotzdem nicht, dass ihn die schwächste Tatort-Folge seit Eine Handvoll Paradies erwartet: Die Dialoge sind unterirdisch, die Nebendarsteller häufig überfordert und das Drehbuch von Harald Göckeritz, der schon Odenthal-Krimis wie Freunde bis in den Tod oder Der Schrei vor die Wand fuhr, eine einzige Zumutung. Der 932. Tatort beschallt den Zuschauer zum Auftakt gnadenlos mit Helene Fischers Atemlos und genießt allenfalls unfreiwillig komischen Unterhaltungswert: Nach dem Mord an einem Pferdefleger und dem Auffinden eines durch einen "Pferderipper" grausam zugerichteten Tieres schießt die spontan aus der Reha zurückgekehrte Odenthal nicht nur auf das Pferd, sondern auch im Minutentakt Plattitüden aus der Hüfte ("Hinterher weiß man immer mehr!"), lässt Gott und die Welt an ihren wirren Albträumen teilhaben und versucht sich mal wieder erfolgreich in Küchenpsychologie ("Menschen, die Pferde verletzen, sind meist psychisch gestört."). Profiling wäre eigentlich die Aufgabe der nervtötenden Fallanalytikerin Johanna Stern (Lisa Bitter) - doch die quasselt lieber ohne jeden Zusammenhang etwas von Ohrenschmerzen ihrer Tochter und lässt im Präsidium mitten in einer Fallbesprechung einfach alles stehen und liegen.
Stern: "Ich bin Fallanalytikerin, ich bewerte nur die Wahrscheinlichkeiten."
Die Wahrscheinlichkeit, dass Ludwigshafen doch noch einmal die Kurve kriegt, wird von Folge zu Folge geringer, denn selbst Stern als unverbrauchte Figur vermag dem Tatort aus der Rheinstadt nicht in die Spur zu verhelfen. Dass der Krimititel Die Sonne stirbt wie ein Tier eine Zeile aus Konstantin Weckers Liebeslied zitiert, ist indes kein Zufall: Regisseur Patrick Winczewski, der zuletzt den schwachen Bodensee-Tatort Winternebel inszenierte, erzählt nebenbei auch noch eine himmelschreiend realtitätsferne Liebesgeschichte zwischen dem psychisch labilen Einzelgänger Gerd Holler (Ben Münchow, Feuerteufel) und der naiven Dialektbombe Paula Bender (Lisa Charlotte Friederich), deren Kuscheltier der schüchterne Choleriker heimlich aus ihrer Wohnung entwendet. Das alles wird so atemberaubend unbeholfen aufbereitet, dass einem die Nebendarsteller - allen voran Münchow, der die mit Abstand undankbarste Rolle des Krimis stemmen muss - nur leid tun können. Spätestens, wenn der aufbrausende Einzelgänger ("Ich bade nicht so gerne, Wasser ist nass!") zum dritten Mal die Hosen runterlässt oder beim Billardtisch-Flirt grundlos eine Schlägerei anzettelt, driftet der Tatort hoffnungslos in die unfreiwillige Komik ab. Auf der Zielgeraden quetschen die Filmemacher dann tatsächlich noch Pfälzer Privatpornos (!) der undurchsichtigen Silvia Magin (Alma Leiberg, Trautes Heim) in den Plot - ansonsten brüllen, kreischen oder hyperventilieren Kommissare, Augenzeugen und Verdächtige fast pausenlos herum, um künstliche Dramatik zu schüren. Und Kopper? Der harrt nachts stundenlang auf Baumästen aus, um im entscheidenden Augenblick einfach gar nichts zu tun und nach der Selbstjustiz einer eingerichteten Bürgerwehr pseudobetroffene Resümees zu ziehen ("Sie waren wie die Tiere."). Selten war der Tatort aus Ludwigshafen schwächer - und so bleibt am Ende einzig die leise Hoffnung, dass sich durch Odenthals angekündigten Auszug aus der gemeinsamen WG mit Kopper in der Rheinstadt doch noch etwas zum Positiven bewegt.

Bewertung: 1/10
Tief Luft holen!
 

Borowski und der Himmel über Kiel

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Folge: 933 | 25. Januar 2015 | Sender: NDR | Regie: Christian Schwochow

So war der Tatort:

Bild: NDR/Christine Schröder
Kopflos. Und das nicht zum ersten Mal in einem Kieler Tatort: Bereits in Borowski und der vierte Mann bekam Hauptkomissar Klaus Borowski (Axel Milberg) den abgetrennten Kopf eines Mannes serviert - doch während der Mörder diesen damals kunstvoll auf dem Schreibtisch seines Opfers drapierte, wirft er ihn in Borowski und der Himmel über Kiel arglos in einen matschigen Fluss. Die 933. Tatort-Ausgabe ist eine der härteren Sorte, denn wie schon im auf einer Mankell-Vorlage basierendenBorowski und der vierte Mann weht von Beginn an skandinavischer Wind: ein brutaler Axtmord, klirrende Kälte, finstere Wälder und nicht zuletzt verschrobene Dorbewohner, die dem Film Lokalkolorit einhauchen. Und doch hat Borowski und der Himmel über Kiel, der 2014 auf dem Filmfest Hamburg lief und im fiktiven Mundsforde spielt, mehr von der US-Erfolgsserie Breaking Bad oder heftigen Drogendramen á la Requiem For A Dream als von einem typischen Skandinavien-Krimi: Schuld daran ist die auch in Deutschland immer weiter verbreitete chemische Droge Crystal Meth, die bereits die Wiener Tatort-Macher inspirierte. Während in Paradies allerdings eine realitätsferne Altersheim-Story zusammengeschustert wurde, erweitern Drehbuchautor Rolf Basedow und Regisseur Christian Schwochow die Perspektive: In einer parallel montierten Rückblende arbeiten sie die aufwühlende Vorgeschichte von Rita Holbeck (Elisa Schlott) und Mike Nickel (Joel Basman, Der letzte Patient) auf, deren Leben sich nur noch um das Beschaffen der Droge, ekstatische Parties und leidenschaftlichen Sex drehte. Nun liegt Mikes Kopf im Matsch - und es ist an Borowski und Sarah Brandt (Sibel Kekilli), die Umstände seines Todes und den Verbleib seines Torsos zu klären.
Borowski: "Das ist doch was für Sie, Frau Brandt - kein Kopf, aber ein Handy!"
Borowski und der Himmel über Kiel ist ein mitreißender, wenn auch ungewöhnlicher Tatort, denn die Kommissare treten häufig in den Hintergrund. Während die Ermittlungsarbeit - abgesehen vom spontanen Hühnchen-Dinner mit Kriminalrat Roland Schladitz (Thomas Kügel) - ohne größere Überraschungen abläuft, blickt der Zuschauer tief in die Gefühlswelt der jungen Rita, die durch die Liebe in den Abhängigkeitssumpf gerät und von einer wilden Feier zur nächsten tigert. Dass ihre durchaus amüsanten Eskapaden die ernste Grundausrichtung des Films kaum auflockern (oder gar ruinieren, man denke an den selten peinlichen Pilz-Konsum jugendlicher Straftäter in Der Wald steht schwarz und schweiget), hat zweierlei Gründe: Es liegt zum einen am überragenden Spiel von Newcomerin Elisa Schlott, die es versteht, facettenreich zwischen aufgeputschtem Party-Girl, liebevoller Schwester, verzweifeltem Druffi und nach Halt suchender Heranwachsender hin- und herzuwechseln. Zum anderen werden Ritas wirre Glückseruptionen gekonnt aufgefangen - so auch in der bärenstarken Szene mit ihrer hilfosen Mutter, die in Tränen ausbricht, als ihre rückfällig gewordene Tochter high nach Hause kommt und ihr freudestrahlend Komplimente macht. Was der regelmäßige Konsum von Crystal Meth aus Menschen macht, zeigt sich auch an der kreidebleichen Ausreißerin Lisa Kamp (Anke Retzlaff) - noch beklemmender ist allerdings die brutal nüchtern inszenierte Doppel-Vergewaltigung der angenehm klischeefrei dargestellten Drogendealer Andy (Rafael Stachowiak) und Furkan (Matthias Weidenhöfer, Brüder). Anders als in den eingangs genannten Drogendramen liegt der Schwerpunkt in Borowski und der Himmel über Kiel im Übrigen weniger auf der drastischen Darstellung der Abhängigkeitsfolgen, als man vermuten sollte - ein mutiger Ansatz, doch die Rechnung geht auf. So ist der achte Fall von Borowski und Brandt trotz seiner ungewöhnlichen Erzählstruktur letztlich ein typischer Qualitätskrimi aus Kiel - hart, kompromisslos und herausragend gespielt.

Bewertung: 8/10

Freddy tanzt

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Folge: 934 | 1. Februar 2015 | Sender: WDR | Regie: Andreas Kleinert

So war der Tatort:

Bild: WDR/Colonia Media GmbH/Martin Valentin Menke
Freddyfixiert. In den letzten Jahren war es still geworden um das Familienleben von Freddy Schenk (Dietmar Bär) - doch wer glaubt, der zweifache Vater und einfache Großvater sei rundum glücklich verheiratet, darf angesichts seiner unerwarteten Flirt-Offensive in Freddy tanzt berechtigte Zweifel anmelden. Längere Beziehungen sind im Tatort bekanntlich selten (zuletzt erwischte es den Stuttgarter Bootz in Spiel auf Zeitund die Dortmunder Kossik und Dalay in Auf ewig Dein), und Schenk kann sich glücklich schätzen, dass zumindest Partner Max Ballauf (Klaus J. Behrendt) um seine Ehe besorgt ist. Der nordert den flirtenden Kollegen nämlich immer wieder engagiert ein, wenn dieser der Kunstprofessorin Claudia Denk (Ursina Lardi, Frühstück für immer) unbeholfen Komplimente macht und seine Ehefrau spontan für stundenlanges Babysitten versetzt. Die attraktive Hobby-Malerin Denk zählt als Bewohnerin eines Kölner Mietshauses, in dem der obdachlose Ex-Musiker Daniel Gerber (Matthias Reichwald) offenbar verblutet ist, zwar zu den Hauptverdächtigen, doch Regisseur Andreas Kleinert (Borowski und der Engel) und Drehbuchautor Jürgen Werner (Franziska), dessen mutiges Konzept für den Dortmunder Tatort mit einer Grimme-Preis-Nominierung belohnt wurde, vermögen dieser Ausgangslage kaum Spannung abzugewinnen. Im Gegenteil, vieles wirkt konstruiert: Denk ist ausgerechnet in der Bar verabredet, in der das Opfer in einen Streit gerät, und Gerbers Mutter Marita (Lina Wendel, Blutschuld) wohnt rein zufällig seit siebzehn Jahren im selben Haus wie Ballauf. Es passt ins Bild, dass auf dem Polizeipräsidium das Koffein ausgeht und die Kommissare mürrisch die Abstinenz des designierten neuen Assistenten Tobias Reisser (Patrick Abozen, Der Fall Reinhardt) beklagen: Der 934. Tatortkommt einfach nicht in Fahrt.

Die Filmemacher entscheiden sich für eine ruhige, fast gemächliche Gangart, und auch die Spielereien von Kameramann Johann Feindt (Fette Hunde) vermögen den 62. gemeinsamen Einsatz der Kölner Hauptkommissare kaum aufzupeppen. Freddy tanzt ist eher eine melancholische Großstadtballade als ein fesselnder Krimi, und doch wirkt die titelgebende Tanzflächenszene, in der sich Schenk bei einem Clubbesuch der Musik hingibt, irgendwie befremdlich. Nicht von ungefähr hat der Film seine stärksten Momente dann, wenn sich alle Beteiligten auf das konzentrieren, was die Krimireihe ausmacht, und der Zuschauer miträtseln darf, welcher der unter Generalverdacht stehenden Hausbewohner wohl Dreck am Stecken hat: Neben Denk geraten auch die zurückgezogen lebende Katja Petersen (Anna Stieblich, Im Sog des Bösen) und Eishockey-Trainer Günther Baumgart (Robert Gallinowski, Wegwerfmädchen) ins Visier der Ermittler - schade, dass die entscheidenden Hinweise zur Auflösung am Ende viel zu abrupt aus dem Hut gezaubert werden. Immerhin: Mit dem Mietshaus entsteht mitten in Köln ein reizvoller Mikrokosmos, der an Agatha Christie-Romane wie Mord im Orient-Express erinnert - dass die drei klischeebeladenen Jungbanker um Bilderbuch-Schnösel Tobias Krenz (Volkram Zschiesche, "Live fast, love hard, die young!") das Opfer zwar verprügelt, aber nicht umgebracht haben, ist früh offensichtlich. Was einmal mehr stört, ist allerdings der Rundumschlag mit der Betroffenheitskeule: In einer Notsituation blicken in Köln mal wieder alle weg, statt beherzt einzugreifen, was Moralapostel Ballauf einmal mehr zu einem Plädoyer für mehr Zivilcourage veranlasst. Ganz so schlimm wie im überschätzten Tatort Ohnmacht ist das Ergebnis nicht, doch steht unter dem Strich ein nur bedingt mitreißender Krimi, bei dem die Filmemacher kaum mehr als Dienst nach Vorschrift verrichten. Amüsant ist allerdings die Loriot-Hommage mit Ursula (Gudrun Ritter, Todesbilder) und Martin Koschwitz (Theo Pfeifer) - man hätte dem kauzigen Esoterik-Ehepaar noch mehr Szenen gewünscht.

Bewertung: 5/10

Château Mort

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Folge: 935 | 8. Februar 2015 | Sender: SWR | Regie: Marc Rensing

So war der Tatort:

Bild: SWR/Peter Hollenbach
Praktisch - zumindest für Zuschauer, die sich gern mal ein Gläschen Rotwein genehmigen, um besser in den Schlaf zu finden. In Château Mort, dem viertletzten Fall der im Dezember 2014 vom SWR abgesägten Konstanzer Ermittler Klara Blum (Eva Mattes) und Kai Perlmann (Sebastian Bezzel), befassen sich die Filmemacher nämlich nicht nur mit teuren roten Tröpfchen aus dem 19. Jahrhundert, sondern liefern dem Publikum zugleich eine perfekte Einschlafhilfe: einen zum Gähnen langweiligen Krimi, der nahtlos an die vielen anderen einschläfernden Folgen vom Bodensee anknüpft. Spektakulär - von Highlights wie Der Polizistinnenmörderoder Herz aus Eis einmal abgesehen - waren Blum & Co. bekanntlich noch nie, und auch diesmal schalten Regisseur Marc Rensing und Drehbuchautor Stefan Dähnert (Bluthochzeit) nach einem wilden Auftakt direkt in den Schongang. Einmal mehr wird zu dritt ermittelt: Während die Konstanzer Kommissare die Leiche eines vermeintlichen Weinfälschers aus dem Bodensee ziehen, hat der Thurgauer Major Matteo Lüthi (Roland Koch) ein Auge auf deutsche Steuerhinterzieher geworfen, die im Auktionshaus von Susann Tobler (unterkühlt: Sibylle Canonica, Borowski und die Frau am Fenster) teure Hochzeitsweine von Annette von Droste-Hülshoff erstehen. Dabei schlagen die Filmemacher den Bogen ins Jahr der badischen Revolution: Die Kriminalhandlung wird regelmäßig durch Rückblenden unterbrochen - allerdings derart ungelenk, dass sich kein homogenes Gesamtbild ergibt. Ähnlich unrund läuft es zwischen Blum und Lüthi: Während die Kommissarin Lüthi anschmachtet und spontan auf den Mund küsst, hat der Schweizer Major ein Auge auf die deutlich jüngere Kollegin Eva Glocker (Isabelle Barth) geworfen.
Lüthi: "Frau Blum, Sie in der Schweiz?"
Blum:"Ja, solange wir noch dürfen."
Blum bringt ihren nahenden Tatort-Abschied (Château Mort war zum Zeitpunkt der Bekanntgabe durch den SWR bereits abgedreht) bei diesem Wiedersehen unfreiwillig auf den Punkt - und man kann irgendwie verstehen, dass Schauspielerin Eva Mattes ihre eigene Ablösung selbst vorgeschlagen hat. Zu vernichtend fiel die Resonanz auf Katastrophenkrimis wie Letzte Tage oder den über weite Strecken hanebüchenen Winternebel aus. Ganz so ärgerlich ist der Tatort diesmal allerdings nicht: Die auf zwei Zeitebenen angelegte Geschichte wirkt zwar nur bedingt glaubwürdig, ist für Konstanzer Verhältnisse aber zumindest originell. Eine über 160 Jahre alte Leiche, die dem bedauernswerten Perlmann im Dunkeln einen gehörigen Schrecken einjagt, sucht in der Krimireihe ihresgleichen, und die alkoholschwangere Weinprobe im Haus des angesehenen Sommeliers Hans Lichius (souverän: Felix von Manteuffel, Ohnmacht) versprüht zumindest gemütliches Vorabend-Feeling. Stimmung in die Bude kommt aber meist nur, wenn sich Jenny Schily (spielte im Tatort zuletzt die Ex-Frau von Hauptkommissar Frank Steier in Der Eskimo) als hörige Haushaltshilfe Ute Schmitz und Uwe Bohm (Schwindelfrei) als zebrastreifenliebender Unternehmer Clemens Koch vor der Kamera ein wenig austoben dürfen. Während Blum und Lüthi vor prächtiger Kulisse des Bodensees dinieren und in bester Sideways-Manier die Nase ins Rotweinglas stecken, schmökert Perlmann im Œuvre Annette von Droste-Hülshoffs und entdeckt unter Parkhäusern vergessene Weinkeller mit rätselhaften Kreide-Inschriften, die aussehen, als hätte die Requisite sie fünf Minuten vorher an die Wand gepinselt. Historiker und Weinkenner können mit diesen Gedankenspielen durchaus Spaß haben (oder auch großen Ärger) - Freunde spannender Krimi-Unterhaltung kommen allerdings nur bedingt auf ihre Kosten.

Bewertung: 4/10

Blutschuld

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Folge: 936 | 15. Februar 2015 | Sender: MDR | Regie: Stefan Kornatz

So war der Tatort:

Bild: MDR/Steffen Junghans
Wiederholt - denn wer Blutschuld am 15. Februar 2015 schaut, sieht zwar eigentlich eine Erstausstrahlung, doch häufen sich innerhalb der 90 Minuten die Déjà-vus. Das gilt vor allem für die Besetzung: Neben Natalia Rudziewicz, die zuletzt im vielgelobten Dortmunder TatortHydra mitspielte, ist auch Uwe Bohm schon wieder mit von der Partie, der erst eine Woche vor der TV-Premiere der 936. Tatort-Ausgabe einen Hauptverdächtigen in der Bodensee-Folge Château Mort mimte. Doch nicht nur die Nebendarsteller sind alte Bekannte - einige Szenen wiederholen sich immer und immer wieder. Man könnte eine Strichliste zu führen, wie oft die Leipziger Hauptkommissare Andreas Keppler (Martin Wuttke) und Eva Saalfeld (Simone Thomalla) bei ihrem vorletzten Einsatz gefragt werden, ob sie die Bedeutung eines bestimmten Ausdrucks kennen, oder wie oft Saalfeld von der jungen Sofie Kosen (Natalia Rudziewicz), der Tochter des ermorderten Abfallunternehmers Harald Kosen (Bernhard Schütz, Feuerteufel), Komplimente um die Schmolllippen geschmiert bekommt ("Dass Sie das fragen... ist wahrscheinlich ihr Spürsinn!"). Zuschauer mit Adleraugen (oder großer Langeweile) können weiterhin zählen, wie oft die Requisite zu dekorativen Zwecken auf die japanische Winkekatze Maneki-neko setzt - auf jeden Fall häufiger, als man es in deutschen Durchschnittswohnzimmern vermuten sollte. Blutschuld, der wie Château Mort mit einer Rückblende beginnt, funktioniert zwar allein schon aufgrund seines verräterischen Titels weniger gut als Krimi zum Miträtseln, dafür aber als emotional aufgeladenes Familiendrama: Die häufigen Handgreiflichkeiten und Streitgespräche unter den Verdächtigen wirken jedenfalls deutlich weniger aufgesetzt als bei Keppler und Saalfeld.
Saalfeld: "Was biste denn so gereizt?"
Keppler: "Du gehst von einem anderen Motiv aus als ich. Das kenn' ich gar nicht von dir."
Saalfeld: "Stört dich das?"
Keppler: "Nein, natürlich nicht. Verwirrt mich nur."
Trotz der vielen repetitiven Momente ist Blutschuld eine der besseren Tatort-Folgen aus Leipzig - und das kommt nicht von ungefähr. Regisseur und Drehbuchautor Stefan Kornatz (Mord auf Langeoog) hat sich Bestseller-Autor und Ex-Profiler Axel Petermann als Berater mit ins Boot geholt, dessen Geschichten bereits als Vorlagen für starke Frankfurter Tatort-Folgen wie Der Tote im Nachtzug dienten. Kornatz arrangiert einen atmosphärisch dichten und für Leipziger Verhältnisse überraschend brutalen Fall, bei dem die Auftaktleiche nicht die einzige bleibt. Zum Fremdschämen lädt diesmal nur der bizarre Mädelsabend ein, bei dem Saalfeld mit Kosen-Tochter Sofie die Korken knallen lässt und ihr mit simpelster Verhörtechnik Dinge entlockt, die sie über Jahre hinweg selbst vor ihrem Ehemann Frank Bachmann (Alexander Khuon) geheim hielt. Dass der ausgerechnet in der Firma ihres getöteten Vaters arbeitet und eine spezielle Beziehung zum Arbeitslos-Alki Christian Scheidt (Uwe Bohm) pflegt, passt ins konstruierte Gesamtbild: Irgendwie scheinen alle Verdächtigen, insbesondere Patrick (Tino Hillebrand, Rosenholz), der Sohn des getöteten Unternehmers, ein enges Verhältnis zu allen anderen Verdächtigen zu pflegen. Wer eins und eins zusammen zählen kann und die überdeutlich platzierten Hinweise nicht übersieht, wird sich die Auflösung schnell zusammen reimen. Am Ende ist es daher weniger dem mäßig originellen Drehbuch als vielmehr dem überzeugenden Spiel der Nebendarsteller um den einmal mehr glänzend aufgelegten Uwe Bohm zu verdanken, dass sich der Tatort aus Leipzig zum ersten Mal seit Dezember 2012 wieder im Mittelfeld platziert. Bleibt zu hoffen, dass der MDR Keppler und Saalfeld zumindest bei deren letztem Einsatz in Niedere Instinkte endlich einen wirklich guten Fall beschert - es wäre der erste.

Bewertung: 5/10

Das Haus am Ende der Straße

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Folge: 937 | 22. Februar 2015 | Sender: HR | Regie: Sebastian Marka

So war der Tatort:

Bild: HR/Degeto/Bettina Müller
Würdig. Mit dem Frankfurter Hauptkommissar Frank Steier (Joachim Król) verlässt in Das Haus am Ende der Straße einer der charismatischsten Tatort-Ermittler aller Zeiten die Bildfläche - und das leider viel zu früh, nach nur sieben Einsätzen. Oder vielleicht gerade, wenn es am schönsten ist? Egal ob Eine bessere Welt, Der Tote im Nachtzug oder Wer das Schweigen bricht: Steiers fünf Einsätze mit Power-Kollegin Conny Mey (Nina Kunzendorf) fielen allesamt überzeugend aus, nur sein erster Solo-Tatort Der Eskimo, bei dem er einmalig von Kommissarsanwärterin Linda Dräger (Alwara Höfels) unterstützt wurde, blieb etwas hinter den Erwartungen zurück. Das Haus am Ende der Straße ist nun die würdige Krönung dieser kurzen Erfolgsgeschichte - ein hervorragend arrangierter, fabelhaft besetzter und atmosphärisch unheimlich dichter Psychothriller, der die bisherigen sechs Steier-Krimis sogar noch übertrifft. Das kommt nicht von ungefähr: Für das Drehbuch verantwortlich zeichnen Erol Yesilkaya (Alle meine Jungs) und Michael Proehl, der zuvor bereits die beste (Im Schmerz geboren) und zweitbeste (Weil sie böse sind) Tatort-Folge aller Zeiten konzipierte. Die beiden Autoren schreiben dem alkoholkranken Ermittler einen großartigen Abschiedsfall auf den Leib und brechen dabei mit vielen eisernen Prinzipien der Krimireihe: Kein einleitender Leichenfund, keine Spurensicherung, keine Auswertung von Indizien, keine Verhör-Automatismen, und auch die Täterfrage wird gar nicht erst gestellt: Wer in diesem Krimi der böse Bube ist, steht von vornherein fest.

Es ist der mehrfach vorbestrafte Nico Sauer (Maik Rogge), der vor Steiers Augen ein kleines Mädchen erschießt und vor Gericht freigesprochen wird, weil der Kommissar ("Ich will wieder der Held in meinem eigenen Film sein!") in der Nacht zuvor mal wieder einen über den Durst getrunken hat. Dass Steier Sauer daraufhin auf eigene Faust zur Rechenschaft ziehen will, ist der Startschuss zu einem fiebrigen Katz-und-Maus-Spiel, das den abgehalfterten Ermittler direkt in Das Haus am Ende der Straße führt: Ex-Polizist Rolf Poller (Armin Rohde, Der Fall Schimanski) beobachtet, wie Nico Sauer mit seinem Bruder Robin (Vincent Krüger, Todesschütze) und dessen drogensüchtiger Freundin Lisa (Janina Schauer) einen Einbruch verübt und Hausbesitzer Matthias Langenbrock (Steffen Münster, Altlasten) brutal erschlägt. Die Filmemacher kreieren in der Folge einen etwas konstruierten (alle anderen Häuser in der Straße stehen leer), aber reizvollen Mikrokosmos, in dem Gesetze und Regeln nach einer fesselnden Schlüsselsequenz im Badezimmer außer Kraft gesetzt werden und es plötzlich Poller ist, der drei gefangene Einbrecher und einen gefangenen Kommissar geschickt gegeneinander ausspielt. Schnell wandelt sich der 937.Tatort vom bitteren Justizdrama zum fesselnden Psychothriller: Ein besonders gelungener Einfall ist ein Loch in der Wand, durch das der angekettete Safeknacker Robin mitansehen muss, was Poller im Nachbarzimmer mit seinen Komplizen anstellt. Weil Steier nur wenig und der von Frau und Sohn verlassene Poller überhaupt nichts mehr zu verlieren hat, steuert der Film konsequent auf einen dramatischen Showdown zu, in dem alles möglich scheint - von der Überwältigung des Peinigers bis hin zum Heldentod des Kommissars. Bis dahin tragen die beiden Hauptdarsteller den Film mit ihrem mitreißenden Spiel fast im Alleingang: Joachim Król gibt seinen alkoholkranken Ermittler gewohnt launisch und abgewrackt, und auch Rohde, der mit Król 1994 in Sönke Wortmanns Kassenschlager Der bewegte Mann ein ungleiches Schwulenpärchen mimte, schmeißt all sein Können in die Waagschale. Das macht unter dem Strich trotz kleinerer Logik-Löcher allerfeinste Tatort-Unterhaltung - die Messlatte für Wolfram Koch und Margarita Broich, die im Mai 2015 in Frankfurt die Nachfolge von Joachim Król antreten sollen, liegt verdammt hoch.

Bewertung: 9/10

Grenzfall

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Folge: 938 | 8. März 2015 | Sender: ORF | Regie: Rupert Henning

So war der Tatort:

Bild: ARD Degeto/ORF/Allegro Film/Milenko Badzic
Überambitioniert. Zwar sind ausländische Geheimdienste und grenzüberschreitende Ermittlungen - man denke zurück an Paradies, in dem Chefinspektor Moritz Eisner (Harald Krassnitzer) und Major Bibi Fellner (Adele Neuhauser) zuletzt einen Ausflug nach Ungarn wagten - im Wiener Tatort keine Seltenheit, doch hat man von Beginn an das Gefühl, dass Regisseur und Drehbuchautor Rupert Henning ein bisschen viel in seinem Krimi unterbringen möchte: Der österreichische Tatort-Debütant schlägt in Grenzfall den Bogen ins Jahr des Prager Frühlings, in dem an der tschechoslowakisch-österreichischen Grenze 1968 viele Republikflüchtlinge den Tod fanden. Ähnlich wie im nur wenige Wochen zurückliegenden Bodensee-Tatort Château Mort werden regelmäßig Rückblenden ins gegenwärtige Geschehen eingeflochten - das geht zwar harmonischer vonstatten als bei den Kollegen aus Konstanz, doch ändert das nichts an dem Gesamteindruck, dass der elfte Einsatz von Eisner und Fellner trotz einiger guter Ansätze zu überfrachtet wirkt. Dabei gibt es nur einen einzigen Toten zu beklagen: Bei einer Paddeltour auf dem malerisch gelegenen Grenzfluss Thaya fällt der 45-jährige Tscheche Radok ins Wasser, kurz darauf wird seine Leiche aus dem Fluss gezogen. Unfall oder Mord? Den Wiener Ermittlern ist das zunächst mal egal - schließlich ist jede Abwechslung willkommen, wenn sie die beiden nur vor dem Abarbeiten der Aktenberge rettet, die ihnen ihr Vorgesetzter Ernst Rauter (Hubert Kramar) und der neue Assistent Manfred "Fredo" Schimpf (köstlich: Thomas Stipsits, Angezählt) auf den Schreibtisch knallen. Nach kurzem verbalen Infight geht es bei herrlichem Sonnenschein hinaus ins niederösterreichische Waldviertel.
Rauter: "Ich will so sagen..."
Eisner: "Dann sag's."
Rauter: "Ich hab's gesagt, hast du's gehört?"
Eisner: "Wenn du's gesagt hast?"
Rauter: "Ich hab's gesagt."
Eisner: "Dann hab ich's gehört."
In der tschechischen Grenzregion wird es aber schon bald unübersichtlich: Der Journalist Max Ryba (Harald Windisch), auf den Eisner überhaupt nicht gut zu sprechen ist, arbeitet das Leben seines verschollenen Vaters und dessen undurchsichtigen Jugendfreundes Fritz Gassinger (Charly Rabanser, Die Macht des Schicksals) auf, bei Unternehmer Josef Karger (Lukas Resetarits) und Ehefrau Dani (Isabel Karajan, Glaube, Liebe, Tod) hängt der Haussegen schief, und die kesse Archäologie-Professorin Thiele-Voss (Andrea Clausen) und ihr unterbezahlter Assistent Schmiedt (Marcel Mohab) graben am Ufer der Thaya mysteriöse Hundeskelette aus. Reichlich Stoff für einen stark historisch angehauchten Tatort - und spätestens, wenn Fellner und Ryba nach einem hölzern inszenierten Sturz in den allenfalls knietiefen Grenzfluss beim Kleidungswechsel auch noch halbherzig auf Tuchfühlung gehen müssen, verkommt das Krimidrama mit ernster Grundausrichtung vorübergehend zur Klamotte. Das ist schade, denn es gibt durchaus starke Momente und reichlich bissige Dialoge: Neu-Assi Schimpf ("Klingt a bissl wie an Imperativ, oder?") stiehlt mit seiner sympathischen Grunzlache mehrere Szenen, Archäologin Thiele-Voss ("Immer die Bilder zeigen, Laien lieben Bilder!") haut einen frechen Spruch nach dem nächsten raus, und die Hörsaal-Sequenz mit Eisners altem Weggefährten Professor Kreindl (Günter Franzmeier) und dessen herrlich überzeichneten Studierenden ist eine erfrischende Variation der obligatorischen Pathologie-Besuche. Eher blass bleibt die tschechische Staatspolizistin Ester Tomas (Darina Dujmic, Operation Hiob), die bei ihrem Gastspiel allenfalls durch kleinere Sprachwackler auf sich aufmerksam macht. Aus Grenzfall hätte ein starker Tatort werden können - doch die seichten Zwischensequenzen, die zudem mit klamaukiger Dudelmusik untermalt werden, rauben dem Krimidrama schnell die Substanz. So wirkt letztlich auch die Abspann-Einblendung "Zur Erinnerung an die Opfer auf beiden Seiten des Eisernen Vorhangs" zu überambitioniert - ein ernsterer Erzählton und ein weniger kitschiger Schlussakkord hätte dem 938. Tatort gut zu Gesicht gestanden.

Bewertung: 5/10

Die Wiederkehr

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Folge: 939 | 15. März 2015 | Sender: Radio Bremen | Regie: Florian Baxmeyer

So war der Tatort:

Bild: Radio Bremen/Jörg Landsberg
Rückwärtsgerichtet. Denn zum wiederholten Male binnen weniger Wochen geht der Blick der Filmemacher zurück in die Vergangenheit: Die badische Revolution im Bodensee-Tatort Château Mort, Rückblenden ins Jahr des Prager Frühlings im Wiener Tatort Grenzfall, und auch inBlutschuldaus Leipzig prägte ein Jahre zurückliegendes Verbrechen das Geschehen im Hier und Jetzt entscheidend. So ist es nun auch in Die Wiederkehr, bei dem Regisseur Florian Baxmeyer (Alle meine Jungs)  zum zehnten Mal für den Fadenkreuzkrimi aus Bremen am Ruder sitzt: Die Drehbuchautoren Stefanie Veith und Matthias Tuchmann, die auch an den Tatort-Meilensteinen Kein Entkommen und Weil sie böse sind mitschrieben, schlagen den Bogen ins Jahr 2005, in dem die Bremer Hauptkommissare Inga Lürsen (Sabine Postel) und Nils Stedefreund (Oliver Mommsen) ein verschwundenes Mädchen nicht finden konnten und sich ihr unter Mordverdacht stehender Vater in der U-Haft das Leben nahm. Zehn Jahre später steht die verschollene Fiona Althoff (Gro Swantje Kohlhof) aber plötzlich auf der Türschwelle zu ihrem Elternhaus: Silke Althoff (Gabriela Maria Schmeide) und ihr Sohn Jan (Levin Liam) staunen nicht schlecht, und auch Adoptivtochter Kathrin (Amelie Kiefer) scheint ihre Schwester kaum wiederzuerkennen. Haben die Ermittler damals versagt oder ist das Mädchen vielleicht gar nicht Fiona? Veith und Tuchmann konzipieren ein reizvolles Spiel aus Lügen und doppelten Böden, bei dem das Publikum mit mehreren Twists gekonnt in die Irre geführt wird. Und weil der 31. Fall für Inga Lürsen zugleich noch großartig besetzt ist, kommt am Ende ein kraftvolles und mitreißendes Krimidrama dabei heraus.

Nach dem elektrisierenden Clan-Thriller Brüder, bei dem ebenfalls Florian Baxmeyer Regie führte, folgt hier das nächste Highlight aus Bremen - und das liegt nicht zuletzt an den bärenstark aufspielenden Nebendarstellerinnen. Während Jungschauspielerin Gro Swantje Kohlhof ihre vielschichtige Rolle als pinkhaarige Göre bravourös meistert und den verdutzen Stedefreund schon beim ersten Verhör ("Hast du jetzt'n Steifen?") an seine Grenzen bringt, brilliert Gabriela Maria Schmeide (Borowski und die einsamen Herzen) als undurchsichtiges, verbittertes Familienoberhaupt, dem nach dem Verlust von Ehemann und Tochter nur noch wenig Lebensfreude geblieben ist. Schon bei der ersten Begegnung von Mutter und Tochter beginnt man zu ahnen, dass im Hause Althoff irgendetwas nicht stimmt: Während die verlotterte Fiona nicht etwa ihre energische Mutter, sondern zuerst ihren schüchternen Bruder in die Arme schließt, scheint Mutter Silke ihren totgeglaubten Sprössling gar nicht zu erkennen. Prüfende Blicke, vorsichtiges Beschnuppern und skeptisches Betasten der Haare - warum nur diese Skepsis? Die Wiederkehr ist eine faszinierende Kreuzung aus Verwirrspiel und Familiendrama, das dem Zuschauer keine Verschnaufpausen gestattet und in dem das Geheimnis um Fionas wahres Schicksal bis in die Schlussminuten gekonnt verschleiert wird. Frei von Logiklöchern (Wo zum Beispiel sind die zwei Dutzend Fotografen, als Wiederkehrerin Fiona zum ersten Mal das Haus verlässt?) ist das gelegentlich etwas konstruiert wirkende Krimidrama zwar nicht, aber unterhaltsam und spannend ist es zu jedem Zeitpunkt. Und spätestens als Revolverheld Klaas (Tilman Strauß) in die Bremer Stadtrandidylle einbricht und seiner ehemaligen Weggefährtin das Leben schwer macht, kommt richtig Betrieb in den Krimi. Die Bremer Hauptkommissare stochern lange im Nebel - und mit ihnen der Zuschauer, der Zeuge eines buchstäblich atemberaubenden Finales und einer richtig starken Bremer Tatort-Folge wird.

Bewertung: 8/10

Das Muli

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Folge: 940 | 22. März 2015 | Sender: rbb | Regie: Stephan Wagner

So war der Tatort:

Bild: rbb/Frédéric Batier
Echt berlinerisch, wa - zumindest deutlich berlinerischer als die Tatort-Folgen mit Till Ritter (Dominic Raacke) und Felix Stark (Boris Aljinovic). Dem 2013 vom rbb geschassten, beim Publikum aber durchaus beliebten Ermittlerteam aus der Hauptstadt konnte man in den letzten Jahren wenig vorwerfen: Der Sender bescherte Raacke und Aljinovic Publikumshits wie Gegen den Kopf, die wunderbare Suspense-Hommage Hitchcock und Frau Wernicke und zumindest einem der beiden Kommissare in Vielleicht einen originellen und würdigen Abschied. Eines ließen die Fadenkreuzkrimis mit Ritter und Stark aber meist vermissen: Lokalkolorit. Berlinbezogene Folgen wie Mauerpark blieben die Ausnahme. Nun steuert der Sender mit einem neuen Team dagegen: In Das Muli entführen die neuen Haupt(stadt)kommissare Nina Rubin (Meret Becker, Aus der Tiefe der Zeit) und Robert Karow (Mark Waschke, Familienbande) die Zuschauer zum Auftakt an die weniger hübschen Ecken Berlins. Der dreifache Grimme-Preisträger Stephan Wagner, der auch bei Gegen den Kopf und dem herausragenden Kieler Tatort Borowski und die Frau am Fenster Regie führte, dreht seinen Krimi oft vor graffittiverschmierten Betonkulissen, zeigt dem Publikum die Schnorrer-Szene der S-Bahnhöfe, die Armenspeisung am Zoo, die Spreepark-Ruinen und sogar die vieldiskutierte BER-Baustelle. Mit der im Wedding geborenen Rubin darf neben der Wiener Kollegin Bibi Fellner (Adele Neuhauser) nun auch endlich ein zweite Tatort-Kommissarin Dialekt sprechen: Auch wenn Becker nicht jedes "ich" zum "icke" macht, verpasst ihre Berliner Schnauze Light dem Krimi doch jenes Hauptstadtfeeling, das der Tatort mit Raacke und Aljinovic oft vermissen ließ. Karow hingegen erinnert mit seiner überheblichen Arschloch-Attitüde an den Dortmunder Kollegen Peter Faber (Jörg Hartmann) und gerät schon nach der ersten Tatort-Besichtigung mit Rubin aneinander.
Rubin: "Ick arbeite jetz' seit sechs Jahren bei der Mordkommission. Wie lange Sie?"
Karow: "Zwei Stunden und 16 Minuten. Kaffee?"
Es ist ein grausiges Bild, das sich dem Berliner Team beim Debüt bietet: Die Spurensicherung untersucht ein blutverschmiertes Bad in einer leerstehenden Wohnung, in der Drogenmogul Mehmet Erdem (Kida Khodr Ramadan, Melinda) Johanna "Jo" Michels (stark: Newcomerin Emma Bading) und eine Freundin einquartiert hatte. Beide wurden zum Drogenschmuggel von Mexiko nach Deutschland missbraucht - und während Erdem die Päckchen aus Jos Freundin herausschneidet und dabei einen der brutalsten Tatort-Morde aller Zeiten verübt, taucht das Mädchen mit ihrem Bruder Ronny (Theo Trebs, Fette Hunde) in der Hauptstadt ab. Das Muli wird damit zur tickenden Zeitbombe: Platzt ein Päckchen im Magen, ist Jo so gut wie tot. Für zusätzliche Spannung sorgt Karows Vergangenheit als Drogenfahnder: Drehbuchautor Stefan Kolditz (Außer Kontrolle) eröffnet eine vielversprechende Nebenhandlung, die in den nächsten Folgen weitergeführt werden soll. Auch dieses Serienmotiv erinnert an die Krimis aus Dortmund, während ansonsten - trotz etwas weniger Action - Erinnerungen an den Hamburger Tatort mit Nick Tschiller (Til Schweiger) wach werden: Mark Waschke mimte in Willkommen in Hamburg den Bösewicht, anstelle des Astan-Clans ziehen die Drogenhändler Erdem und Andi Berger (Robert Gallinowski, Freddy tanzt) die Fäden, und auch die brutale Gangart ist ähnlich. Und während Schweiger der Klatschpresse mit seinem nackten Hintern in Kopfgeld eine Steilvorlage lieferte, schiebt Rubin im Hinterhof der Friedrichshainer Disco Cassiopeia einen Quickie mit ihrem Kollegen Jahn (Timo Jacobs, Hochzeitsnacht) und lässt den BH am Morgen danach im Schrank. Ein wenig mehr Eigenständigkeit stünde dem neuen Berliner Team also noch gut zu Gesicht - doch unter dem Strich ist Das Muli ein gelungenes Debüt, dessen offenes Ende die Neugier auf die nächsten Folgen weckt. Auch die Familienszenen mit Rubins jüdischem Ehemann Viktor (Aleksandar Tesla, Borowski und das Meer) und den Söhnen Tolja (Jonas Hämmerle) und Kaleb (Louie Betton) bergen für die Zukunft privaten Sprengstoff. Über kleinere Schönheitsfehler (die kalkweiße Jo wird beispielsweise aufgrund ihrer angeblichen Urlaubsbräune identifiziert) kann man angesichts der vielen starken Dialoge hinwegsehen - und allein die köstliche Szene, in der Karow die eifrige Hospitantin Anna Feil (Carolyn Genzkow, Unbestechlich) zur Schnecke macht, ist das Einschalten wert.

Bewertung: 7/10

Borowski und die Kinder von Gaarden

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Folge: 941 | 29. März 2015 | Sender: NDR | Regie: Florian Gärtner

So war der Tatort:

Bild: NDR/Christine Schroeder
Alarmierend. 60 Prozent der Kinder im Kieler Stadtteil Gaarden-Ost leben in einkommensarmen Familien, fast jeder Zweite erhält dort Leistungen für Arbeitssuchende - das sind erschreckende Zahlen und geradezu eine Steilvorlage für die Drehbuchautoren Eva und Volker A. Zahn. Das Duo legt Borowski und die Kinder von Gaarden als triste Milieustudie mit sozialkritischem Ansatz an und orientiert sich bei seiner Geschichte an einem realen Fall aus Berlin - aber funktioniert der 25. Fall von Hauptkommissar Klaus Borowski (Axel Milberg) auch als Krimi? Jein, denn das nötige Whodunit-Korsett engt die Geschichte spürbar ein, und Regisseur Florian Gärtner zieht die Spannungsschraube erst in der Schlussviertelstunde an. Bis dahin ermitteln Borowski und seine Partnerin Sarah Brandt (Sibel Kekilli) meist getrennt voneinander: Aufhänger für den Ausflug nach Gaarden ist die Leiche des 60-jährigen Onno Steinhaus, in dessen Wohnung regelmäßig Kinder und Jugendliche ein- und ausgingen und mit dem abgehalfterten Pädophilen Bier und Pornos konsumierten. Dass das die Eltern und Anwohner kaum störte, steht exemplarisch für die Abgründe aus sozialer Verwahrlosung und Gleichgültigkeit, die sich in dem Problemviertel an jeder Straßenecke auftun: Elendstourist Borowski arbeitet bei seinem titelgebenden Streifzug durch Gaarden die fehlende Perspektive der sogenannten „bildungsfernen Schichten“ auf - doch echten Zugang zu den Figuren findet der Zuschauer nicht, weil der Kieler Hauptkommissar die meisten Anwohner nur flüchtig kennenlernt. Hundeliebhaberin Sina Bautzen (Marion Breckwoldt, Hochzeitsnacht) scheint sich eher für ihre Vierbeiner als für das Schicksal der Nachbarskinder zu interessieren, und auch der jungen Friseurin Sheryl begegnet Borowski nur ein einziges Mal.
Borowski: „SHERYL? Das ist ein... ähm... interessanter Name.“
Mehr Zeit nehmen sich die Grimme-Preisträger Eva und Volker A. Zahn (Scherbenhaufen) für den 15-jährigen Timo (Bruno Alexander), der wegen eines Internetvideos von den anderen Jugendlichen im Viertel erpresst wird, und seinen Bruder Leon (Amar Saaifan), der den Hund des Toten bei sich aufnimmt und vor seiner alleinerziehenden Mutter Inga (Julia Brendler, Die Falle) versteckt. Daraus resultiert eine gewisse Vorhersehbarkeit: Früh wird deutlich, dass die Auflösung der Täterfrage nur über die beiden Brüder führen kann - oder über den Polizisten Thorsten Rausch (Tom Wlaschiha, Das letzte Rodeo), der vor der sozialen Verwahrlosung seines Reviers kapituliert hat. Dass ihn nicht nur mit Kollegin Brandt, sondern auch mit dem Toten eine Vorgeschichte verbindet, ist früh offensichtlich - nicht zuletzt, weil die Filmemacher beim ersten privaten Aufeinandertreffen der beiden Game of Thrones-Stars Kekilli und Wlaschiha einen kleinen musikalischen Hinweis platzieren. Während Brandt also ihren ehemaligen Jugendschwarm datet (s. Bild) und selbst beim „Wahrheit oder Schnaps“-Duell nicht aus der Reserve zu locken vermag, kämpft sich Borowski durch den tristen Sozialsumpf, in dem er vor allen von den titelgebenden Kindern von Gaarden seine Grenzen aufgezeigt bekommt. Erfreulich: Die Sprüche der aufmüpfigen Möchtegern-Gangster wirken frech und ungekünstelt, denn die Jungschauspieler Samy Abdel Fattah, Zoran Pingel, Jeffrey Tormekpey und Mert Dincer (Die Feigheit des Löwen) haben sichtlich Spaß am aggressiven Poser-Getue. Einzig die Bolzplatz-Szene, bei der Borowski mit einem simplen Trick Zugang zu den Teenagern findet, wirkt ebenso unglaubwürdig wie das Phänomen, dass Rausch als einziger Polizist überhaupt für den Problembezirk zuständig zu scheint. Und echte Spannung kommt im 941. Tatort erst am Ende auf: Während der vorprogrammierte Konflikt zwischen Borowski („Schlafen Sie erstmal ihren Rauschi aus.“) und Brandt eher harmlos ausfällt, entschädigt der bedrückende Showdown für die eher schleppende erste Filmhälfte. So ist Borowski und die Kinder von Gaarden zwar durchaus unterhaltsam und der bisher persönlichste Fall für Sarah Brandt, reicht aber nicht an die jüngstenHighlights aus der Fördestadt heran.

Bewertung: 6/10

Frohe Ostern, Falke

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Folge: 942 | 6. April 2015 | Sender: NDR | Regie: Thomas Stiller

So war der Tatort:

Bild: NDR/Christine Schroeder
Österlich. Der ambitionierte Tatort Frohe Ostern, Falke ist nämlich nicht nur terminlich, sondern auch inhaltlich voll und ganz auf die Osterfeiertage zugeschnitten: Schon in der zweiten Szene amüsiert sich Bundespolizei-Ermittler Thorsten Falke (Wotan Wilke Möhring) königlich darüber, wie sein bester Freund Jan Katz (Sebastian Schipper) mühsam Ostereier ausbläst, später trifft er dann vorm Hamburger Alsterhaus seinen alten Bekannten Axel (Tim Grobe, Mein Revier), der für sieben Euro die Stunde im rosa Hasen-Outfit Flyer verteilen muss. Für Osterhasen gilt offenbar kein Mindestlohn. Und dann sind da natürlich die fünf schwer bewaffneten Aktivisten, die in ihren finsteren Donnie Darko-Kostümen eine Charity-Gala für Flüchtlinge crashen und knapp achtzig Personen in ihre Gewalt bringen - darunter auch Falkes Kollegin Katharina Lorenz (Petra Schmidt-Schaller), die als einzige Geisel schnell ihr Handy in ihr Dekolleté plumpsen lässt, bevor die Gangster die übrigen Mobiltelefone einkassieren. Ohne diesen flugs eingerichteten Abschnitt von der Außenwelt wäre die Geschichte, die Regisseur und Drehbuchautor Thomas Stiller (Macht und Ohnmacht) dem Zuschauer auftischt, auch gar nicht denkbar: Falke und der Rest der Welt sind zum Zuschauen am Live-Stream verdammt, weil niemand weiß, wo die Geiselnahme der Aktivisten stattfindet - mitten in Hamburg ein reichlich unwahrscheinliches Szenario. So sitzt der zum Beobachter degradierte Ermittler eine gefühlte Ewigkeit im Präsidium und kann lange Zeit nur reagieren, statt zu agieren, und auch sein Busenkumpel Katz wirkt in diesem Hamburger Tatort wie das fünfte Rad am Wagen.

Kein einleitender Leichenfund, keine Spurensicherung, keine Verhöre: Thomas Stiller verzichtet auf das Whodunit-Prinzip und konstruiert einen actiongeladenen Tatort, der zumindest nicht so unfreiwillig komisch gerät wie die ähnlich gelagerte Bremer Folge Hochzeitsnacht. Und Petra Schmidt-Schaller kann sich in dem abgedunkelten Gebäude erstmalig ins Rampenlicht spielen: Kurz nach Bekanntgabe ihres Abschieds (Schmidt-Schallers Tatort-Nachfolgerin wird Franziska Weisz), steht ihre Kommissarin im Brennpunkt eines atmosphärisch dichten Thrillers, dessen Spannungsmomente die an den Haaren herbeigezogene Geschichte und die platten Charaktere aber nicht aufwiegen können. Vor allem die fünf Aktivisten Frank (Thomas Sarbacher, Vermisst), Steffen (Lasse Myhr, Trautes Heim), Nico (Sascha Alexander Gersak, Hydra), Joachim (Milton Welsh) und Rainer (Marek Harloff, Türkischer Honig) wirken nicht wie bedrohliche Geiselnehmer, sondern wie Karikaturen schießwütiger Westernfiguren: Da gibt es den skrupellosen, keinen Widerspruch duldenden Anführer, den aufmüpfigen Handlanger, der von ihm in die Schranken gewiesen wird, und den abtrünnigen Schwächling, den Lorenz in einer mehr als unglaubwürdigen Sequenz auf dem Herrenklo mit einer Verständnis-Offensive zur Kollaboration überredet. Und dann ist da noch der unsympathische Rechtsanwalt Sönke Sauer (Thomas Darchinger, Der traurige König), der den Schwanz einzieht und Lorenz permanent zurückpfeift: Der 942. Tatort liefert reichlich Klischees. Immerhin: Zumindest bleibt die in der Krimireihe fast obligatorische Konfrontation zwischen dem leitenden Kommissar und MEK-Einsatzleiter Arendt (Torsten Michaelis, Wegwerfmädchen) aus. In der zweiten Filmhälfte wächst die Geschichte schließlich zum realitätsfernen Actionspektakel aus: Nach einer ebenso kruden wie vorhersehbaren Wendung kommt noch die böse Rüstungsindustrie ins Spiel und aus der anfänglichen Aktivistenaktion wird eine völlig überkonstruierte Verschleierungstat. Petra Schmidt-Schaller bleibt angesichts dieser Drehbuchmängel zu wünschen, dass ihr zumindest in ihrem letzten Tatort Verbrannt ein würdiger Abschied zuteil wird - vielleicht gehen die Autoren dann ja doch noch einmal auf ihr Techtelmechtel mit Falke aus Die Feigheit des Löwen ein, das in Frohe Ostern, Falke mit keinem Satz mehr thematisiert wird.

Bewertung: 4/10

Deutlich sehenswerter:

Der Himmel ist ein Platz auf Erden

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Folge: 943 | 12. April 2015 | Sender: BR | Regie: Max Färberböck

So war der Tatort:

Bild: BR/Felix Cramer
Fränkisch. Und doch nicht ganz so fränkisch, wie es angesichts der Ankündigungen und umfangreichen PR-Maßnahmen des Bayerischen Rundfunks zu erwarten war: Sogar einen eigenen Blog richtete der Sender für den Franken-Tatort ein, berichtete über Monate hinweg von der Produktion und ließ damit vor allem die Erwartungen der fränkischen Zuschauer ins Unermessliche steigen. Herausgekommen ist mit Der Himmel ist ein Platz auf Erden am Ende aber ein Krimi, in dem das fränkische Lokalkolorit schmückendes Beiwerk bleibt: Anders als beispielsweise die Stadt München in Das Glockenbachgeheimnis nimmt Nürnberg keinen direkten Einfluss auf die Handlung - der 943. Tatort könnte auch in jeder anderen deutschen Stadt spielen. Und die aus Itzehoe und Guben stammenden Hauptkommissare Felix Voss (Fabian Hinrichs) und Paula Ringelhahn (Dagmar Menzel), die bei den Ermittlungen den Hut aufhaben, sprechen lupenreines Hochdeutsch - der fränkische Zungenschlag bleibt den Kommissaren Wanda Goldwasser (Eli Wasserscheid) und Sebastian Fleischer (Andreas Leopold Schadt) sowie Forensik-Leiter Michael Schatz (Matthias Egersdörfer) vorbehalten, die deutlich seltener gefragt sind. Das neue Ermittlerteam erweist sich als bodenständig: Die Drehbuchautoren Max Färberböck und Catharina Schuchmann, die zuletzt gemeinsam den Münchner Meilenstein Am Ende des Flurskonzipierten, ersparen dem zugezogenen Nordlicht Voss die Akklimatisierungsprobleme südlich des Weißwurst-Äquatorsund konzentrieren sich stattdessen auf das Wesentliche: den Kriminalfall. Der Mord an dem Professor Christian Ranstedt (Philippe Brenninkmeyer) führt die Ermittler schon bald zu dessen Kollegin Susanne Köster (Genija Rykova, Alle meine Jungs) - es bleibt die einzige Szene, in der die forsche Ringelhahn ein wenig einfältig wirkt.
Köster: "Wir forschen an der Entwicklung und Perfektionierung von Flugobjekten."
Ringelhahn: "Aha, also an allem, was fliegt und so."
Dass Voss, Ringelhahn & Co. so angenehm unspektakulär daherkommen, tut nicht nur dem Film, sondern der ganzen Krimireihe gut: Mit den neuen Teams aus Dortmund, Saarbrücken oder Berlin gesellten sich in den letzten Jahren schließlich schon genug sperrige Charaktere zu den etablierten Kommissaren. Leider mangelt es aber nicht nur den Figuren, sondern auch dem Drehbuch an Ecken und Kanten: Der obligatorischen Auftaktleiche folgen die üblichen Erkenntnisse der Spurensicherung, altbekannte Verhöre nach dem "Wie gut kannten Sie den Toten?"-Prinzip und der unvermeidliche Krach mit dem ewig brüllenden Vorgesetzten Dr. Kaiser (Stefan Merki, Der schöne Schein). Weil Grimme-Preisträger Färberböck, der auch Regie führt, in der spannungsarmen ersten Filmhälfte nur die üblichen Versatzstücke der Krimireihe aneinanderreiht, erleichtern Kaisers Schmipftiraden aber zumindest das Wachbleiben, und nach einer guten Stunde kommt der Franken-Tatort dann sogar richtig auf Touren: Auf der Zielgeraden wandelt sich Der Himmel ist ein Platz auf Erden zum mitreißenden Krimidrama, wenngleich es schade ist, dass Färberböck die entscheidende Nebenfigur erst nach einer guten Stunde aus dem Hut zaubert und einige andere - zum Beispiel Ranstedts Ehefrau Julia (Jenny Schily, Château Mort) - wieder fallen lässt. Als Whodunit zum Miträtseln funktioniert der bisweilen etwas anstrengend geschnittene, aber fast kunstvoll inszenierte Film also nur bedingt - doch allein Färberböcks Regie, der starke Soundtrack und die beiden Hauptdarsteller sind das Einschalten wert.Mit dem ersten Franken-Tatort dürften im Übrigen auch die Fans von Gisbert-Engelhardt (in Der tiefe Schlaf ebenfalls gespielt von Hinrichs) versöhnt sein, der sich nach seinem kultverdächtigen Kurzauftritt viel zu früh aus der Krimireihe verabschiedete. Auch wenn Hinrichs' neue Rolle deutlich reservierter ausfällt.

Bewertung: 6/10
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