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Channel: Wie war der Tatort?
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Dicker als Wasser

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Folge: 944 | 19. April 2015 | Sender: WDR | Regie: Kaspar Heidelbach

So war der Tatort:

Bild: WDR/Uwe Stratmann
Rohdesk. Keine zwei Monate ist es her, dass Armin Rohde (Dschungelbrüder) zum letzten Mal einen Tatort-Bösewicht mimte: In Das Haus am Ende der Straße lieferte sich der gebürtige Gladbecker in der Rolle des abgehalfterten Ex-Polizisten Rolf Poller ein packendes Psychoduell mit dem Abschied nehmenden Frankfurter Hauptkommissar Frank Steier (Joachim Król) - es war der bis dato stärkste Tatort im Jahr 2015, und das nicht zuletzt aufgrund der tollen Darbietung Rohdes. Im spannenden Tatort Dicker als Wasser von Filmemacher Kaspar Heidelbach mimt der Charakterkopf, der unter gleicher Regie auch 2001 im starken Tatort Bestien auf die Kölner Hauptkommissare traf, nun erneut den bösen Buben: Der rabiate Ralf Trimborn (Armin Rohde) wurde nach dem Mord an einem Türsteher erst vor kurzem aus dem Gefängnis entlassen. Aber ist er auch der Mörder des toten Kneipenwirts Oliver Mohren, eines der besten Freunde seines Sohnes Erik (Ludwig Trepte)? Die Kölner Hautpkommissare Max Ballauf (Klaus J. Behrendt) und Freddy Schenk (Diemar Bär) beißen auf Granit: Trimborn, der kurz vor der Pleite steht, lässt die beiden regelmäßig auflaufen und legt dabei zugleich die schützende Hand über seinen tatverdächtigen Sohn - nicht aber über dessen Freundin Laura Albertz (Alice Dwyer), die mit dem Ermordeten angebandelt hatte und gehörig von Trimborn getriezt wird. Drehbuchautor Norbert Ehry (Keine Polizei) kombiniert seine klassische Whodunit-Konstruktion geschickt mit einer emotional aufgeladenen Vater-Sohn-Geschichte, deren Spuren bis weit in die Vergangenheit reichen und ein Jahre zurückliegendes Verbrechen zutage fördern.

Die Unterstützung ihres neuen Assistenten Tobias Reisser (Patrick Abozen, Alle meine Jungs) können Ballauf und Schenk also gut gebrauchen: Nach seinem gelungenen Probe-Auftritt in Der Fall Reinhardthat sich Reisser in der Gunst des WDR erfreulicherweise gegenüber der nervtötenden IT-Fachfrau Miriam Häslich (Lucie Heinze, Ohnmacht) und dem nachnamenlosen Greenhorn Gabi (Kathie Angerer, Wahre Liebe) durchgesetzt und zählt ab sofort dauerhaft zum Team. Der sportliche Franziska-Nachfolger schaltet sich aktiv in die Ermittlungen ein, statt wie seine Vorgängerin nur auf Assistenztätigkeiten reduziert zu werden. Während das vor allem bei der Überwachung von Trimborn prima funktioniert, wirkt der offen schwelende Konflikt zwischen Ballauf und Schenk eher künstlich konstruiert: Vor allem die Szene, in der Ballauf seinem Kollegen mit einem Dienstverfahren droht, weil der eine Genehmigung nachträglich anfordern will, wirkt mehr als aufgesetzt - solche Regelverstöße lassen sich im Tatort schließlich fast jeden Sonntag beobachten. Auch die Ursache für Schenks vermeintliche Eskapaden - eine missglückte Festnahme zweier Jugendlicher in seiner ersten Filmszene - ist nicht überzeugend. Deutlich gelungener ist der Auftritt von Armin Rohde: Es macht unheimlich Laune, ihm in der Rolle des bankrotten Tyranns zuzuschauen, der Autos mit Tennisbällen knackt und ausstehende Zahlungen persönlich mit dem Holzhammer eintreibt. Auch wenn es Rohde im 944. Tatort anders als in Das Haus am Ende der Straße an einem ebenbürtigen Gegenspieler mangelt: Seine One-Man-Show als tickende Zeitbombe, die außer ihrem Sohn nichts mehr zu verlieren hat, ist allein das Einschalten wert. Ludwig Trepte (Heimatfront) als hin- und hergerissener Sprössling Erik und Alice Dwyer (Auf der Sonnenseite) als besorgte Freundin Laura liefern bei den Auseinandersetzungen mit dem rabiaten Vater ebenfalls überzeugende Leistungen ab. Wer den Kneipenwirt letztlich auf dem Gewissen hat, ist allerdings nicht nur für Kenner des James Bond-Films Liebesgrüße aus Moskau früh offensichtlich: Wer teuren Rotwein zum Fisch trinkt, hat schließlich garantiert etwas auf dem Kerbholz.

Bewertung: 7/10
Gewusst wie: Autoschlösser mit einem Tennisball knacken


Niedere Instinkte

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Folge: 944 | 26. April 2015 | Sender: MDR | Regie: Claudia Garde

So war der Tatort:

Bild: MDR/Saxonia Media/Junghans
Bühnenhaft und bizarr - und am Ende doch nicht ganz so ausgefallen wie das Tatort-Meisterwerk Im Schmerz geboren, an das der Abschiedsfall von Hauptkommissar Andreas Keppler (Martin Wuttke) und Eva Saalfeld (Simone Thomalla) schon in der ersten Szene erinnert. Der knietief im Wasser(schaden) stehende Keppler blickt hier nämlich durch die Rückwand seines Kühlschranks direkt in die Augen des Zuschauers und spricht zu ihm - diese ungewohnte Aufhebung der vierten Wand, wie man sie auch aus der großartigen Netflix-Serie House of Cards kennt, bleibt nicht die einzige und erinnert sofort an Alexander Helds schon jetzt legendäre Ansprachen als Theater-Erzähler im vierten Tukur-Tatort. In Niedere Instinkte bleiben Kepplers Monologe zwar nur nette Spielereien, doch sie tun dem bisher eher uninspirierten Krimi aus Sachsen richtig gut. Überhaupt hat man von Beginn an das Gefühl, dass alle Beteiligten beim letzten Leipziger Tatort nochmal so richtig auf die Kacke hauen möchten: Frei nach dem Motto "Ist der Ruf erst ruiniert..." lassen Keppler und Saalfeld bei der Suche nach der entführten Magdalena (Martha Keils) gehörig die Fetzen fliegen - den beiden scheint nichts mehr peinlich. Die mal mehr, mal weniger amüsanten Streitereien resultieren auch daraus, dass sich der vorübergehend wohnungslose Kommissar spontan bei Saalfelds Nachbarin Uschi (Victoria Sordo, Aus der Tiefe der Zeit) einquartiert und nachts bei seiner eifersüchtigen Ex-Frau die Wände zum Wackeln bringt: eine köstliche Szene. Doch auch die vielkritisierte Simone Thomalla, die aus ihrem Bedauern über die eigene Absetzung keinen Hehl machte, verbucht einen Lacher, als sich der diesmal ziemlich überflüssige Kriminaltechniker Wolfgang Menzel (Maxim Mehmet) wenig elegant zum Sportschau-Gucken bei seiner Chefin einladen möchte.
Saalfeld: "Ham' Sie was genommen, Menzelchen?"
Dass der zwanzigste Einsatz von Keppler und Saalfeld zugleich ihr zweitbester nach dem starken Krimidrama Schwarzer Peter ist, liegt vor allem am originellen Drehbuch: Hier hat der MDR, der sich nach dem letzten Leipziger Tatort Blutschuld in den sozialen Netzwerken sogar Kritik von Til Schweiger (Kopfgeld) gefallen lassen musste, nichts dem Zufall überlassen. Mit Sascha Arango sitzt ein Ausnahme-Autor am Ruder, der in den letzten Jahren mehr als ein halbes Dutzend Krimi-Highlights arrangierte - darunter den hochspannenden Kieler Tatort Borowski und die Frau am Fenster oder das brilliante Katz-und-Maus-Spiel Borowski und der Engel. Ganz so stark ist sein Drehbuch diesmal nicht, doch die tollen Wendungen - zum Beispiel die Explosion im Badezimmer der kinderlosen Entführer Monika (herausragend: Susanne Wolff, Der Fall Reinhardt) und Wolfgang Prickel (Jens Albinus) sorgen für erstklassige Unterhaltung. Nicht ganz so gelungen ist die Ausarbeitung des Schicksals von Magdalenas Eltern Judith (Picco von Groote) und Matthias Harries (Alexander Scheer, Tödliches Labyrinth): Der versuchte Suizid des gehörlosen Vaters wirkt eher unfreiwillig komisch als dramatisch, und auch der bizarre Gebetskreis, dem die beiden angehören, bringt die Handlung kaum voran. Regisseurin Claudia Garde, die zuletzt den schwachen Leipziger Tatort Frühstück für immer inszenierte, verleiht dem Entführungsfall dadurch allerdings einen mystischen Touch, und auch die Szenen im schalldichten Keller der bizarr maskierten Prickels sind atmosphärisch unheimlich stark. Und Sascha Arango, der nach dem Kieler Tatort Borowski und der stille Gast auch das mit Spannung erwartete Sequel Borowski und die Rückkehr des stillen Gastes konzipierte, hat wie immer eine bitterböse Schlusspointe im Köcher: Als das letzte Teelicht im Keller langsam erlischt, erreicht das Grauen im Kopf des Zuschauers seinen Höhepunkt. So wird Keppler und Saalfeld nach der Durststrecke der letzten Jahre zumindest ein würdiger Abschied zuteil, wenngleich die privaten Störfeuer im 945. Tatort etwas ausufern und der Kommissarin das Dosenbier nach Feierabend nicht so recht stehen will.

Bewertung: 7/10

Schwerelos

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Folge: 946 | 3. Mai 2015 | Sender: WDR | Regie: Züli Aladag

So war der Tatort:

Bild: WDR/Thomas Kost
Schwerelos - denn im treffend betitelten sechsten Dortmunder Tatort verlieren gleich mehrere Kommissare die Bodenhaftung. Das liegt vielleicht auch daran, dass zum ersten Mal nicht Jürgen Werner, der die ersten fünf Dortmunder Tatort-Folgen von Alter Egobis Hydra konzipierte, das Drehbuch schrieb: Das Skript stammt aus der Feder von Benjamin Braeunlich, der die Gefühlswelt der Ermittler und die sich daraus ergebenden Spannungen zur Antriebsfeder seiner Geschichte macht. Der aufzuklärende Mord an Fallschirmspringer Leo Janek (Florent Raimond) gibt in Schwerelos nur noch den erzählerischen Rahmen vor - so weit ging Werner bis dato nie, denn trotz aller privaten Störfeuer bildete der Kriminalfall immer das Herz der Handlung. Diesmal ist das anders: Schon der einleitende Leichenfund - bzw. Verletztenfund - ist rein zufälliger Natur, denn Hauptkommissarin Martina Bönisch (Anna Schudt) wird nicht etwa zum Tatort gerufen, sondern ist bereits vor Ort, weil sie sich in einem Krankenhaus nach ihrem abgetauchten Sohn erkundigen will. Später ist es dann Oberkommissarin Nora Dalay (Aylin Tezel), die sich in eine Affäre mit Fallschirmspringer Jules Lanke (Albrecht Schuch,Allmächtig) stürzt und damit rasende Eifersucht bei ihrem Ex-Freund Daniel Kossik (Stefan Konarske) auslöst, mit dem sie sich das Büro teilt. Private Probleme an allen Ecken und Enden: Im Mittelteil des Films spielt der Kriminalfall eine Viertelstunde lang überhaupt keine Rolle mehr, und spätestens, als Dalay und Janek aus luftiger Höhe ins kalte Wasser der Urfttalsperre springen und eine gemeinsame Nacht verbringen, geht es nur noch um das seelische Innenleben der Kommisarin. Dalays Affäre fehlt es allerdings an Spannungsmomenten, und auch Kossik tut immer das, was man als nächstes von ihm erwarten würde - so wirkt das Krimidrama letztlich recht formelhaft.

Dass der 946. Tatort trotzdem überzeugt, liegt also weniger an einer kniffligen Auflösung der Täterfrage oder einer steilen Spannungskurve, sondern an anderen Qualitäten: In Schwerelos ist nicht ein finaler Aha-Moment, sondern der Weg dahin das Ziel. Regisseur Züli Aladag (Erfroren) inszeniert ein ruhiges, aber kraftvolles Krimidrama, das in den Nebenrollen ansprechend besetzt ist und auch handwerklich in der ersten Liga spielt. Begleitet von einem atmosphärischen Soundtrack greifen die Filmemacher das titelgebende Schwerelos-Motiv vor der Kulisse trister Hochöfen immer wieder visuell auf: Ausgedehnte Kamerafahrten, toll fotografierte Base-Jumps und majestätische Aufnahmen aus der Vogelpespektive ziehen sich wie ein roter Faden durch den Tatort - auch wenn es Kameramann Yoshi Heimrath ein wenig übertreibt und auch die eine oder andere weniger bedeutende Szene durch perspektivische Spielereien künstlich überhöht. Doch was ist eigentlich mit Hauptkommissar Peter Faber (Jörg Hartmann), der Bönisch & Co. (und auch so manchen Zuschauer) bei seinen bisherigen Einsätzen mit seiner Kotzbrocken-Attitüde das Fürchten lehrte? Der gibt sich ungewohnt handzahm und zeigt sich als einziger Ermittler von einer bodenständigen Seite, die man zwar so noch nicht von ihm kannte, die ihm aber durchaus gut zu Gesicht steht. Das Enfant terrible der Krimireihe mausert sich schnell zum Ersatzvater für den kleinen Martin Janek (stark: Jungschauspieler Mats Hugo), der nach dem Tod seines Vaters kaum noch spricht, und zu dem auch seine Mutter Klara (Inez Bjørg David) keinen Zugang mehr findet. Fabers typische Ego-Touren und bissige One-Liner sucht man aber bis auf wenige Ausnahmen ("Wieder vom Hochofen gehüpft heute Nacht?") vergeblich: Der exzentrische Ermittler reagiert sich diesmal nicht an seinen Kollegen, sondern beim Tennisspielen ab und bildet den Ruhepol des stimmungsvollen Krimidramas, in dem der Mordfall fast nur schmückendes Beiwerk ist. Der WDR setzt seinen Weg also fort und orientiert sich an der horizontalen Figurenentwicklung amerikanischer Erfolgsserien, deren Originalität der Dortmunder Tatort aber noch immer nicht ganz erreicht.

Bewertung: 6/10

Kälter als der Tod

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Folge: 947 | 17. Mai 2015 | Sender: HR | Regie: Florian Schwarz

So war der Tatort:

Bild: HR/Benjamin Knabe
Überraschend sympathisch - denn die neuen Frankfurter Hauptkommissare Anna Janneke (Margarita Broich, Vergessene Erinnerung) und Paul Brix (Wolfram Koch, Hinkebein) präsentieren sich bei ihrem Debüt eine ganze Ecke weniger egomanisch als ihre Vorgänger in Hessen. Man denke zurück an Charlotte Sänger (Andrea Sawatzki) und Fritz Dellwo (Jörg Schüttauf), die der Krimireihe zwar Meilensteine wie Unter uns oder Weil sie böse sind bescherten, charakterlich aber etwas kompliziert gestrickt waren - oder an den mürrischen Alkoholiker Frank Steier (Joachim Król), der nach einigen starken Fällen mit Kollegin Conny Mey (Nina Kunzendorf) in Das Haus am Ende der Straße einen fabelhaften Solo-Abschied feierte. Keine kleinen Fußstapfen also, in die die etwas hausmütterliche Hobby-Fotografin Anna Janneke (die eigentlich Selma Jacobi heißen sollte) und der abgebrühte Ex-Sitte-Ermittler Paul Brix treten, doch der Hessische Rundfunk geht auf Nummer Sicher: Am Ruder sitzen Regisseur Florian Schwarz und Drehbuchautor Michael Proehl, die nach Weil sie böse sindzuletzt sogar den besten Tatort aller Zeiten arrangierten. Die stilistische Nähe zum einzigartigen Genre-Mix Im Schmerz geborenblitzt denn auch gelegentlich auf: Das großartige Finale erinnert an stimmungsvolle Italo-Western oder Quentin Tarantinos Django Unchained - und die regelmäßigen Imaginations-Flashs, bei denen Janneke und  Brix sich plötzlich mitten im Geschehen der Vergangenheit befinden, wecken Erinnerungen an FBI-Profiler Will Graham (Hugh Dancy), der sich in der US-Erfolgsserie Hannibal in die Gedankenwelt brutaler Serientäter hineinversetzt. Aber kann die Geschichte mit dieser erneut herausragenden Inszenierung und dem ausgefallenen Erzählstil mithalten?

Nicht ganz. Obwohl die Einführung der Figuren - eher ungewöhnlich für eine Debütfolge - und der vorprogrammierte Konflikt mit Kommissariatsleiter Henning Riefenstahl (Roeland Wiesnekker, Alle meine Jungs) angenehm knapp ausfallen, hat Kälter als der Tod bis zum furiosen Showdown mit einigen Längen und so manchem aufgesagt klingenden Dialog kämpfen. Zudem wirkt das Drehbuch ein wenig überfrachtet: Die ermordete Familie Sander, die Janneke und Brix in Esszimmer und Küche eines Einfamilienhauses finden, das verschwundene Kindermädchen Miranda Kador (Emily Cox, Hydra), das sich mit Tochter Jule Sander (Charleen Deetz, Kinderland) aus dem Staub gemacht hat, Inzest und ein düsteres Familiengeheimnis, das triste Eheleben von Martin (Roman Knizka, Todesstrafe) und Silke Kern (Carina Wiese, Todesschütze), das bisweilen ins Groteske („Ich möchte nachher mit dir schlafen." - "Ich freu mich.“) abdriftet, und dann auch noch der einsame Paketbote Achim Lechenberg (Sebastian Schwarz, Großer schwarzer Vogel), der es mit dem Briefgeheimnis nicht so genau nimmt - ein bisschen viel für neunzig Krimi-Minuten. Vor allem Brix' Besuch bei Lechenberg wirkt wie ein unnötiger Exkurs - zumal dessen Auftritt um Längen harmloser ausfällt als der von Paketzusteller Kai Korthals (Lars Eidinger), der im vielgelobten Kieler Tatort Borowski und der stille Gast vielen Zuschauern das Blut in den Adern gefrieren ließ. Auch mit ihrer ziemlich offensichtlichen falschen Fährte dürften die Filmemacher krimierprobte Zuschauer kaum von der richtigen Auflösung abbringen - ein sonderlich kniffliger Whodunit ist der 947. Tatort also nicht, und nicht nur das entscheidende Indiz um eine in Endlosschleife dudelnde CD wirkt reichlich konstruiert. So ist der Einstand der neuen Frankfurter Hauptkommissare, in dem es einige seltsame Verweise auf die Zeit der NS-Diktatur zu entdecken gibt, unter dem Strich zwar ein guter und unterhaltsamer, aber kein überragender Auftakt: Statt mit einer raffinierten Geschichte überzeugt Kälter als der Tod mit einer tollen Inszenierung und zwei sympathischen Ermittlern, auf deren nächste Fälle man schon jetzt gespannt sein darf.

Bewertung: 7/10

Roomservice

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Folge: 948 | 25. Mai 2015 | Sender: SWR | Regie: Tim Trageser

So war der Tatort:

Bild: SWR/Alexander Kluge
Verschlimmbessert - und das geht schon beim Krimititel los. Zimmermädchen Yasemin Akhtar (Naima Fehrenbacher), die einleitend in einem Kurpfälzer Luxushotel zu Tode stürzt, meldet sich vor ihrem Reinigungsbesuch einer Suite mit "Housekeeping!" - der titelgebende Roomservice hingegen spielt im Tatort aus Ludwigshafen eher im übertragenen Sinn eine Rolle, weil ihre Leistungen sich nicht aufs Staub wischen und Betten machen beschränken. Der ursprüngliche Arbeitstitel Mord in Suite 426 war allerdings noch unglücklicher, weil der anschließende Mord an ihr im Treppenhaus stattfindet - und vielleicht klingt ein Anglizismus einfach ein bisschen moderner, und das kann dem zuletzt immer überholter wirkenden Tatort aus der Pfalz ja eigentlich nur gut tun. Die Bemühungen der Drehbuchautoren Stefan Dähnert (Letzte Tage) und Patrick Brunken, den Krimi aus Ludwigshafen nach der jahrelangen Durststrecke und dem peinlichen Tiefpunkt Die Sonne stirbt wie ein Tier wieder auf Kurs zu bringen, sind spürbar, doch fruchten wollen sie kaum: Die altgedienten Figuren - allen voran Assistentin Edith Keller (Annalena Schmidt) - wirken wie Relikte aus vergangenen Tatort-Jahrzehnten und staunen Bauklötze, wenn sich die übermotivierte Fallanalytikerin Johanna Stern (Lisa Bitter) kofferweise High-Tech ins Büro liefern lässt und in einer Tour auf ihrem Tablet herumwischt, ohne das sie vermutlich nicht mal zur nächsten Bushaltestelle finden würde. Beim 62. Einsatz von Hauptkommissarin Lena Odenthal (Ulrike Folkerts) wirkt ihr langjähriger Partner Mario Kopper (Andreas Hoppe) daher auch mehr denn je wie ein unnötiger Sidekick - es passt ins Bild, dass sich der Kommissar irgendwann selbst in Frage stellt und den Nagel damit auf den Kopf trifft.
Kopper: "Ich dachte schon, ihr braucht mich überhaupt nicht mehr!"
Bei Aussicht auf eine ebenbürtige Nachfolgerin bräuchte man auch längst keine Lena Odenthal mehr - doch die in achselfreien Blümchen-Tops ermittelnde Stern sorgt beim altbacken arrangierten und erneut vorprogrammierten Generationenkonflikt mit der dienstältesten Tatort-Kommissarin eher für Fremdschäm-Momente als für den erhofften frischen Wind. Zur Rekonstruktion des Tathergangs schmeißt die pseudo-hippe LKA-Überfliegerin gemeinsam mit Spurensicherungsleiter Peter Becker (Peter Espeloer) eine Plastikpuppe durchs Treppenhaus - zum Ärger des überzeichneten Hotelchefs Dreusen (David C. Brunners), der natürlich auf möglichst geräuschfreie Ermittlungen drängt. Warum, bleibt rätselhaft: Spätestens in der zweiten Filmhälfte schlendern überhaupt keine Hotelgäste mehr über den Flur. Statt an Klischees wurde offenbar an Statisten, im Präsidium hingegen an originellen Dialogen und an Getränken gespart: Kopper und Dreusen trinken aus leeren Bechern, weil die Requisite ihnen mal wieder nichts eingeschenkt hat. Neben diesen handwerklichen Mängeln bietet der von Regisseur Tim Trageser (Höllenfahrt) inszenierte Krimi vor allem langweilige Figuren: Wer im Tatort einen Dienstwagen samt Chauffeur sein eigen nennt, hat eigentlich immer Dreck am Stecken. So auch EU-Kommissar Joseph Sattler (Peter Sattmann, Schatten), das Tatort-Pendant zum ehemaligen IWF-Präsidenten Dominique Strauss-Kahn, der das ermordete Zimmermädchen im Bademantel empfangen hat und auf alles scharf ist, was dunkle Haare hat - doch sogar die blonde Stern muss sich bei ihrem naiven Hausbesuch seiner Avancen erwehren. Für die wenigen Überraschungsmomente in Roomservice sorgt die toughe Valerie Sattler (souverän: Suzanne von Borsody, Schwarzer Peter): Die Seitenhiebe auf die Umtriebigkeit ihres Mannes ("Kannst du nicht einmal versuchen, deinen Schwanz im Zaum zu halten?") haben Biss, wenngleich die Juristin beim Mondscheingespräch mit Odenthal eine glaubwürdige Erklärung schuldig bleibt, warum sie in einer sagenhaften Nibelungentreue zu ihrem dauerfremdgehenden Gatten steht."Ein Ende ist immer auch ein Anfang", philosophiert Odenthal in einer anderen Szene weise - und bringt damit auf den Punkt, was auch ihr bald blühen könnte.

Bewertung: 3/10

Erkläre Chimäre

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Folge: 949 | 31. Mai 2015 | Sender: WDR | Regie: Kaspar Heidelbach

So war der Tatort:

Bild: WDR/Martin Valentin Menke
Atemberaubend - angesichts der seltenen Spannungsmomente aber weniger für den Zuschauer, als vielmehr für Hauptkommissar Frank Thiel (Axel Prahl). Der verschluckt sich in Erkläre Chimäre nach einer feuchtfröhlichen Feier mit Professor Karl-Friedrich Boerne (Jan Josef Liefers) und der frisch zur Kommissarin beförderten Ex-Assistentin Nadeshda Krusenstern (Friederike Kempter) nämlich bei einem Anti-Kater-Snack so böse, dass ihm Boerne per Luftröhrenschnitt mit einem Kugelschreiber (Aufdruck: Luftkurort Davos) das Leben retten muss. Die übrigen 80 Minuten kann sich der bedauernswerte St. Pauli-Fan nur noch mit Röchelstimme verständigen: Schauspieler Axel Prahl zieht dies bemerkenswert konsequent durch, und doch ist dieser Drehbuchkniff auf Dauer eher anstrengender als amüsanter Natur. Den drohenden Bolustod, dem Thiel von der Schippe springt, kennt das Stammpublikum noch aus dem letzen Hamburger Tatort Die Feigheit des Löwen - und auch der teure Uralt-Champagner, den der ermordete Brasilianer Luiz Bensao für Boernes reichen Erbonkel Gustav von Elst (Christian Kohlund, Abendstern) in einer Weinhandlung veräußern sollte, kommt einem seit dem Bodensee-Krimi Chateau Mortirgendwie bekannt vor. Und dann ist da noch Crystal Meth-Opfer Tom Schosser (François Goeske, Häschen in der Grube): Nach Paradies und Borowski und der Himmel über Kiel scheint die chemische Droge endgültig ihren festen Platz im Standardrepertoire der Drehbuchautoren gefunden zu haben. Der mit unzähligen kuriosen Zufällen gespickte Kriminalfall ist aber ohnehin nur Nebensache: Das eingespielte Autorenduo Stefan Cantz und Jan Hinter, das bereits zum zehnten Mal ein gemeinsames Drehbuch für den Krimi aus Westfalen beisteuert, hat sich für den 27. Einsatz ihrer Quotenkönige nämlich etwas ganz Besonderes ausgedacht. Thiel und Boerne heiraten!
Von Elst: "Wenn das nicht die ideale Verbindung ist."
Thiel: "Tja, es ließ sich quasi gar nicht vermeiden."
Zumindest geben die beiden einen Trauschein vor - denn Boerne will bei seinem schwulen Erb-Onkel Eindruck machen, um dessen Ferienhaus in Florida zu erben. Es sind die amüsantesten Szenen im 949. Tatort, bei dem die Spannung einmal mehr komplett hinter den mal mehr, mal weniger witzigen Drehbucheinfällen zurückstehen muss. Thiel und Boerne erweisen sich tatsächlich als ideale Verbindung: Während der Professor fast Gefallen an dem absurden Arrangement zu finden scheint, sträubt sich der Kommissar anfangs energisch - lässt es sich aber nicht nehmen, neckische Seitenhiebe auf seinen vermeintlich Liebsten zu verteilen. Mit zunehmender Spieldauer übertreiben es die Filmemacher mit diesem originellen Nebenkriegsschauplatz aber ein wenig, so dass der "Schlitzer von Münster" - und auch dessen obligatorisches zweites Opfer - immer wieder zur Nebensache werden. Exemplarisch dafür stehen die schwachen Schlussminuten: Das Tatmotiv wird in wenigen knappen Sätzen abgefrühstückt, obwohl sich eine ausführliche Aufarbeitung durchaus angeboten hätte. Der Tathergang hingegen wird am Seziertisch ausführlich rekapituliert - schließlich soll Erkläre Chimäre ja nicht nur Komödie, sondern auch Krimi sein, und da sollte zumindest eine halbwegs plausible Auflösung der Geschichte her. Kaum sind alle offenen Fragen geklärt, widmet sich Regisseur Kaspar Heidelbach (Dicker als Wasser) wieder dem offenbar wichtigeren Handlungsstrang - der folgenreichen Scheinheirat von Thiel und Boerne. Fast leid tun kann einem diesmal die von Boerne dauergetadelte Silke "Alberich" Haller (Christine Urspruch): Die Filmemacher stecken die kleinwüchsige Assistentin in ein witzloses Schneewittchen-Kostüm (Boerne: "Wo haben Sie denn die sieben Zwerge? Also die anderen sechs?"), über das außer dem Professor auch wirklich niemand lachen kann. Eingefleischte Fans der Tatort-Folgen aus Münster werden aber auch an dieser Szene Gefallen finden - wie auch am Rest des vornehmlich von Albernheiten geprägten, aber gänzlich spannungsfreien Schmunzel-Krimis.

Bewertung: 5/10

Gier

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Folge: 950 | 7. Juni 2015 | Sender: ORF | Regie: Robert Dornhelm

So war der Tatort:

Bild: ARD Degeto/ORF/Petro Domenigg
Schmähfrei. Es waren nicht zuletzt auch die amüsanten Streitereien und Granteleien von Chefinspektor Moritz Eisner (Harald Krassnitzer) und Major Bibi Fellner (Adele Neuhauser), mit denen der Wiener Tatort seit Fellners Debüt im Jahr 2011 seinen Platz in der Spitzengruppe der Krimireihe festigte: Wenn das Drehbuch mal schwächelte (wie zuletzt in Paradiesoder Grenzfall), sprangen stets die beiden Hauptfiguren in die Bresche, deren köstliche Dialoge meist allein schon das Einschalten wert waren. Anders als zum Beispiel die Kollegen Thiel und Boerne in den immer seltener originellen Folgen aus Münster wussten die beiden ihr Publikum bisher immer zu überraschen, doch bei ihrem zwölften Einsatz ist vieles anders: Der hollywooderprobte Regisseur und Tatort-Debütant Robert Dornhelm inszeniert mit Gier einen ihrer schwächsten Fälle - und das nicht zuletzt deswegen, weil Eisner und Fellner sich zahm wie selten geben und der markant-sympathische Wiener Schmäh, der den Austro-Tatort so unverwechselbar macht, fast vollkommen fehlt. Die humorvollen Szenen lassen sich so an zwei Fingern abzählen: Zum Schmunzeln laden eigentlich nur die einleitende Party bei BKA-Chef Ernst Rauter (Hubert Kramar), auf dem die beiden völlig overdressed erscheinen (s. Bild), und eine Szene im Präsidium ein, in der sich das ungleiche Ermittlerduo zwei Pizzen bestellt hat und Fellner die Rechnung wie selbstverständlich ihrem Kollegen überlässt.
Pizzabote: "Wer zahlt?"
Fellner: "Die Funghi."
Dass niemandem zum Lachen zumute ist, liegt aber auch an der grausamen Auftaktsequenz, in der Rauters schwangeres Patenkind Roswita Mader (Emily Cox, Kälter als der Tod) Opfer eines Arbeitsunfalls wird: Die junge Frau trägt einen fehlerhaften Schutzanzug und wird in einer Chemiefabrik mit hochaggressiver Säure verätzt. Es ist für lange Zeit die dramatischste Szene, denn nach dem tragischen Unglück, das eher auf Gier als auf böswillige Tötungsabsichten zurückzuführen ist, verrichten Eisner und Fellner eine gefühlte Ewigkeit lang die Arbeit des Arbeitsinpektorats: Man hört sich in der Firma um und lässt die Herkunft des Schutzanzugs prüfen, während weitere Opfer nach einem verbalen Donnerwetter von Roswitas Ehemann Helmut Mader (Eugen Knecht) und sofortigen Maßnahmen der Firmenleitung eigentlich auszuschließen sind. Die Wiener Ermittler stochern einzig auf Wunsch ihres Vorgesetzten Rauter ("Macht's für mich - bitte!") ein bisschen im Nebel - das gestaltet sich unheimlich zäh und dient in erster Linie dazu, die schablonenhaft angelegten Nebenfiguren einzuführen. Unter diesen gibt es letztlich auch nur eine interessante Figur: Es ist Schnurrbartträger Peter Wendler (Anian Zollner, Freunde bis in den Tod), der nach einem Mordversuch an seiner Ehefrau Sabrina (Maria Köstlinger, Tödliches Vertrauen) in der Psychatrie hockt und dort irgendetwas zu planen scheint. Immerhin: Mit der (wie so oft pünktlich nach 45 Minuten gefundenen) zweiten Leiche kommt der Krimi auf Betriebstemperatur, wenngleich Drehbuchautorin Verena Kurth (Zwischen den Fronten) sich mit ihrem blassen Whodunit widerstandslos den ungeschriebenen Tatort-Gesetzen unterwirft. Für mehr bleibt aber auch kaum Zeit: Die kühle Schlusspointe, die als Verweis auf Alfred Hitchcocks Suspense-Thriller Frenzy gewertet werden kann, wertet den 950. Tatort ebenso wenig auf wie die dank einiger überdeutlicher Hinweise jederzeit vorhersehbare Auflösung. Für unfreiwillige Komik sorgt im Übrigen noch Wendlers Gärtner Gupta Kumar (Thomas Nash), dessen indischer Akzent zwar prächtig mit seinem exotischen Outfit harmoniert, ansonsten aber seltsam aufgesetzt wirkt.

Bewertung: 4/10

Wer Wind erntet, sät Sturm

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Folge: 951 | 14. Juni 2015 | Sender: Radio Bremen | Regie: Florian Baxmeyer

So war der Tatort:

Bild: Radio Bremen/Jörg Landsberg
Phrasenreich. Keine zwölf Minuten sind in Wer Wind erntet, sät Sturm vergangen, da ist auch schon das erste Phrasengewitter über den Zuschauer hereingebrochen: "Nur wer gegen den Strom schwimmt, gelangt zur Quelle", sinniert Umweltaktivist Henrick Paulsen (Helmut Zierl, Mauerblümchen), als er sich nach einer Ein-Mann-Aktion auf einem Windrad selbst filmt - und wird nicht müde, diese platte Binsenweisheit bis zum Abspann noch ein halbes Dutzend Mal zu wiederholen. "Ich will die Welt ein bisschen besser machen", behauptet hingegen Windpark-Betreiber Lars Overbeck (Thomas Heinze, Keine Polizei), dem es durchaus gelegen kommt, dass Paulsen nach dem Upload des skandalträchtigen Videos von der Bildfläche verschwindet und nicht weiter Stimmung gegen seinen finanziell angeschlagenen, aber ins Visier der Umweltschützer geratenen Konzern schüren kann. "Jeder Mensch braucht große Ziele", weiß indes Hauptkommissar Nils Stedefreund (Oliver Mommsen) - in diesem ermüdenden Phrasenkanon fehlt eigentlich nur noch Kollegin Inga Lürsen (Sabine Postel), die sich aber erfreulicherweise mit Weisheiten zurückhält. Für unbeabsichtigte Komik sorgt sie dafür an anderer Stelle: "Unter uns: Manche Aktionen bewundere ich", gesteht Lürsen dem tatendurstigen Umweltschützer Kilian Hardendorf (Lucas Prisor, Kälter als der Tod), der sich bei Paulsens Ex-Frau Katrin Lorenz (Annika Blendl, Ein ganz normaler Fall) im Garten einquartiert hat - übersieht dabei aber, dass in diesem vermeintlich vertraulichen Moment nicht nur Stedefreund, sondern vor allem ein wildfremder Polizist direkt neben ihr und dem Verdächtigen sitzt und die Ohren spitzt.

Es sind diese unbeholfenen Momente, die der durchaus differenziert vorgetragenen Kritik an der Energiewende - hier wird keineswegs nur zu einem plumpen Rundumschlag gegen böse Konzerne ausgeholt - die Substanz rauben: Die Dialoge der Drehbuchautoren Wilfried Huismann (Schiffe versenken), Dirk Morgenstern und Boris Dennulat (Alle meine Jungs) sind nicht halb so originell wie der Krimititel, der das beinharte Geschäft mit der Offshore-Energie und den Protest der Umweltschützer auf den Punkt bringt. Ein ernstes Thema, das der Bremer Stamm-Regisseur Florian Baxmeyer (Puppenspieler) hier anpackt - das aber naturgemäß nur sehr bedingt mit der chaotischen Slapstick-Prügelei harmonieren will, die Overbeck und Hardendorf zwischen Puppenhäusern und Bücherstapeln vortragen und dabei mit einer Gitarre (!) aufeinander einprügeln. Bud Spencer und Terence Hill lassen grüßen. Auch die stark überzeichneten Figuren schaden der Geschichte eher: Neben dem mal mehr, mal weniger wortgewandten Overbeck ("Ihr könnt mich vielleicht besiegen - aber brechen könnt ihr mich nicht!") ist da auch noch der vampireske Fondsmanager und Konkurrent Milan Berger (großartig: Rafael Stachowiak, Borowski und der Himmel über Kiel), der mit der Waffe eines Vierfachmörders am Kopf einen Skype-Anruf seiner aufgeweckten Oma entgegennimmt ("Die ruft sonst immer wieder an!"). Overbeck und Berger liefern sich zwar ein reizvolles Duell - doch spätestens auf der Zielgeraden wird der 951. Tatort, dessen Auflösung früh ersichtlich ist, zur Lachnummer. Was in Alle meine Jungs - in dem es mit dem Müllpaten Uwe Frank (Roeland Wiesnekker) ebenfalls eine stark überzeichnete Figur gab - noch passabel funktionierte, gerät hier aus dem Ruder, weil sich alle Beteiligten (inklusive zwanzig übermotivierter Blaumann-Statisten in Overbecks Werkshalle) einfach viel zu ernst nehmen. "Sie verlieren hier völlig die Verhältnismäßigkeit", bilanziert Lürsen am Ende - ein Fazit, das man auch für viele Szenen in diesem Tatort ziehen könnte. Da retten die tollen Nordsee-Bilder von Kameramann Peter Krause, die Erinnerungen an Mord auf Langeoog wecken, am Ende nur wenig.

Bewertung: 3/10

Der Inder

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Folge: 952 | 21. Juni 2015 | Sender: SWR | Regie: Niki Stein

So war der Tatort:

Bild: SWR/Johannes Krieg
Deutlich weniger indisch, als man es angesichts des exotischen Krimititels vermuten sollte: Der Inder kommt im 952. Tatort nämlich nur in Erzählungen und auf einem Foto vor. Und doch ist er derjenige, der den 16. gemeinsamen Einsatz von Hauptkommissar Thorsten Lannert (Richy Müller) und Sebastian Bootz (Felix Klare) überhaupt erst heraufbeschwört: Der ausländische Investor war die entscheidende Person im Immobilendeal "Gleisdreieck", bei dem die durch den Bau von Stuttgart 21 freiwerdenden Flächen von Architekt Busso von Mayer (Thomas Thieme, Das Dorf) bewirtschaftet werden sollten. Der sitzt mittlerweile im Gefängnis - denn der Deal platzte, weil sich der indische Investor als Hochstapler entpuppte und von Mayer seine Schäfchen nicht rechtzeitig ins Trockene brachte. Regisseur und Drehbuchautor Niki Stein (Pauline) arrangiert den politischsten Tatort seit Jahren und streut fleißig Salz in die schwäbische Wunde: Soviel Lokalkolorit gab es im Stuttgarter Tatort, der zu großen Teilen am SWR-Standort in Baden-Baden gedreht wird, noch nie. Während die Bagger längst buddeln und Bahn und Städteplaner gebetsmühlenartig die Vorteile von Stuttgart 21 für die gesamte Wirtschaftsregion betonen, empört sich so mancher Wutbürger auch dreieinhalb Jahre nach dem Volksentscheid noch darüber, dass Steuergelder in Milliardenhöhe dafür ver(sch)wendet werden, 14 Minuten schneller von Frankfurt nach München fahren zu können. Stein verwebt den fiktiven Mordfall des Ex-Staatssekretärs Jürgen Dillinger (Robert Schupp, Hydra) gekonnt mit Fakten und Anspielungen auf reale Entscheidungsträger - und lässt von Mayer bei Lannerts regelmäßigen Besuchen im Knast gegen die baden-württembergische Landeshauptstadt vom Leder ziehen.
Von Mayer: "Ein Drecksloch, ein städtebaulicher Irrtum, ein zubetonierter Talkessel!"
Wer in Deutschlands schlimmster Stau-Stadt Stuttgart mal im Verkehr gestanden hat, der weiß: Der Mann hat nicht ganz Unrecht. Auch Lannert und Bootz quälen sich durch die Blechlawine, doch zu ausufernden Kontroversen kommt es nicht: Während im Kölner Tatort wahrscheinlich eine bemühte Diskussion zwischen Max Ballauf (Klaus J. Behrendt) und Freddy Schenk (Dietmar Bär) anstünde, lässt Lannert Projektkritiker Bootz einfach im Regen stehen ("Dafür haben deine Kinder am Ende einen schönen Bahnhof."). Die konkreten Bezüge zur schwäbischen Realität machen den Krimi aber vor allem für "Ländle"-Bewohner zum interessanten Politthriller - und anders als viele andere Tatort-Macher, die sich bei gesellschaftlichen Reizthemen aus der Affäre stehlen, nimmt Niki Stein eine klare Position ein: Am Ende ist auch Lannert ein Gegner des Projekts und die Botschaft damit unmissverständlich. Einzig Freigänger von Mayer bleibt eiserner Befürworter, taugt aufgrund seiner ausgeprägten Eigeninteressen aber nicht als Gegenpol zum allgemeinen Lästerkanon. Trotz des politischen Schwerpunkts und des von Beginn an feststehenden Auftragsmörders Franc Lefevre (Stephane Lalloz)funktioniert Der Inder aber auch als Krimi: Bis zum Showdown auf dem Dach des Bahnhofsturms bleibt offen, wer den Auftrag für die Erschießung gab, und welche Rolle Ex-Ministerpräsident Rubert Heinerle (köstlich: Ulrich Gebauer, Der Finger) zukommt. Dass die Geschichte ingesamt etwas unübersichtlich gerät, liegt auch an der verschachtelten Erzähltechnik, derer sich zum Beispiel Quentin Tarantino in Pulp Fiction bediente: Es kommt nicht von ungefähr, dass Gerichtsmediziner Dr. Vogt (Jürgen Hartmann) auf das Gesamtwerk des Regisseurs verweist und sich die undurchsichtige Mira (Gabriela Lindlova) als tschechische Jackie Brown-Variante entpuppt. Angesichts solcher Hollywood-Vorbilder hätte es die anstrengende Fee Waldner (Elisabeth Leistikow) gar nicht mehr gebraucht - die überzeichnete Szene-Bloggerin ("500.000 Klicks täglich!") entpuppt sich als müder Abklatsch von Investigativ-Reporterin Zoe Barnes (Kate Mara) aus dem Netflix-Hit House of Cards und bringt die Geschichte kaum voran.

Bewertung: 7/10

Schutzlos

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Folge: 953 | 5. Juli 2015 | Sender: SRF | Regie: Manuel Flurin Hendry

So war der Tatort:

Bild: ARD Degeto/SRF/Daniel Winkler
Halluzinativ. Man könnte fast meinen, der Wiesbadener LKA-Ermittler Felix Murot (Ulrich Tukur) hätte sich in den Schweizer Tatort verirrt - schließlich wurde dieser vor allem in der Krimigroteske Das Dorf dank seines Hirntumors von schlimmen Halluzinationen geplagt. In Luzern geht aber nach wie vor Kommissar Reto Flückiger (Stefan Gubser) auf Täterfang: Schon bei der ersten Tatort-Begehung - der nigerianische Flüchtling und Drogendealer Ebi West (Charles Mnene) wird tot unter einer Brücke an einem See aufgefunden - sieht Flückiger eine Ratte vorbeihuschen, die gar nicht existiert, und auch eine Frau am anderen Seeufer scheint er sich nur eingebildet zu haben. "Ist es ein Tumor?", fragt der von Visionen gepeinigte Kommissar seinen Arzt - doch der gibt Entwarnung, und ein müder Murot-Abklatsch ist wohl auch das Letzte, was den quotentechnisch angeschlagenen Krimi aus Luzern weiterbringen würde. Zwar ließ das SRF ein paar Wochen vor der Erstausstrahlung von Schutzlos durchklingen, dass man bereits an die Zeit nach Flückiger denke, doch nach einer Abschiedsvorstellung sieht sein achter Einsatz (noch) nicht aus. Flückigers verordnete Bettruhe führt dazu, dass im 953. Tatort endlich einmal Kollegin Liz Ritschard (Delia Mayer) ins Rampenlicht rückt: Von ihr weiß der Zuschauer bisher eigentlich nur, dass sie auf Frauen steht (vgl. Schmutziger Donnerstag), doch auch in Schutzlos erfährt er über die lesbische Ermittlerin nichts Neues. Selbst Drogenfahnder Franz Hofstetter (Andreas Krämer, Schwelbrand), der Ritschard bei den Ermittlungen im Drogenmilieu unter die Arme greift, spielt sich in Flückigers Abwesenheit stärker in den Vordergrund als die blasse Kommissarin.

Der SRF gesteht Ritschard nach wie vor keinen Wiedererkennungswert zu, und das macht sie als tragende Figur auch in diesem Tatort zu uninteressant und austauschbar. Selbst ihren Solo-Abstecher nach Italien nutzt Regisseur Manuel Flurin Hendry (Satisfaktion), der mit Josy Meier (Zwischen zwei Welten) auch das Drehbuch schrieb, nicht für tiefergehende Charakterzeichnung. Anders als ihr frisch zum Polizeikommandanten beförderter Chef Eugen Mattmann (Jean-Pierre Cornu), der seinen Status als nervtötendste Figur der gesamten Krimireihe eindrucksvoll untermauert, ist Ritschard aber zumindest kein wandelndes Klischee: Mattmann zeigt sich auch in Schutzlos wieder als völlig instinktfreier, mediengeiler und überzeichneter Vorgesetzter, der den Ermittlern grundlos Knüppel zwischen die Beine wirft. Die stets bemüht wirkenden Streitgespräche zwischen ihm und den Kommissaren bringen die Geschichte unnötig aus dem Tritt, dabei birgt das Drehbuch großes Potenzial: Es bringt die Perspektivlosigkeit afrikanischer Flüchtlinge in der Schweiz auf den Punkt, denn deren beklemmendes Schicksal wird durch Schlüsselfigur Jola West (Marie-Helene Boyd) konkret und greifbar. Die Nigerianerin ist wie das dealende Mordopfer in der Hoffnung auf das große Geld nach Europa geschleust worden und sorgt am Ende doch nur dafür, dass sich der Drogenboss im Hintergrund eine goldene Nase verdient. Dass sie mit dem Toten ein besonderes Verhältnis verbindet, lassen die Filmemacher lange im Ungewissen - dieser Twist erweist sich aber als zu vorhersehbar, so dass schlussendlich auch die Auflösung nicht überzeugt. Pünktlich zum Showdown steht Flückiger nämlich wieder im Präsidium auf der Matte - und hat natürlich den entscheidenden Geistesblitz, der den Fall noch einmal in ein völlig neues Licht rückt. So bleibt der Auftritt von Mona Petri (Wunschdenken) als heruntergekommenes Drogenwrack Sascha Zurbuchen das einzige echte Highlight in diesem ansonsten eher durchwachsenen Tatort aus Luzern.

Bewertung: 4/10

Ihr werdet gerichtet

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Folge: 954 | 6. September 2015 | Sender: SRF | Regie: Florian Froschmayer

So war der Tatort:

Bild: ARD Degeto/SRF/Daniel Winkler
Bemerkenswert brutal. Aufgeplatzte Schädel, Gehirnstückchen auf dem Asphalt und Blutlachen auf heimischen Ehebetten: Ihr werdet gerichtet ist eine der brutalsten Tatort-Folgen aller Zeiten und für die Prime-Time absolut grenzwertig. Die Schweizer Hauptkommissare Reto Flückiger (Stefan Gubser) und Liz Ritschard (Delia Mayer) bekommen es im ersten Tatort nach der Sommerpause 2015 mit einem Heckenschützen zu tun, und aus dessen Identität macht Drehbuchautor Urs Buehler (Skalpell) kein Geheimnis: Es handelt sich um Michael Kohlhaas-Verschnitt Simon Amstad (Antoine Monot, Jr., Puppenspieler), der in seiner Auto-Werkstatt an einem Scharfschützengewehr herumschraubt und den Titel von "Tech-Nicks" letztem Tatort-Gastspiel zum Motto macht: Er wird töten. Der Auto-Elektroniker will Gerechtigkeit walten lassen, weil so mancher Luzerner Bürger in seinen Augen von der Schweizer Justiz nicht hart genug bestraft wurde. Ein kühl kalkulierter und eiskalt vorgetragener Feldzug, der den Ermittlern lange Rätsel aufgibt: Außer den abgesägten Projektilen, in die Amstad Paragraphenzeichen eingraviert, hinterlässt der Täter keine brauchbaren Spuren. Für den Zuschauer stellt sich also nicht die Frage, wer hinter den Anschlägen steckt, sondern ob es Flückiger und Ritschard gelingen wird, den gewieften Killer am Ende zur Strecke zu bringen. Bei diesem prickelnden Wettlauf gegen die Zeit bewahrheitet sich einmal mehr die These, dass Tatort-Folgen, in denen der Täter von Beginn an bekannt ist (vgl.Weil sie böse sind, Der kalte Tod oder Borowski und der Engel), oft die besseren sind: Ihr werdet gerichtet ist bis dato sogar der beste Tatort aus Luzern.

Beim SRF dachte man in den Wochen vor der TV-Premiere allerdings laut über einen Neuanfang nach - und wer wollte es dem Sender nach Folgen wie Hanglage mit Aussicht oder Wunschdenken verübeln? Für die auf der Abschussliste stehenden Kommissare ist ihr achter gemeinsamer Einsatz aber ein Bewerbungsschreiben für weitere Fälle - und nach dem durchwachsenen Vorgänger Schutzlos, der die schwächste Tatort-Einschaltquote seit2010 einfuhr, eine kleine Kurskorrektur spürbar: Flückers Halluzinationen werden nicht mehr thematisiert, und vor allem der bis dato von allen Drehbuchautoren unerträglich überzeichnete Polizeikommandant Eugen Mattmann (Jean-Pierre Cornu) zeigt sich diesmal wie verwandelt. Statt den Ermittlern grundlos Knüppel zwischen die Beine zu werfen, stärkt er ihnen demonstrativ den Rücken. Das gestaltet sich zwar genauso hölzern wie die Synchronisation des Schweizer Krimis, aber bei weitem nicht so nervtötend wie seine letzen Tatort-Auftritte (insbesondere in Verfolgt). Auch der Bösewicht überzeugt: Antoine Monot Juniors  zurückgenommenes Spiel unterstreicht das vordergründig hilfsbereite Naturell des Teilzeit-"Snipers", der sich zu Hause rührend um seine kranke Frau Karin (Sarah Hostettler) kümmert und schon in der nächsten Sequenz auf den Abzug drückt, ohne mit der Wimper zu zucken. Ihr werdet gerichtet ist ein atmosphärisch dichter Thriller mit kleinen Logiklöchern, der von einem stimmungsvollen Soundtrack vorangetrieben wird: Setzt die Musik überhaupt einmal aus, hat das stets einen triftigen Grund. Als Amstad sich nach einer brenzligen Situation in seinen Sessel plumpsen lässt und tief durchpustet, weiß der Zuschauer sofort: Die Verschnaufpause des Killers ist nur ein retardierender Moment vorm dramatischen Finale, in dem Regisseur Florian Froschmayer keine Gefangenen macht. Der Filmemacher weiß eben, wie's geht: Mit Der Polizistinnenmörder schuf er eine der spannendsten Bodensee-Folgen aller Zeiten, und sein starker Berliner Tatort Edel sei der Mensch und gesund brachte Zündstoff in die Diskussion über das deutsche Gesundheitssystem. Bleibt zu hoffen, dass seiner sechsten Tatort-Arbeit weitere folgen.

Bewertung: 7/10

Hinter dem Spiegel

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Folge: 955 | 13. September 2015 | Sender: HR | Regie: Sebastian Marka

So war der Tatort:

Bild: HR/Degeto/Bettina Müller
Nicht ganz so ausgefallen wie der Vorgänger: Der zweite Fall von Anna Janneke (Margarita Broich) und Paul Brix (Wolfram Koch) fällt etwas bodenständiger aus als ihr Debüt Kälter als der Tod - und doch ist Hinter dem Spiegel keineswegs schlechter. Waren es beim ersten Einsatz der Frankfurter Hauptkommissare noch die herausragende Inszenierung und die ungewöhnliche Erzähltechnik, bei der die Ermittler in bester Will Graham-Manier mitten in das Geschehen der Vergangenheit versetzt wurden, so ist es diesmal das mit vielen originellen Einfällen gespickte Drehbuch, das Sebastian Markas zweiten Tatort so besonders und sehenswert macht. Markas erster TatortDas Haus am Ende der Straße wurde von Kritikern und Publikum gefeiert - Hinter dem Spiegel bleibt zwar etwas hinter dem hochspannenden Abschiedsfall für Hauptkommissar Frank Steier (Joachim Król) zurück, wartet aber mit schrägen Überraschungen auf und spielt mit zahlreichen ungeschriebenen Gesetzen der Krimireihe. So knüpft zum Beispiel der Auftakt - ungewöhnlich für einen Tatort - direkt an Kälter als der Todan: Brix muss sich für die Schüsse auf Kindermädchen Miranda Kador (Emily Cox) verantworten und wird zum Innendienst verdonnert. Antriebsfeder der Geschichte ist aber nicht dieser einleitende Vorfall oder der erhängte Lobbyist, den Janneke kurz darauf in einer Wohnung findet, sondern ein tragisch endender Einsatz aus Brix' Zeiten bei der "Sitte": Ähnlich wie im Berliner Tatort Das Muli, in dem die Filmemacher einen parallel laufenden Handlungsstrang zur Vorgeschichte von Hauptkommissar Robert Karow (Mark Waschke) eröffnen, schlägt Drehbuchautor Erol Yesilkaya (Alle meine Jungs) den Bogen in die Vergangenheit, der sich Brix in Form seines ehemaligen Kollegen Simon Finger (Dominique Horwitz, Der irre Iwan) stellen muss.

Was den 955. Tatort zu einem so reizvollen Krimi-Thriller macht, ist der unterschiedliche Wissensstand aller Beteiligten: Für den Zuschauer ist die schlagfertige Porsche-Fahrerin und Hobby-Fotografin Janneke (Anspielung auf Mark Romaneks Thriller One Hour Photo inklusive) die Identifikationsfigur, weil unklar ist, wieviel Dreck Brix wirklich am Stecken hat. Kurz nachdem Finger ihn um Hilfe bittet, wird er auch schon von seinem Schwager und Chef Wolfgang Preiss (Justus von Dohnányi, Eine bessere Welt) erschossen. Die Kommissare ahnen nichts - der Zuschauer hingegen ist live dabei. Brix wiederum weiß im Gegensatz zu Publikum und Janneke um seine Vergangenheit, während Dezernatsleiter Henning Riefenstahl (Roeland Wiesnekker) ein anderes Geheimnis hütet. Und Preiss ahnt nicht, dass Janneke und Brix mit dem spielsüchtigen Patty Schneider (Henning Peker, Waidmanns Heil) ein faules Ei in den Korb gelegt haben. Der ständige Konflikt zwischen Vertrauen, Pflichtbewusstsein und Loyalität prägt das Handeln aller Beteiligten, und dabei verwischen zunehmend die Grenzen zwischen Recht und Unrecht. Dieses prickelnde Katz-und-Maus-Spiel gerät im Mittelteil etwas unübersichtlich: Brix, Janneke und Riefenstahl fassen die Ermittlungen zwar in einem zweiminütigen Ergebnissprint zusammen, dürften damit bei vielen Zuschauern aber eher noch größere Verwirrung stiften. Erst ganz am Ende fügen sich die Puzzlestücke zusammen. Ein paar Minuten mehr Laufzeit hätten dem Krimi gut getan - insbesondere die Hintergründe zum Geldwäsche-Projekt der involvierten Russenmafia um Elena Yusow (Anja Schneider, Ätzend) und Auftragskiller Mischa Grinko (eiskalt: Anton Pampushnyy) werden im Schnellverfahren abgehandelt. Das Leitmotiv hingegen zieht sich wie ein roter Faden durch den Film: Beginnend beim visuell herausragenden Vorspann, bei dem die typischen Stimmungsbilder der Tatort-Stadt durch eine symmetrische Spiegelung in der Bildmitte entfremdet werden, halten die Filmemacher allen Charakteren den Spiegel vor und schaffen damit eine solide Grundlage für die Weiterentwicklung der Frankfurter Figuren.

Bewertung: 7/10

Die letzte Wiesn

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Folge: 956 | 20. September 2015 | Sender: BR | Regie: Marvin Kren

So war der Tatort:

Bild: BR/Wiedemann Berg Television/Bernd Schuller
Festlich. Nachdem Ivo Batic (Miroslav Nemec) und Franz Leitmayr (Udo Wachtveitl) 2007 im Tatort A gmahde Wiesn erstmalig Oktoberfest-Luft schnuppern, aber nur inmitten der Vorbereitungen auf das größte Volksfest der Welt ermitteln durften, schickt Regisseur Marvin Kren (Kaltstart) die Münchner Hauptkommissare in Die letzte Wiesn an die Front: Im fiktiven Amperbräu-Festzelt suchen Batic und Leitmayr zwischen Bierbänken und Zapfanlagen  nach einem gefährlichen Serientäter. Der kippt den Atemlos gröhlenden Schunklern heimlich Liquid Ecstasy - kurz GHB - in ihre Maßkrüge, und das führt schon bald zu ersten Toten. Die Drehbuchautoren Stefan Holtz und Florian Iwersen entwerfen ein unübersichtliches Wimmelbild-Szenario, schöpfen das Potenzial ihrer reizvollen Location aber nicht aus: Mit Einzelgänger Arthur Graensel (Julius Feldmeier, Die Ballade von Cenk und Valerie), der sich mit Alltags-Outfit, Kopfhörern und unerschütterlich ernster Miene allzu stark vom Trachtenvolk abhebt, hat der Zuschauer die gesuchte Nadel im Heuhaufen schnell identifiziert. Nennenswertes Profil verleihen die Filmemacher dem einsamen U-Bahn-Fahrer auch nicht, und ein nächtlicher Besuch der Kommissare in dessen Wohnung - gurrender Auftritt einer weißen Taube inklusive - driftet gar seltsam insGroteske ab. Deutlich gelungener ist da eine Stippvisite bei Leitmayr: Der Wiesn-Hasser hat vorübergehend schwedische Zwischenmieterinnen in seiner Wohnung einquartiert, übernachtet spontan in der Badewanne und überrascht eine der beiden Dirndl-Damen prompt bei ihrer Morgentoilette.
Leitmayr: "Continue..."
Die authentisch arrangierte Volksfest-Atmosphäre, in die zuletzt auch die Weimarer Kollegen Lessing (Christian Ulmen) und Dorn (Nora Tschirner) auf dem Rudolstädter Vogelschießen (vgl. der Der irre Iwan) eintauchten, bildet die Kulisse für einen stimmungsvollen Krimi, der aber nur selten aus dem konventionellen Schema ausbricht. Das Drehbuch lässt die Klasse vieler anderer jüngerer Tatort-Folgen aus der Isarstadt (man denke an Der tiefe Schlaf oder Am Ende des Flurs)vermissen, was auch daran liegt, dass die Nebenfiguren nur grob skizziert werden: Besonders zeigt dies der uninspirierte, wenn auch mit reichlich Lokalkolorit durchsetzte Handlungsstrang um die Methoden von Wiesn-Wirtin Kirsten Moosrieder (Gisela Schneeberger), die die Geschäfte ihres verstorbenen Mannes übernommen hat. Die Filmemacher verleihen weder der aufbrausenden Wirtin, noch ihrem Assistenten Georg Schemberg (Daniel Christensen, Bluthochzeit) oder Restaurantleiter Korbinian Riedl (Leo Reisinger) so viel charakterliche Ambivalenz wie der alleinerziehenden Bedienung Ina Sattler (Mavie Hörbiger,Willkommen in Hamburg). Dieser auffallende Fokus auf die Schlüsselfigur des Films macht den 956. Tatort zu vorhersehbar, wenngleich sich Hörbiger ein Sonderlob verdient: Die Schauspielerin balanciert die vollen Masskrüge gekonnt durchs Mittelschiff und dürfte nach den Dreharbeiten gehörigen Muskelkater verspürt haben. Während die physischen und psychischen Anforderungen an die gestressten Servicekräfte fein herausarbeitet werdem, fehlt es dem Tatort aber sonst oft an der Substanz: Eher albern wirkt der bemühte Lederhosen-Auftritt von Assistent Kalli Hammermann (Ferdinand Hofer), und die wagen Mutmaßungen von Fallananalytikerin Christine Lerch (Lisa Wagner) vermitteln den Eindruck, dass die zum Stammcast gehörende Figur noch irgendwie im Tatort untergebracht werden musste. Auch der amüsante Besuch von Batic' kroatischen Tanten, der die Erklärung für den Krimititel Die letzte Wiesn liefert, bringt die Geschichte nicht voran - so steht unter dem Strich ein eher mittelprächtiger Oktoberfest-Krimi, der seine stärksten Momente direkt an der Festzelt-Front hat.

Bewertung: 5/10

Verbrannt

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Folge: 957 | 11. Oktober 2015 | Sender: NDR | Regie: Thomas Stuber

So war der Tatort:

Bild: NDR/Alexander Fischerkoesen
Brandaktuell - und das im wörtlichsten Sinne. Zweieinhalb Jahre nachdem die Hauptkommissare Thorsten Falke (Wotan Wilke Möhring) und Katharina Lorenz (Petra Schmidt-Schaller) bei ihrem starken Debüt Feuerteufel einen Brandstifter jagten, ermitteln sie diesmal gegen zündelnde Kollegen: In Salzgitter wirdein afrikanischer Asylbewerber, dem die Ermittler Kontakte zu Schleuserbanden unterstellen, nach einer Verfolgungsjagd per pedes über Nacht in Polizeigewahrsam genommen - und liegt am nächsten Morgen Verbrannt in seiner Zelle. Mitten in Zeiten der europäischen Flüchtlingskrise entspinnen Regisseur Thomas Stuber und Drehbuchautor Stefan Kolditz (Das Muli) ein beklemmendes Szenario: Der Mann aus Mali wurde zu Unrecht inhaftiert und hinter Gittern auf grausamste Art und Weise ermordet. Die Vorlage für den 957. Tatort liegt aber bereits zehn Jahre zurück: Kolditz arbeitet den realen Fall von Oury Jalloh aus Sierra Leone auf, der 2005 in einer Dessauer Gefängniszelle verbrannte. Zwar wurde nach jahrelangen Prozessen ein Polizist wegen fahrlässiger Tötung zu einer Geldstrafe verurteilt, doch sind die genauen Todesumstände bis heute ungeklärt. Genau hier setzen die Filmemacher an: Falke und Lorenz bekommen nach einer starken Einleitung, in der Falke dem aufmüpfigen Flüchtenden mehrfach ins Gesicht schlägt, einen reizvollen Whodunit vorgesetzt und stoßen bei ihren Nachforschungen auf dem Revier von Dienststellenleiter Werl (Werner Wölbern, Kollaps) auf eine Mauer des Schweigens. Einzig die labile Polizistin Maria Sombert (überzeugend: Annika Kuhl, Er wird töten) ist schnell als schwächelndes Glied in der Kollegen-Kette ausgemacht.

Aus Verbrannt, der vor der TV-Premiere auch in 160 deutschen Kinos zu sehen war, hätte ein bärenstarker Krimi werden können - wären da nicht die früh vorhersehbare Auflösung und das schwache Schlussdrittel, die den bis dato guten Gesamteindruck schmälern. Dass sich der Afrikaner, den die Beamten in seiner Zelle mit Handschellen fixiert haben, kaum selbst hat umbringen können, ist früh offensichtlich - und so dudelt bei einer Grillfeier unter Polizisten erst Black Magic Woman, dann Andreas Bouranis WM-Hit Auf uns ("Hier geht jeder für jeden durchs Feuer") im Hintergrund: Zwei ebenso doppeldeutige wie bitterböse Details, die Krimi-Kennern auf Tätersuche kaum entgehen dürften. Trickreiche Vertuschungsversuche des Mörders sucht man indes vergebens: Obwohl der Gesuchte nach einer auffallend kurzen Auftaktbefragung lange Zeit aus dem Blickfeld gerät, ist er schon nach einem kurzen Wortwechsel geständig. Es greifen die üblichen Tatort-Mechanismen, während der "institutionelle Rassismus", den Kabarettist Serdar Somuncu bei seinem bissigen Gastauftritt als Anwalt des Toten anführt, in einer etwas übertriebenen Referenz auf Siegfried-Mörder Hagen von Tronje aus der Nibelungen-Sage gipfelt. Hier wäre weniger mehr gewesen. Ähnlich wie zuletzt die Schweizer Kollegen in Schutzlos hätten sich die Filmemacher intensiver der Perspektivlosigkeit von Flüchtlingen widmen können, verschwenden stattdessen aber wertvolle Zeit für eine halbherzige falsche Fährte um den verdächtigen Dr. Arnold (Peter Jordan, Häuserkampf) und breitendie Gefühlswelt der Kommissare aus, die sich bereits in Die Feigheit des Löwen näherkamen. Das wirkt stellenweise etwas unbeholfen und gerät auf der Zielgeraden zu kitschig, geht aber zumindest nicht auf Kosten der Spannung. So wird der scheidenden Petra Schmidt-Schaller nach dem enttäuschenden Bunny-Tatort Frohe Ostern, Falke zumindest ein würdiger Abschied zuteil. Gänzlich auf diesen verzichten muss Nebendarsteller Sebastian Schipper, der seinem Ärger über die zunehmend überflüssige Rolle als Kumpel-Kommissar Jan Katz Luft machte und prompt vor die Tür gesetzt wurde. Stattdessen gibt es in Verbrannt ein Wiedersehen mit Jungschauspieler Julius Feldmeier - der spielte bereits im Münchner Vorgäner Die letzte Wiesn eine Schlüsselrolle und feiert diesmal einen ganz ähnlichen Abgang.

Bewertung: 6/10

Hier geht jeder für jeden durchs Feuer:

Kollaps

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Folge: 958 | 18. Oktober 2015 | Sender: WDR | Regie: Dror Zahavi

So war der Tatort:

Bild: WDR/Thomas Kost
Déjà-vu-esk - und das gleich doppelt. Zwei Gesichter dürften dem Stammpublikum in Kollaps bekannt vorkommen: Zum einen das von Werner Wölbern (Er wird töten), der eine Woche zuvor in Verbranntden rassistischen Leiter einer Polizeiwache in Salzgitter mimte und diesmal als ausländerfeindlicher Modelleisenbahn-Fan zu sehen ist. Zum anderen das von Adrian Can (Wem Ehre gebührt), dem die Dortmunder Ermittler Peter Faber (Jörg Hartmann), Martina Bönisch (Anna Schudt), Nora Dalay (Aylin Tezel) und Daniel Kossik (Stefan Konarske) nach 2012 bereits zum zweiten Mal begegnen: Wie einst in Mein Revier mimt Can den einflussreichen Unterweltkönig Tarim Abakay, der von muskelbepackten Bodyguards bewacht wird und Faber stets auf ein Gläschen Tee einlädt. Für die horizontale Erzählweise, das Markenzeichen der Krimis aus dem Ruhrpott, ist Tabakay diesmal der Dreh- und Angelpunkt: Faber erhofft sich von ihm Hinweise auf die untergetauchten senegalesischen Dealer Jamal (Warsama Guled) und Niara Gomis (Victoire Laly) und setzt sich bei seinem Alleingang über alle Vorschriften hinweg. Anders als in so vielen anderen Tatort-Folgen bleibt das nicht folgenlos: Es kommt zum lautstarken Bruch zwischen Faber und Kossik, der im nächsten Dortmunder Tatort Hundstage wieder aufgegriffen werden dürfte. Auch das Treiben der Dealer hat Folgen: Ihre versteckten Kokaintütchen auf einem Spielplatz in der Nordstadt kosten die kleine Emma (Sophie Schwierske) das Leben, weil sie die bunten Pillen im Sand für Bonbons hält. Und da ihre Mutter Claudia Siebert (Alexandra Finder, Todesspiel) zu spät hinsieht, sind die Rettungsversuche der Sanitäter Oliver Lahnstein (Axel Schreiber, Franziska) und Kai Lubitz (Stefan Haschke, Macht der Angst) vergeblich.

Die Tonalität des Films wird bereits bei diesem beklemmenden Auftakt deutlich: In Kollaps, der auf dem Krimifestival Tatort Eifel seine Vorpremiere feierte, zieht sich der Filmtitel wie ein roter Faden durchs Geschehen. Er spielt nicht nur auf den grausamen Tod des kleinen Mädchens, sondern auch auf das Seelenleben ihres geschockten Vaters Roland Siebert (Sönke Möhring, Bruder von Tatort-Kommissar Wotan Wilke Möhring) und das Privatleben von Bönisch an. Letztere betäubt ihren Frust darüber, dass ihr Mann das alleinige Sorgerecht für die Kinder erwirkt hat, mit One-Night-Stands und zeigt sich so unausgeglichen wie nie. Anna Schudt gibt dies Gelegenheit, ihr schauspielerisches Können in die Waagschale zu werfen: Während sonst meist Kollege Jörg Hartmann als exzentrischer Borderline-Kommissar für die Eskapaden zuständig ist, bildet Faber diesmal den ruhenden, fast besorgten Gegenpol zur schlecht gelaunten und zunehmend aggressiven Kollegin. Die Stadt Dortmund wird dabei wieder von ihrer tristesten Seite gezeigt: Drehbuchautor Jürgen Werner, der bis auf Schwerelos alle bisherigen Faber-Folgen konzipierte, lässt die Ermittler vor kalten Betonkulissen, in verwahrlosten Wohnungen und vor graffitiverschmierten Wänden ermitteln. Wie schon in Hydra oder Eine andere Welt durchsetzen die Filmemacher das Krimidrama mit viel Lokalkolorit und greifen dabei gesellschaftliche Reizthemen auf : Diesmal sind es die sozialen Probleme in der Nordstadt und die konkreten Auswirkungen der Flüchtlingsproblematik. Stellung beziehen sie allerdings nicht: Politische Patentlösungen sucht man ebenso vergebens wie polizeiliche Moralpredigten, wie sie so oft im Kölner Tatort zu beobachten sind. Etwas enttäuschend fällt die Auflösung aus: Dit Antwort auf die Frage, wer den Tod der kleinen Emma gerächt hat, dürfte für Krimi-Kenner spätestens nach einem Feierabendbier von Kossik und einem Verdächtigen Routine sein. Doch Stamm-Autor Werner hat noch ein Ass in der Hinterhand: Er lässt dem Showdown auf dem Spielplatz eine heftige Schlusspointe folgen, die die Perspektivlosigkeit der Flüchtlinge brutal auf den Punkt bringt und ein zutiefst beunruhigendes Gefühl hinterlässt. Heile Welt ist im Dortmunder Tatort nicht drin - dafür steht Kollaps exemplarisch.

Bewertung: 7/10

Preis des Lebens

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Folge: 959 | 25. Oktober 2015 | Sender: SWR | Regie: Roland Suso Richter

So war der Tatort:

Bild: SWR/Alexander Kluge
Nervenaufreibend. Und das nicht nur für den Zuschauer, sondern vor allem für Hauptkommissar Sebastian Bootz (Felix Klare): Zum ersten Mal erweist es sich im Stuttgarter Tatort als großer Vorteil für Drehbuch und Spannung, dass Bootz einer der wenigen Ermittler ist, die in der Krimireihe überhaupt eine Familie haben - oder besser gesagt: hatten. Frau und Kinder verließen ihn 2013 in Spiel auf Zeit, doch darf der Single zumindest mal wieder Tochter Maja (Miriam Joy Jung, Debüt in Happy Birthday, Sarah) bei sich einquartieren. Das Vater-Tochter-Glück, das sich in Preis des Lebens beim Auftakt-Joggen ums Milaneo und über die Stuttgart 21-Baustelle offenbart, ist allerdings nicht von langer Dauer: Maja wird nach einer Übernachtungsparty bei Freunden entführt und treibt ihren besorgten Vater damit zur Verzweiflung. Waren die mal mehr, mal weniger harmonischen Familienszenen im Hause Bootz bis dato meist spannungstötende Störfeuer zugunsten der Charakterzeichnung, so bildet das gemeinsame Bangen mit Ex-Frau Julia (Maja Schöne) diesmal das emotionale Epizentrum der Geschichte. Für die Entführung verantwortlich zeichnen Simone (Michaela Caspar, Schwarze Tiger, weiße Löwen) und Frank Wendt (Robert Hunger-Bühler, Letzte Tage): Sie trauern noch immer um ihre Tochter Mareike, die von fünfzehn Jahren brutal vergewaltigt und erdrosselt wurde. Mit dem frisch aus der Haft entlassenen Täter Jörg Albrecht (David Bredin) machen sie in den ersten Krimi-Minuten kurzen Prozess - und weil die Stuttgarter Kommissare dessen ehemaligen Komplizen Stefan Freund (Christian Kerepeszki, Wahre Liebe) in Schutzhaft nehmen, nutzen die Mendts Bootz' Tochter als Druckmittel dafür, Freund ausliefern zu lassen. Für Bootz und seinen Kollegen Thorsten Lannert (Richy Müller) eine absolute Ausnahmesituation.
Bootz: "Wenn ihr auch nur irgendetwas passiert, werden wir nicht mehr die Alten sein."
Lannert: "Das sind wir jetzt schon nicht mehr."
Das Vertrauensverhältnis der Kommissare, die seit ihrem Debüt in Hart an der Grenze selten verschiedener Meinung waren, wird in diesem emotionalen Krimidrama nach einem Wortbruch von Lannert in seinen Grundfesten erschüttert. Einen Ermittler persönlich in den Fall zu involvieren, ist nicht gerade ein kreativer Einfall - doch was Drehbuchautor Holger-Karsten Schmidt (Tödliche Tarnung) und Regisseur Roland Suso Richter (Spiel auf Zeit) aus der relativ konventionellen Geschichte herausholen, ist über weite Strecken richtig gute TV-Unterhaltung. Zu Recht gelten Tatort-Folgen, bei denen der Mörder von Beginn an feststeht, bei vielen Krimi-Fans als die besseren (vgl. Der kalte Tod, Borowski und das Mädchen im Moor), und diese Theorie unterstützt auch Preis des Lebens wieder. Statt der gewohnten Whodunit-Konstruktion entspinnen die Filmemacher ein fiebriges Katz-und-Maus-Spiel, bei dem die cleveren Entführer am längeren Hebel sitzen und Bootz von Minute zu Minute stärker auf den mentalen Abgrund zusteuert. Ein Versuch nach dem anderen, das abgetauchte Ehepaar dingfest zu machen, schlägt fehl: Weil die Mendts nichts zu verlieren haben, bleibt es bis zum Finale spannend. Kleinere Logiklöcher und die Tatsache, dass sowohl Lannert als auch Staatsanwältin Emilia Alvarez (Carolina Vera) und Assistentin Nika Banovic (Mimi Fiedler) Bootz' wirre Anweisungen nach dem Anruf der Entführer und seine offensichtliche seelische Verwandlung merkwürdig spät registrieren, sind angesichts des hohen Unterhaltungswerts nicht tragisch. Ein bisschen schade ist aber der starke Fokus auf den eindimensionalen Frank Mendt, der sich zum alleinigen Gegenspieler der Kommissare mausert: Theaterschauspielerin Michaela Caspar hätte man mehr Kamerapräsenz gewünscht, schließlich deutet sie ihr großes Potenzial schon in der beklemmenden Auftaktsequenz an. Der 959. Tatort ist dennoch ein reizvolles Krimidrama, das trotz der abgegriffenen Ausgangslage und kleineren Schwächen bis in die Schlussminuten überzeugt.

Bewertung: 7/10

Côte d'Azur

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Folge: 960 | 1. November 2015 | Sender: SWR | Regie: Ed Herzog

So war der Tatort:

Bild: SWR/Johannes Krieg
Vorgezogen. Eigentlich sollte Côte d'Azur nicht am 1. November, sondern erst Mitte Dezember 2015 laufen - und der kurzfristige Termintausch mit dem Kölner Tatort Benutzt ist für den weihnachtlich angehauchten Sozialkrimi aus Konstanz alles andere als von Vorteil. Denn im bunt geschmückten Präsidium kann noch so munter der Adventskranz angezündet oder am Ende unterm Tannenbaum "O du fröhliche" gesungen werden - mitten im Herbst dürfte einfach bei wenigen Zuschauern Weihnachtsstimmung aufkommen. Geschenke-Orgien und Weihnachtsmänner wirken zu diesem vergleichsweise frühen Zeitpunkt des Jahres eher fehl am Platz - ganz anders als im Saarbrücker Tatort Weihnachtsgeld, der 2014 ganz im Zeichen seines Sendetermins stand. Côte d'Azur ist der drittletzte Fall für Hauptkommissarin Klara Blum (Eva Mattes) und Kai Perlmann (Sebastian Bezzel), die Ende 2014 vom SWR ihr Kündigungsschreiben erhielten, und wirklich schwer machen die beiden einem dem Abschied nicht: Wie schon der durchwachsene Rotwein-Krimi und Vorgänger Château Mort ist auch ihr 25. gemeinsamer Einsatz ein alles andere als aufregender Tatort ohne nennenswerte Überraschungsmomente und originelle Nebenfiguren. Drehbuchautor Wolfgang Stauch und Regisseur Ed Herzog, die zuletzt Die schöne Mona ist tot zusammen konzipierten, arrangieren eine Whodunit-Konstruktion nach altbekanntem Tatort-Muster, die aber zumindest mit einer kniffligen Auflösung aufwartet: Bis in die Schlussminuten bleibt unklar, wer die junge Mutter Vanessa Koch (Mandy Rudski) brutal erschlagen und ihr Baby bei eisiger Kälte im Schilf am Winterer Steig zurückgelassen hat.

Passend zu den frostigen Temperaturen ist auch die Stimmung zwischen den Kommissaren, die seit Perlmanns Debüt in Bitteres Brot gemeinsam im Einsatz sind, so unterkühlt wie nie: Blum kann ihrem Kollegen eine einleitende Fehleinschätzung, die fast zum Kältetod des Säuglings führt, ebenso wenig verzeihen wie er sich selbst. So sehr man ihren Ärger verstehen kann, so aufgesetzt wirkt die nachtragende Art der sonst so besonnenen Kommissarin, so konstruiert der Konflikt. Erst als sich die mit Abstand nervtötendste Nebenfigur, Kinderarzt Dr. Schwenkner (Barnaby Metschurat, Trautes Heim), dank einiger geschmackloser Bemerkungen zum gemeinsamen Feindbild der beiden mausert, stellt sich wieder Harmonie ein. Bis dahin fliegen die Giftpfeile nur so durchs Büro - ganz zum Leidwesen der fleißigen Assistentin Annika "Beckchen" Beck (Justine Hauer), die auch in Côte d'Azur nicht über die ewige Rolle als austauschbare Aktenheldin mit bemühtem süddeutschen Zungenschlag hinauskommt. Am interessantesten gestaltet sich der 960. Tatort dann, wenn sich die Filmemacher Zeit für die wohnungslosen Verdächtigen in der Baracke nehmen, in der das Mordopfer regelmäßig an Saufgelagen teilnahm: Jeder der fünf Bewohner wird mit einer kurzen Vorgeschichte skizziert, alle bringen sie ein Motiv und die Gelegenheit für die Tat mit. Über das Schicksal des inkontinenten und geistig angeschlagenen Ex-Zirkus-Cowboys Bill (stark: Frank Fink) hätte man allerdings gern mehr erfahren - er sorgt für einen rührenden Moment am Kinderkarussell auf dem Weihnachtsmarkt und ist die mit Abstand interessanteste Figur. Statt sich seiner Vorgeschichte zu widmen, eröffnen die Filmemacher aber einen anstrengenden Nebenkriegsschauplatz um den kalten Entzug der drogensüchtigen Franziska (Friederike Linke, Der Fall Reinhardt), die in einer Zelle Höllenqualen durchlebt und sich dennoch zur plauderfreudigen Informationsquelle mausert. Dieser wenig glaubwürdige Auftritt trieft aber zumindest nicht so vor Klischees wie der des überzeichneten Dieter Bohlen-Verschnitts Jürgen Evers (Das Dorf) oder der des Bilderbuch-Punks Lucky (Kai Malina, Auskreuzung), der Badezimmer-Spray schon mal als Deo zweckentfremdet.

Bewertung: 4/10

Schwanensee

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Folge: 961 | 8. November 2015 | Sender: WDR | Regie: André Erkau

So war der Tatort:

Bild: WDR/Willi Weber
Weit weniger albern als Mord ist die beste Medizin und Erkläre Chimäre - und zugleich eine ganze Ecke unterhaltsamer als die genannten Vorgänger. Zwei Wochen vor der großen Quoten-Offensive von Til Schweiger und Schlagerstar Helene Fischer in der Doppelfolge Der große Schmerz und Fegefeuer liefern Hauptkommissar Frank Thiel (Axel Prahl) und Professor Karl-Friedrich Boerne (Jan Josef Liefers) ihren Millionen Fans einmal mehr das, was diese von ihnen erwarten: Thiels muffelige Wortgefechte mit Nadeshda Krusenstern (Friederike Kempter), Boernes obligatorische Neckereien am Seziertisch mit Assistentin Silke "Alberich" Haller (Christine Urspruch), vor allem aber viele gelungene Pointen, die spürbar origineller ausfallen als in den vorhergehenden Tatort-Folgen aus Münster. Denn die ersten Minuten in Schwanensee täuschen: Der leinwanderprobte Regisseur André Erkau, der gemeinsam mit den Cenk Batu-Erfindern Thorsten Wettcke (Auf der Sonnenseite) und Christoph Silber (Häuserkampf) auch das Drehbuch schrieb, entwirft im malerisch gelegenen Therapiezentrum am Aasee eine für Münsteraner Verhältnisse fast bodenständige Whodunit-Konstruktion, bei der die Ermittlungen und die Auflösung der Täterfrage nicht komplett hinter abgegriffenen Zoten und müdem Slapstick zurückstehen müssen. Erkau setzt bei seinem Tatort-Debüt nur selten auf Klamauk und harmlose Altherrenwitzchen: Thiels einleitender Beinahe-Sturz im Schwimmbad, der Erinnerungen an den Silvester-Klassiker Dinner for One weckt, bleibt eine ebenso alberne Ausnahme wie Boernes Trockenübungen vor dem Spiegel, mit denen sich der Professor in kompletter Taucher-Montur auf einen anstehenden Trip auf die Malediven vorbereitet.

Die Urlaubspläne wirft Boerne ohnehin schnell über den Haufen: Im Therapiezentrum Schwanensee wartet die Leiche der attraktiven Mona Lux (Jessica Honz), und die erfordert schon bald seinen vollen Einsatz. Aus der rasanten Taxifahrt mit Herbert "Vaddern" Thiel (Claus Dieter Clausnitzer) ergibt sich der beste Running Gag des Films - und spätestens, wenn "Alberich" flugs ausgedruckte Testergebnisse vom Straßenrand aus ins vorbeibrausende Taxi reicht, läuft das Münsteraner Figuren-Ensemble zu Hochform auf. Die hohe Gagdichte des ersten Filmdrittels geht im Mittelteil etwas verloren - bis die sympathischen Patienten in die Bresche springen, deren Verhaltensauffälligkeiten viele Lacher generieren. Der köstlich derbe Heinz Gärtner (Matthias Hörnke), der keinen Satz ohne Kraftausdruck über die Lippen bringt, stiehlt jede Szene, in der er auftritt, während die an unersättlicher Libido leidende Evi Haberlein (Manuela Alphons) Boerne mit wenig subtilen Flirt-Versuchen aus der Reserve lockt. Eine ernsthafte Auseinandersetzung mit den Krankheitsbildern ist in Münster allerdings nicht zu erwarten: Alle Patienten werden auf lediglich eine Charaktereigenschaft reduziert; und vor allem Restaurantbesitzer Alberto Di Sarto (Roberto Guerra, Ihr werdet gerichtet) und der schizophrene Telenovela-Fan Isa Storch (Nadja Zwanziger, Tödliche Häppchen) sind kaum mehr als wandelnde Klischees. Doch es gibt einen Lichtblick: Der groß aufspielende Robert Gwisdek (Mauerpark) mimt mit dem autistisch veranlagten Andreas Kullmann die interessanteste Figur des Schmunzel-Krimis. Der mathematisch begnadete Ex-Steuerfahnder löst binnen Sekunden komplexeste Rechenaufgaben und sorgt damit immer wieder für Verblüffung, übersieht bei seiner morgendlichen Runde im Schwimmbad aber glatt die Leiche unter Wasser. Nicht unter, sondern auf dem Wasser hingegen spielt der große Showdown: Während bei Quoten-Konkurrent Til Schweiger atemberaubende Action-Einlagen an der Tagesordnung sind, strampeln Thiel und Boerne dem Mörder spontan in einem Tretboot hinterher. Das hat Stil, das macht Spaß, das ist originell: Es geht auch mit reduzierter Klamaukdosis in Münster, ohne dass der Unterhaltungswert dabei auf der Strecke bliebe.

Bewertung: 7/10

Ätzend

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Folge: 962 | 15. November 2015 | Sender: rbb | Regie: Dror Zahavi

So war der Tatort:

Bild: rbb/Volker Roloff
Horizontal erzählt. Denn der rbb setzt ähnlich wie der WDR in den Tatort-Folgen aus Dortmund, in denen das Privatleben von Peter Faber (Jörg Hartmann) & Co. einen wesentlichen Teil der Rahmenhandlung ausmacht, in seinem Krimi aus der Hauptstadt auf eine parallel zum eigentlichen Mordfall laufende, folgenübergreifende Geschichte. Schon der Berliner Vorgänger, in dem die Hauptkommissare Nina Rubin (Meret Becker) und Robert Karow (Mark Waschke) erstmalig auf Täterfang gingen, ließ diese für Tatort-Verhältnisse ungewohnte Erzähltechnik erahnen: Das Muli endete mit einem offenen Ende, weil Rubin im Spreepark eine Kugel entdeckte und den Tod von Karows Ex-Kollegen Maihack damit in ein völlig neues Licht rückte. Wer aus dieser Schlusspointe nicht so recht schlau wurde, erlebt in Ätzend einen Aha-Effekt: Die 962. Tatort-Ausgabe ist eine direkte Fortsetzung des Berliner Vorgängers. Wer diesen verpasst oder verdrängt hat, wird von den Drehbuchautoren Mark Monheim und Stephan Wagner, der bei Das Muli Regie führte, einleitend an die Hand genommen: In der Auftaktminute platzieren die Filmemacher einen kurzen Rückblick, der dem Zuschauer den Mord an Drogenmogul Mehmet Erdem (Kida Khodr Ramadan) noch einmal ins Gedächtnis ruft. Nicht jedem Tatort-Fan dürfte dieser horizontale Erzählansatz schmecken - und wer schon das letzte Finale unbefriedigend fand, wird an Ätzend noch weniger Gefallen finden. Wieder endet der Film mit einem knackigen Cliffhanger, der frühestens im Berliner Tatort Wir-Ihr-Sie aufgelöst wird. Das Problem bei der Sache: Der dritte Fall von Rubin und Karow lässt noch Monate auf sich warten - Ätzend ist aber in erster Linie ein Übergangsfall zur Verbindung des Debüts mit dem, was in den nächsten Folgen noch kommen mag.

Für sich allein genommen wirkt das Krimidrama inhaltlich überfrachtet: Dass die Kommissare eine stark zersetzte Leiche in einem Säurefass und eine zweite auf einer nahegelegenen Baustelle finden, rückt immer wieder in den Hintergrund. Filmemacher Dror Zahavi, der neben dem starken Kölner Tatort Franziskazuletzt Auf ewig Dein und Kollaps aus Dortmund inszenierte, beleuchtet neben der Gefühlswelt seiner Figuren auch ein iranisches Familiendrama: Über einem im Fass gefundenen Herzschrittmacher führt die Spur führt zu Saed Merizadi (Husam Chadat, Die Feigheit des Löwen), der in Neukölln ein Dentallabor betreibt und die Identität seines legal in Deutschland lebenden Bruders angenommen hat. Seine hochschwangere Frau Layla (Elmira Rafizadeh) und sein Sohn Arash (Julius Ipekkaya), die wie er keine Aufenthaltsgenehmigung besitzen, sind in Berlin untergetaucht. "Ist doch absurd, oder? Der eine Mensch ist illegal und der andere nicht", bringt Rubin das Dilemma der Familie auf den Punkt - geht danach aber direkt wieder zur Tagesordnung über. Tiefenbohrung wird hier nicht betrieben. Dafür bleibt auch keine Zeit: Die Filmemacher illustrieren die Suche nach dem Mörder, Karows Nachforschungen über Maihacks Tod, das Schicksal der Merizadis und die Odyssee der jungen Ira (Stephanie Amarell) mit Hobby-Boxer Arash, der ausgerechnet bei Rubins Vater Kalle Ratke (Tilo Prückner, spielte von 2001 bis 2008 den Hamburger Hauptkommissar Eduard Holicek) trainiert. Nebenbei kommt Rubin ihrem getrennt lebenden Mann Victor (Aleksandar Tesla) wieder näher. Diese zahlreichen Nebenkriegsschauplätze erdrücken förmlich den Mordfall, dessen Hintergründe in wenigen Minuten abgefrühstückt werden. Vor allem die Auflösung wird überhastet und uninspiriert vorgetragen. Der horizontale Ansatz mag sich zwar im nächsten oder übernächsten Fall aus der Hauptstadt auszahlen, wenn die verschiedenen Handlungsfäden wieder aufgegriffen werden - für sich allein genommen aber ist der zweite Einsatz des Berliner Teams nur ein mäßig spannendes, unvollendetes Krimidrama. Dass Robert Karow, der spontan eine Nacht mit einem Mann verbringt, mit hoher Wahrscheinlichkeit der erste schwule Kommissar der Tatort-Geschichte ist, gerät dabei fast zur Randnotiz.

Bewertung: 5/10

Spielverderber

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Folge: 963 | 22. November 2015 | Sender: NDR | Regie: Hartmut Schoen

So war der Tatort:

Bild: NDR/Frederic Batier
Notlösend. Eigentlich hätte am 22. November 2015 Der große Schmerz samt Gastspiel von Schlagerstar Helene Fischer laufen sollen - doch die ARD gab den Spielverderber und verschob den mit Spannung erwarteten dritten Einsatz von Nick Tschiller (Til Schweiger) und Yalcin Gümer (Fahri Yardim) wegen inhaltlicher Parallelen zu den Pariser Terror-Anschlägen auf den 1. Januar 2016. Schweiger, der angesichts der prominenten Unterstützung wohl auch auf einen Wirkungstreffer im Quotenduell mit dem Tatort aus Münster gehofft hatte, passte das gar nicht, doch der NDR ließ sich nicht in seiner Entscheidung beirren. Während die eine Hälfte der Zuschauer die Entscheidung begrüßte und sich ohnehin eine Terminverschiebung auf den Sankt Nimmerleinstag wünschte, muss sich die Fischer-Fan-Fraktion noch ein paar Wochen gedulden. Die vorgezogene Notlösung der ARD ist aber keine überzeugende: Spielverderber ist eine jener Tatort-Folgen, nach denen man förmlich die Uhr stellen kann. Kaum hat die vielbeschäftigte LKA-Kommissarin Charlotte Lindholm (Maria Furtwängler) ihren neuesten Fall aufgenommen, zückt sie auch schon ihr Handy: Es folgen die immer gleiche Bitte an ihre Mutter Annemarie (Kathrin Ackermann), auf Sohn David aufzupassen, das obligatorische Drängen ihrer Mutter, sich mehr Zeit für den Kleinen zu nehmen, und Lindholms ewige Versprechen, dies zukünftig auch wirklich zu tun. Diese Fixpunkte gehören seit Jahren fest zum Krimi aus Hannover. Wenigstens verzichtet Regisseur Hartmut Schoen (Schlaflose Nächte), der mit Susanne Schneider (Der schöne Schein) auch das Drehbuch schrieb, auf eine Furtwänglersche Duschszene - stattdessen liegt BILD-Herausgeber Kai Diekmann als großzügig aufgeschnittene Leiche auf dem Seziertisch von Gerichtsmediziner Hans Jepsen (Niels Bormann, Vielleicht).
Jepsen: "Bei dem ist richtig was schief gegangen."
Diekmanns selbstironischer Cameo-Auftritt ist die beste Szene des entfernt an Top Gun erinnernden Krimis, dem es an Tiefgang mangelt: Während im Saarbrücker Tatort Heimatfront die Traumata deutscher Afghanistan-Soldaten greifbar wurden, wird der Bundeswehr-Alltag in Spielverderber über weite Strecken romantisiert und kaum von innen beleuchtet. Nach dem packend in Szene gesetzten Auffinden der Leiche von Lore Körner (Nora Huetz, Ätzend) kristallisiert sich ihr Ex-Mann Jan (Gerdy Zint, Im Schmerz geboren) als Hauptverdächtiger heraus - allerdings so schnell, dass echte Krimi-Kenner kaum auf diese falsche Fährte hereinfallen dürften. Die Tatwaffe entdeckt die Kommissarin dann rein zufällig - über eine Distanz von zwanzig Metern, mitten auf einem Acker im Nirgendwo der niedersächsischen Provinz. So rücken schließlich zwei Kollegen Körners in den Blickpunkt: Zum einen Stützpunktleiter Andreas Friedrichs (Richard van Weyden), zum anderen Soldatin Kristin Goebels (Jasmin Gerat, Grabenkämpfe), deren Mann Paul (Thure Lindhardt, Architektur eines Todes) ein Verhältnis mit der Toten nachgesagt wurde. Auch angesichts der Rollenbesetzung ist die Auflösung der Täterfrage offensichtlich - und wer schon nach der ersten Begegnung von Lindholm und Friedrichs darauf tippt, dass es früher oder später zwischen den beiden funkt, liegt ebenfalls goldrichtig. Die kurze Liaison mit dem ergrauten Oberst reiht sich nahtlos ein in die lange Liste altbekannter Hannoveraner Standardszenen, die im 963. Tatort uninspiriert aneinandergereiht werden. Da dürfen die Scherereien mit dem Staatsanwalt nicht fehlen: Während Lindholm ansonsten gern mal überforderte Provinzbeamte zur Seite gestellt werden (vgl. Pauline oder Hexentanz), wird die Kommissarin diesmal vom überkritischen Staatsanwalt Mühlhoff (Rainer Winkelvoss, Todesangst) beäugt, der offenbar nichts Besseres zu tun hat, als ihr auf Schritt und Tritt zu folgen. Seine platten Bringen-Sie-mir-endlich-Beweise-Predigten treiben Lindholm irgendwann Tränen in die Augen, beim Showdown hingegen drücken die Filmemacher beim Zuschauer auf die Tränendrüse: Judy Garlands vielzitierter Klassiker Over The Rainbow musste selten für einen so kitschigen Showdown herhalten wie in diesem Tatort.

Bewertung: 4/10

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