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Channel: Wie war der Tatort?
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Borowski und die Rückkehr des stillen Gastes

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Folge: 964 | 29. November 2015 | Sender: NDR | Regie: Claudia Garde

So war der Tatort:

Bild: NDR/Philip Peschlow
Ungeplant. Eigentlich sollte der herausragende Kieler Tatort Borowski und der stille Gast mit seiner fiesen Schlusspointe für sich alleine stehen - doch die erfolgreiche Flucht des mehrfachen Frauenmörders Kai Korthals (Lars Eidinger, Hauch des Todes), der in der Schlussminute des hochklassigen Thrillers aus einem Krankenwagen entkam, ließ vielen TV-Zuschauern das Blut in den Adern gefrieren. Schnell wurden Rufe nach einer Fortsetzung laut - und so schrieb Drehbuchautor Sascha Arango (Borowski und der Engel), der mit Regisseurin Claudia Garde zuletzt den letzten Leipziger Tatort Niedere Instinkte arrangierte, eine Fortsetzung. Die Messlatte in Sachen Unterhaltungswert könnte kaum höher liegen, und der zweifache Grimme-Preisträger hätte es sich einfach machen können: Die Geschichte um den gespenstischen Gast, der sich heimlich in die Wohnungen seiner Opfer schleicht und in deren Privatsphäre schnüffelt, hätte in ähnlicher Form auch ein zweites Mal funktioniert, und wäre dabei sicher kaum weniger spannend ausgefallen als der vielgelobte Vorgänger. Doch Arango spinnt die Handlung weiter: Psychopath Korthals, der das Publikum wie kaum ein zweiter Mörder in der Tatort-Geschichte begeisterte, hat sich über die Jahre verändert: Er ist Vater geworden und hat sein Kind brutal aus dem Leib der geistig verwirrten Mandy Kiesel (Lea Draeger, Im Sog des Bösen) geschnitten. Weil diese überlebt, bringt sie die Kieler Hauptkommissare Klaus Borowski (Axel Milberg) und Sarah Brandt (Sibel Kekilli) auf die richtige Spur - und die Jagd auf den unberechenbaren Serientäter geht ohne größeres Vorgeplänkel in die zweite Runde. Doch halt:
Brandt: "Auch Unmenschen ändern sich."
Borowski und die Rückkehr des stillen Gastes ist keine uninspirierte Neuauflage des Vorgängers, sondern ein eigenständiger Psychothriller mit neuen Stärken. Statt einer fieberhaften Suche nach Korthals und eines Wettlaufs gegen die Zeit, bei dem es weitere Opfer zu verhindern gilt, entspinnen die Filmemacher ein emotionales Mann-gegen-Mann-Duell, bei dem sich der sonst so besonnene Borowski über sämtliche Dienstvorschriften hinwegsetzt. Das hat einen triftigen Grund: Psychologin Frieda Jung (Maren Eggert), die sich in Tango für Borowski für lange Jahre aus der Fördestadt verabschiedete, ist für diesen besonderen Kieler Tatort zurückgekehrt - und nach einer gemeinsamen Silvesternacht nicht nur Borowskis Ehefrau in spe, sondern auch Korthals' nächstes Opfer. Der Kieler Hauptkommissar zeigt sich aufgrund dieser persönlichen Betroffenheit so aufgewühlt wie selten. Nach einem anfänglichen Wechselspiel aus Spannung und Entspannung entwickelt sich durch Jungs Entführung ein fiebriger Kampf zweier Männer, die bis zum Äußersten gehen würden - und wenn sich Korthals und Borowski in der Küche des Kommissars eine wilde Würgerei liefern, liegen Gut und Böse so nah beieinander wie selten in der Krimireihe. Dem blendend aufgelegten Axel Milberg bietet dieser Alleingang die Gelegenheit, etwas mehr von seinem schauspielerischen Können zu zeigen als sonst im Kieler Tatort - an seinem starken Auftritt ändert auch der alberne Oberlippenbart nichts, mit dem er zwar nicht unbedingt ästhetischen Ansprüchen, dafür aber dem vorgezogenen Ausstrahlungstermin im Movember gerecht wird. Unumstrittener Star des packenden und - wie immer bei Arango - wendungsreichen Thrillers ist dennoch Lars Eidinger: Der Theaterschauspieler brilliert auch bei seinem zweiten Auftritt als stiller Gast in jeder einzelnen Sequenz und unterstreicht im 964. Tatort seinen Status als einer der besten Charakterdarsteller Deutschlands. Korthals' innerliche Gratwanderung zwischen verzweifeltem Vater, vordergründig normalem Durchschnittsbürger ("Ich bin kein böser Mensch!") und sadistischem Frauenmörder ist allein schon das Einschalten wert. Sie stellt sogar das überzeugende, wenn auch etwas konstruiert wirkende Comeback von Maren Eggert in den Schatten, die im Zusammenspiel mit Milberg und Eidinger ebenfalls eine starke Performance abliefert. Und der Kieler Tatort wäre nicht der Kieler Tatort, wenn nicht auch noch Zeit für feindosierten Humor bliebe: Köstlicher Dialogwitz und eine süffisante Anspielung auf die Star Wars-Reihe runden den packenden Thriller gelungen ab.
Korthals: "Willkommen auf der dunklen Seite, mein Freund."
Bewertung: 9/10

Einmal wirklich sterben

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Folge: 965 | 6. Dezember 2015 | Sender: BR | Regie: Markus Imboden

So war der Tatort:

Bild: BR/Bernd Schuller
Zoologisch. Große Teile des 71. Falls von Ivo Batic (Miroslav Nemec) und Franz Leitmayr (Udo Wachtveitl) spielen nämlich im Münchner Tierpark Hellabrunn - dort suchen die altgedienten bayrischen Hauptkommissare nach einer Tierpflegerin, die einen kleinen Jungen entführt und vielleicht sogar die neue Frau ihres verhassten Vaters getötet hat. Vielleicht. Drehbuchautor Claus Cornelius Fischer (Schneetreiben) kombiniert in seinem zweiten Tatort Einmal wirklich sterben eine klassische Whodunit-Konstruktion mit einem wuchtigen Familiendrama, dessen Spuren 15 Jahre in die Vergangenheit reichen: Der um Haus und Handwerksbetrieb gebrachte Familienvater Daniel Ruppert (Harald Windisch, Grenzfall) tötete einst seine Frau und seinen Sohn - nur seine kleine Tochter Ella (Anna Junghans), die heute unter dem Namen Emma Meyer (starkes Debüt: Anna Drexler) in München lebt, ließ er leben. Emma ist es dann auch, die sich im Hier und Jetzt seinen sechsjährigen Sohn Quirin (Florian Mathis) schnappt und im Tierpark versteckt - unbehelligt von Kollegen oder Zoo-Besuchern, die die Anlage nach 18 Uhr nicht mehr betreten dürfen (stimmt!). Schon der bedeutungsschwangere Auftakt des Films legt nahe, dass in diesem tierischen Tatort auch die Verpackung zählt: Drei Zebras traben zu melancholischem Kindergesang in Zeitlupe durch ein nächtliches Gehege - einen tieferen Sinn offenbart diese seltsame Eröffnung allerdings nicht. Auch die Inszenierung der Schlüsselsequenz verkommt durch ihre dreimalige Wiederholung zum kitschigen Selbstzweck: Spätestens, wenn die verstörte Ella zum dritten Mal auf einer grünen Wiese vor ihrem unzurechnungsfähigen Vater flieht, stellt sich beim Betrachter ein gewisser Ermüdungseffekt ein.
Ruppert: "Lauf, Schneeflöckchen, lauf!"
Dem leinwanderfahrenen Regisseur Markus Imboden, der im ersten Tatort-Anlauf das desaströse Flückiger-Debüt Wunschdenken inszenierte, gelingt es auch diesmal nur selten, seinen Krimi auf Touren zu bringen. Das liegt aber auch am dialoglastigen Drehbuch: Der mit reichlich Kamerapräsenz bedachte Quirin sagt bis zum Schluss zwar nur wenige Worte, doch dafür reden alle anderen umso mehr. Während sich die Ermittler mühsam von Befragung zu Befragung hangeln und hier und da in Küchenpsychologie versuchen, erledigen die in Die letzte Wiesn fast zu Statisten degradierten Kalli Hammermann (Ferdinand Hofer) und Christine Lerch (Lisa Wagner) viel Fließarbeit im Präsidium. So hat der 965. Tatort trotz Außendreh im Tierpark seine stärksten Momente im Büro: Die mit reichlich bayrischem Zungenschlag durchsetzten Dialoge sitzen, weil die eingespielte Routine zwischen Batic und Leitmayr immer wieder gekonnt aufgebrochen und hier und da mit sympathischem Witz unterlegt wird. Neben einem köstlichen Anruf von Leitmayr, der sich mit verstellter Stimme als Angestellter der Stadtwerke ausgibt, ist die beste Sequenz des Krimis die Begegnung mit dem Augsburger Kollegen Xaver Busch (Klaus Pohl): Der kauzige Hauptkommissar bringt wie einst Bernhard "Opa" Sirsch (Fred Stillkrauth) im Meilenstein Der oide Depp wie selbstverständlich Alkohol mit ins Präsidium und leistet lieber persönlich Amtshilfe, als die Berichte einfach durchzuschicken ("Ich hab gedacht, wir gehen erstmal frühstücken!"). Wirklich spannend ist Einmal wirklich sterben dann am Schluss - doch wer eins und eins zusammen zählen kann, ist in Sachen Auflösung bis dahin längst auf der richtigen Fährte. Neben der abgetauchten Emma gibt es mit deren Freundin Lissy Berger (Andrea Wenzl, Kaltstart) und Quirins leiblichem Vater Bernhard Helmbrecht (Simon Schwarz, sonst als Inkasso-Heinzi im Wiener Tatort zu sehen) nämlich nur zwei weitere Verdächtige. So können auch die sonnigen Frühlingsbilder, die guten Schauspieler und die hübschen Tierpark-Impressionen nicht über die Mankos dieses mittelprächtigen Krimis hinwegtäuschen: zu wenig Gänsehautmomente, zu viele Dialoge und allenfalls mäßig interessante Figuren.

Bewertung: 5/10

LU

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Folge: 966 | 13. Dezember 2015 | Sender: SWR | Regie: Jobst Christian Oetzmann

So war der Tatort:

Bild: SWR/Alexander Kluge
Zickig. Nicht zum ersten Mal verpasst der SWR seinem Tatort aus Ludwigshafen mit der Brechstange die überfällige Frischzellenkur: Schon im schwachen Vorgänger Roomservice oder dem desaströsen Machwerk Die Sonne stirbt wie ein Tiergeriet Hauptkommissarin Lena Odenthal (Ulrike Folkerts) regelmäßig mit Fallanalytikerin Johanna Stern (Lisa Bitter) aneinander - und dieser anstrengende Zickenkrieg erreicht in LU seinen vorläufigen Höhepunkt. Angesichts der nervtötenden Scharmützel verkommt der Mordfall um einen zurückgekehrten mutmaßlichen Auftragsmörder fast zur Nebensache: Die dienstälteste Tatort-Kommissarin und die blonde Karriere-Mami beschießen sich im Rahmen eines brutal aufgesetzt wirkenden Hauruck-Konflikts 90 Minuten lang mit Giftpfeilen und schenken sich bei den gemeinsamen Ermittlungen kein einziges Lächeln. Das wird irgendwann selbst Assistentin Edith Keller (Annalena Schmidt) zu viel, die auch in LU wieder mit durchgeschleppt und an vierter Stelle im Cast genannt wird, obwohl sie kaum mehr als drei Sätze sagen darf. Und Mario Kopper (Andreas Hoppe)? Der verkommt zum Sidekick, denn seine einzige Funktion scheint darin zu bestehen, den Dienstwagen zu fahren und zwischen den keifenden Kolleginnen zu vermitteln. Beim SWR hat man offenbar Gefallen daran gefunden, die Odenthalsche Welt aus den Angeln zu heben und sie die eigenen Vorgehensweisen hinterfragen zu lassen: Prinzipiell kein schlechter Ansatz, doch das Ergebnis wirkt stets bemüht, altbacken und in den seltensten Fällen glaubwürdig. Oder wie es die kecke Charlotte (köstlich: Ex-Dschungelcamp-Bewohnerin Ingrid van Bergen, Rattennest) formuliert:
Charlotte: "Mon Dieu, Kommissarin, an Ihnen hat der Zahn der Zeit aber auch genagt!"
Die schlagfertige Rentnerin trifft den Nagel auf den Kopf und ist überhaupt der einzige Lichtblick in diesem über weite Strecken ganz schwachen Tatort. Während die klugscheißende Quasselstrippe Stern das Jugendwort des Jahres 2015 vorlebt und Smartphone und Tablet wahrscheinlich sogar mit ins Bett nimmt, fasst Odenthal nach einer halben Stunde in einem Monolog noch einmal alle Fakten für das weniger aufmerksame Publikum zusammen. Wäre da mit dem titelgebenden Ludwig "LU" Wolff (Jürgen Vogel, Wo ist Max Gravert?) nicht zumindest ein gewiefter Gegenspieler, wäre aus dem 966. Tatort wahrscheinlich ein Totalausfall geworden: Vogel, der bei seinem Tatort-Debüt in Rendezvous 1990 ebenfalls auf Ulrike Folkerts traf, schüttelt seine Rolle lässig aus dem Ärmel, doch die Schwärmerei für die aufbrausende Powerfrau ("Du weißt genauso gut wie ich, dass es da manchmal britzelt!") kauft man dem Antagonisten zu keinem Zeitpunkt ab. Warum der Streifschuss, dem LU eine auffällige Gesichtsnarbe verdankt, gleich vier Mal in Zeitlupe gezeigt werden muss, bleibt das Geheimnis von Regisseur Jobst Christian Oetzmann (Die Heilige) - Drehbuchautorin Dagmar Gabler (Wer Wind erntet, sät Sturm) hingegen liefert mit dem aalglatten Jungunternehmer Dr. Mark Moss (Christoph Bach, Der oide Depp) und dem verbitterten Pflegefall Michi (Hendrik Heutmann) vor allem Stereotypen. Auch der hektische Schnitt und die pseudo-hippe Inszenierung suggerieren Spannung, wo gar keine ist: Der trashige Dudel-Soundtrack erstickt jede Thriller-Atmosphäre im Keim, und Kameramann Jürgen Carle (Preis des Lebens) fängt das Geschehen unnötig oft verwackelt und grobkörnig ein. Von Ludwigshafen ist in diesem ambitionierten Style-over-Substance-Streifen im Übrigen so viel zu sehen wie nie zuvor: Eine gefühlte Viertelstunde wird allein mit nächtlichen Bildern der Kurt-Schumacher-Brücke, Außenansichten des BASF-Werksgeländes oder beliebigen Einstellungen mit Passanten und Stadtbussen gefüllt. Warum ausgerechnet ein Krimi aus der hässlichsten deutschen Tatort-Stadt mit derartig vielen belanglosen Impressionen zugekleistert wird, bleibt rätselhaft: Dienen in Berlin oder Dortmund hässliche Ecken der Großstadt bewusst als Kulisse für entsprechende Milieus, stehen die glattgebügelten Ludwigshafen-Bilder in keinem stimmigen Verhältnis zum Fall.

Bewertung: 2/10

Benutzt

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Folge: 967 | 26. Dezember 2015 | Sender: WDR | Regie: Dagmar Seume

So war der Tatort:

Bild: WDR/Thomas Kost
Formelhaft. Einen Tag bevor der Hessische Rundfunk sich anschickt, die Krimireihe mit seiner gewagten Film-im-Film-Konstruktion Wer bin ich? neu zu erfinden, und sechs Tage bevor Til Schweiger und Helene Fischer im Action-Feuerwerk Der große Schmerz die Kugeln fliegen lassen, liefert der WDR den Zuschauern einen Krimi der alten Schule: Benutzt ist ein sehr klassisch gestrickter Tatort, bei dem all jene Abläufe im Mittelpunkt stehen, denen der Tatort seine große Fangemeinde verdankt: ein Leichenfund zum Auftakt, ein halbes Dutzend Verdächtiger und der typische Mix aus Ermittlungen der Kommissare, Fleißarbeit der Assistenten und Erkenntnissen der Spurensicherung. Drehbuchautor Jens Maria Merz, für den das Genre ebenso Neuland ist wie für Regisseurin Dagmar Seume, reiht eine gute Stunde lang die erfolgserprobten Standardmomente aneinander: Da dürfen natürlich auch ein arroganter Winkeladvokat - hier: Rechtsanwalt von Karstdorff (Gerrit Jansen) - und eine Verfolgungsjagd nicht fehlen, die diesmal durch ein Hotel führt und eher unspektakulär ausfällt. Auch der Zwischenstopp an der Wurstbraterei fällt aus: Die Kölner Hauptkommissare Max Ballauf (Klaus J. Behrendt) und Freddy Schenk (Dietmar Bär) verzehren ihre Currywurst im Dienstwagen, doch das Ersatzprodukt der Konkurrenz kann natürlich nicht mit dem Stamm-Imbiss am Rheinufer mithalten ("Ich weiß nicht, das kann man nicht essen!"). Gerichtsmediziner Dr. Roth (Joe Bausch) wird derweil von Kollegin Anke Schleiche (Alexandra von Schwerin, Im Schmerz geboren) vertreten, deren Nachname sich kaum zufällig auf "Leiche" reimt und die ihre Sache recht ordentlich macht.

Schleiche ist es dann auch, die den Kommissaren bei der einleitenden Tatort-Besichtigung erste Hinweise auf den Täter liefert: Nachdem Exportberater Martin Lessnik (Jens Babiak) tot aus dem Rhein gezogen wurde, führt die Spur wie schon in den vorherigen drei Tatort-Folgen (vgl. LU, Einmal wirklich sterben, Borowski und die Rückkehr des stillen Gastes) in die Vergangenheit. Lessnik hatte einst mit seinem Geschäftspartner Karsten Holler (Christian Seichter) eine Motorradtour durch die Sahara unternommen - letzterer war dabei spurlos verschwunden. Später wurde er offiziell für tot erklärt - und auf einem Schweizer Nummernkonto gingen ein paar Millionen Euro ein. Eine gute Stunde lang hangeln sich Ballauf und Schenk recht mühsam von Befragung zu Befragung, vernehmen Hollers Ex-Frau Sarah (Dorka Gryllus, Schwindelfrei) sowie seine windigen Ex-Geschäftspartner Christian Winter (Thomas Dannemann, Wolfsstunde) und Uwe Gläsgen (Matthias Komm, Mein Revier) - und bald ist klar, dass Holler im Gegensatz zu Lessnik alles andere als tot ist. Ist die Katze erstmal aus dem Sack, brechen die Filmemacher dann aus den altbekannten Schemata aus: Auf der Suche nach der Auflösung folgen im letzten Filmdrittel doch noch ein paar Wendungen. Nicht jede fällt allerdings glaubwürdig aus: Vor allem der Fund der obligatorischen zweiten Leiche und dessen Auswirkungen auf das Spannungsfeld zwischen den Verdächtigen, zu denen auch die undurchsichtige ZKA-Ermittlerin Kathrin Brandt (Winnie Böwe, Todesschütze) zählt, wirken ziemlich konstruiert. Benutzt ist dennoch ein solider, wenn auch lange Zeit konventioneller Krimi, der mit einem Novum aufhorchen lässt: Tobias Reisser (Patrick Abozen), der mit Kollegin Sabine Trapp (Anna von Haebler) vom Zollkriminalamt viel Fleißarbeit im Präsidium verrichtet, outet sich als erster schwuler Assistent der über vierzigjährigen Tatort-Geschichte. Seine Ansage fällt angenehm knapp aus - der 967. Tatort ist eben solide Kölner Krimi-Kost, bei der nicht die Charakterzeichnung, sondern die Tätersuche im Vordergrund steht.
Reisser: "Ich find dich wirklich super, echt. Aber kann ich meinen Freund mitbringen?"
Bewertung: 5/10

Wer bin ich?

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Folge: 968 | 27. Dezember 2015 | Sender: HR | Regie: Bastian Günther

So war der Tatort:

Bild: HR/Kai von Kröcher
Selbstreflexiv. Der fünfte Fall von LKA-Kommissar Felix Murot (Ulrich Tukur) ist strukturell die bis dato außergewöhnlichste Tatort-Folge aller Zeiten - denn was der Hessische Rundfunk in diesem Meisterwerk mit Murot und seiner Kollegin Magda Wächter (Barbara Philipp) veranstaltet, sucht in der Geschichte der Krimireihe seinesgleichen. Bastian Günthers Wer bin ich? ist kein Tatort im eigentlichen Sinne, sondern eine pfiffige, vor Selbstironie nur so triefende Film-im-Film-Konstruktion, eine clevere Satire, in der sich nicht nur Tukur und Philipp, sondern auch drei weitere Tatort-Schauspieler selbst spielen dürfen. Die Rahmenhandlung um zwei Tote in einem Parkhaus spielt schon nach wenigen Minuten keine Rolle mehr: Nachdem Murot die Leichen gefunden hat, blickt der Zuschauer auf einmal hinter die Kamera - mitten ins Tatort-Set. Dort gönnt sich der verkaterte Tukur, der sich ab sofort selbst spielt, gemeinsam mit der Leiche einen Kaffee am Catering-Stand - und muss kurz darauf feststellen, wie man sich als Tatverdächtiger fühlt: Auch der Assistent des Aufnahmeleiters wurde ermordet, und Tukur kann gegenüber den argwöhnischen Polizisten Kugler (Sascha Nathan, Hinter dem Spiegel) und Kern (Yorck Dippe) kein Alibi für die Tatnacht vorweisen. In der Folge entwickelt sich ein mit erfrischenden Ideen und köstlichen Anspielungen nur so gespickter, fiktiver Blick hinter die Kulissen des Filmemachens, bei dem Tukur unter anderem seinem Kollegen Wolfram Koch aus dem Frankfurter Tatort begegnet: Der entpuppt sich als egozentrische Diva und macht sich den ganzen Tag darüber Gedanken, wie er die Waffe vor der Kamera wohl am coolsten hält. Und quartiert sich trotz seines Frankfurter Wohnsitzes im Hotel ein, um dort im Bademantel junge Damen vom Zimmerservice zu empfangen.
Koch: "Zahlt doch alles der Sender!"
Wer bin ich? ist nach der tollen Krimi-Groteske Das Dorf und der fantastischen Italo-Western-Theater-Oper Im Schmerz geboren der nächste herausragende Beitrag aus Wiesbaden, an dem sich die Geister geradezu scheiden müssen. Der Spaß an diesem einmaligen TV-Experiment ist allen Beteiligten anzumerken: Die HR-Redakteure Jörg Himstedt und Liane Jessen werden zu Jens Hochstätt (Michael Rotschopf, Eine Frage des Gewissens) und Inge Janssen (Caroline Schreiber, Müll), und sie hätten mit Matthias Schweighöfer oder Heino Ferch natürlich Nachfolgelösungen im Petto, wenn ihr gut bezahlter Hauptdarsteller Tukur wirklich Dreck am Stecken haben sollte. Anders als im Tatort aus Münster, in dem sich die Albernheiten allein aus den Figuren ergeben, resultiert der extrem hohe Unterhaltungswert dieser Krimi-Satire aus pointierten Dialogen, köstlicher Situationskomik und subtilen Anspielungen - zum Beispiel dann, wenn Tukur beim letzten Verhör wie selbstverständlich aus einer stilechten Tatort-Tasse trinken soll. Und wenn Tukur als Tukur Tukur als Murot begegnet, weht sogar ein Hauch von Fight Club durch den Film. Ab und an ist der Grat zwischen Selbstironie und Selbstverliebtheit allerdings schmal: Während im Schneideraum ein Im Schmerz geboren-Poster hängt, zappt sich Tukur auf dem Hotelzimmer durch den berühmten Tanz der Kessler-Zwillinge. Neben Tukur, Philipp und Koch dürfen sich auch dessen Frankfurter Tatort-Kollegin Margarita Broich und Martin Wuttke, der in Niedere Instinkte letztmalig als Hauptkommissar Andreas Keppler zu sehen war, selbst spielen: Während Broich am Set des eigenen Tatort-Drehs rumzickt, weil ihr Leinwandpartner im größeren Wohnwagen hausen darf, steht Wuttke nach seiner Entlassung durch den MDR vor der Privatinsolvenz und muss sich in schlechten Dialogen als Nebendarsteller verdingen. Es ist ein urkomischer, vielleicht sogar Wuttkes bester Tatort-Auftritt. Auch Justus von Dohnányi, der bei Das Dorfund Schwindelfrei Regie führte, stiehlt  als exzentrischer Regisseur mit Vorliebe für Biergulasch jede Szene. Schnell entlarven die Filmemacher Tukurs Kollegen als falsche Fuffziger, die Neid und Missgunst durch vordergründiges Duzen und Küsschen überspielen - und auch die quotenstarke Tatort-Konkurrenz aus Westfalen bekommt in diesem hochunterhaltsamen Meilenstein der Tatort-Geschichte ihr Fett weg.
Regisseur: "Wir sind hier doch nicht in Münster!"
Bewertung: 10/10

Der große Schmerz

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Folge: 969 | 1. Januar 2016 | Sender: NDR | Regie: Christian Alvart

So war der Tatort:

Bild: NDR/Gordon Timpen
Eher sprachlos als atemlos - denn Superstar Helene Fischer darf bei ihrem mit Spannung erwarteten Gastauftritt im umfangreich beworbenen Action-Spektakel Der große Schmerz als russische Killerin und Ex-Prostituierte Leyla kaum mehr als ein paar Sätze sagen. "Freundin wurde totgefickt, aber ich nicht", ist noch die schlagzeilenträchtigste ihrer wenigen deutsch-russischen Textzeilen - doch wer glaubt, der Auftritt der zum Zeitpunkt der Erstausstrahlung in Deutschland beispiellos erfolgreichen Sängerin sei ein Schwachpunkt des Films, sieht sich getäuscht. Die große Hoffnung im Kampf gegen die übermächtige Quotenkonkurrenz aus Münster macht ihre Sache überraschend gut - Fischer muss angesichts des geringen Redepensums aber auch kaum mehr tun, als durch ihre grünen Kontaktlinsen gefühlskalt aus der Wäsche zu gucken. Der NDR und Drehbuchautor Christoph Darnstädt, der bereits Willkommen in Hamburg und Kopfgeld konzipierte, wissen um die geringe Schauspielerfahrung der Schlagerqueen und lassen daher andere die Kohlen aus dem Feuer holen: Im Rahmen einer recht simpel gestrickten Entführungsstory liefert sich LKA-Kommissar Nick Tschiller (Til Schweiger) erneut ein erbittertes Duell mit Erzfeind Firat Astan (Erdal Yildiz, Mutterliebe) und steht dabei noch stärker im Brennpunkt als bisher. Astan sitzt zwar hinter Gittern, hat aber vom Knast aus einen russischen Hilfstrupp um Killerin Leyla angeheuert, der prompt Tschillers Tochter Lenny (Luna Schweiger) und seine Ex-Frau Isabella Schoppenroth (Stefanie Stappenbeck) kidnappt. Tschiller wagt einen Alleingang in bester Rambo-Manier, und seine meist tödliche Selbstjustiz stellt am Ende sogar das gute Verhältnis zu seinem treuen Partner Yalcin Gümer (Fahri Yardim) auf die Probe.
Gümer: "Wir sind hier nicht in Texas, okay?"
Auch wenn der 969. Tatort, der wegen der Pariser Terroranschläge um sechs Wochen verschoben wurde, nicht in den Vereinigten Staaten spielt, ist er näher dran an amerikanischem Popcorn-Kino als die meisten anderen Ausgaben der Krimireihe: Regisseur Christian Alvart, der bereits die ersten beiden Tschiller-Einsätze inszenierte, beweist trotz der inflationären Verwendung von Zeitlupe erneut sein gutes Gespür für Actionfilme und liefert gemeinsam mit Kameramann Jakub Bejnarowicz (Die Ballade von Cenk und Valerie) Bilder, die die große Leinwand nicht scheuen müssten. Die Schwächen der Geschichte kann die überzeugende Optik allerdings nicht kaschieren: Wer schon Willkommen in Hamburg und Kopfgeld nicht mochte, wird auch an Der große Schmerz keinen Gefallen finden. Raffinierte Wendungen, pfiffige Dialoge oder vielschichtige Charaktere mit Tiefgang sucht man vergebens: Einzig bei Leyla verwischen die ansonsten überdeutlich gezogenen Grenzen zwischen Gut und Böse. Zu den Bösen zählt auch Sascha "Ferris MC" Reimann (Hochzeitsnacht), der den Titelsong zur Fortsetzung Fegefeuer beisteuert und in der Rolle des brutalen Aleksej Brotzki mit von der Partie ist: Der Trend zu prominenten Gaststars - man denke zurück an Boxer Arthur Abraham in Willkommen in Hamburg - setzt sich an der Waterkant fort. Und es ergeben sich weitere Parallelen zu Kinofilmen wie Kokowääh oder Honig im Kopf: Schweiger ist nicht nur als LKA-Kommissar in der Zwickmühle gefordert, sondern auch in seiner Paraderolle als besorgter Vater. Trotz des reißerischen Krimititels wirkt der Großteil der Emotionen allerdings behauptet - da kann ihm Tochter Luna beim kitschigen Showdown noch so bedeutungsschwanger in Zeitlupe um den Hals fallen. Auch mit Gümers ständigen Selbstgesprächen, die in einem albernen Monolog vor dem Spiegel gipfeln, übertreiben es die Filmemacher deutlich - viel witziger fällt da ein Besuch im Bordell aus, bei dem der aufgeweckte Hamburger Jung' eine Prostituierte mit üppiger Lockenfrisur Valderrama tauft. Unter dem Strich weckt Der große Schmerz aber nur bedingt die Neugier auf Fegefeuer, den zweiten Teil der Doppelfolge, und den Kino-Tatort Off Duty, der im Februar 2016 in den Kinos startet. Dass in beiden Filmen auch der charismatische Bösewicht Astan zurückkehrt, verdankt er einem dicken Logikloch im Drehbuch - es ist nicht das einzige, mit dem der dritte Schweiger-Tatort zu kämpfen hat.

Bewertung: 5/10



Wie haben die anderen Tatort-Kommissare auf Helene Fischers Auftritt reagiert? 
Vielleicht so:
(Klicken zum Vergrößern)

Fegefeuer

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Folge: 970 | 3. Januar 2016 | Sender: NDR | Regie: Christian Alvart

So war der Tatort:

Bild: NDR/Gordon Timpen
Streng geheim. Fegefeuer ist die direkte Fortsetzung zu Der große Schmerz - und wurde im Vorfeld der Erstausstrahlung für alle Journalisten und Medien unter Verschluss gehalten. Ein Prozedere, das es seit vielen Jahren bei der Krimireihe nicht gegeben hat, und die Begründung des NDR fiel seltsam aus: Man befürchtete, die Journalisten könnten Details der Handlung verraten. Bei anderen Tatort-Folgen mit überraschenden Schlusswendungen (zum Beispiel Borowski und der stille Gast) war dem Sender das allerdings herzlich egal - und so drängte sich eher der Verdacht auf, dass Hauptdarsteller Til Schweiger, der seine Kinofilme aus Prinzip schon seit Keinohrhasen nicht in Pressevorführungen zeigen lässt, bei der Entscheidung ein Wörtchen mitzureden hatte. Doch die Geheimniskrämerei hat andere Gründe: Zum ersten Mal in der Tatort-Geschichte vermischt der NDR sein fiktives Krimiformat über die komplette Spielzeit mit der seriösesten deutschen Nachrichtensendung: der tagesschau. Einzig die Münchner Abendzeitung hatte im Vorfeld Wind von der Aktion bekommen, doch anders als ursprünglich geplant, beginnt Fegefeuer wie gewohnt mit dem Fadenkreuz-Vorspann. Dann ist der Zuschauer mittendrin im Geschehen: Nachrichtensprecherin Judith Rakers und ein Dutzend weiterer Geiseln geraten in die Gewalt von tschetschenischen Gangstern - ein toller Einstieg in einen Tatort, der in der Folge neue Maßstäbe in Sachen Action, Brutalität und Tempo setzt. Selbst eine Panzerfaust (s. Bild) bleibt den Tatort-Traditionalisten nicht erspart: Wer sich auf einen Tatort nach Schema F gefreut hat, sitzt im völlig falschen Film. Regelmäßig eingeblendete Uhrzeiten unterstreichen den Echtzeitcharakter des Actionthrillers, der dem Publikum kaum Zeit zum Luftholen lässt: In Hamburg wird einmal mehr geklotzt, und nicht gekleckert.

Regisseur Christian Alvart (Kopfgeld) zieht die Actionschraube noch einmal deutlich an und liefert starke, diesmal auch atmosphärisch überzeugende Bilder - aber auch immer wieder Zeitlupen, die künstliche Dramatik schüren, wenn Schauspiel und Geschehen dafür allein nicht ausreichen. Wie schon in den vorherigen Folgen gerät LKA-Kommissar Nick Tschiller (Til Schweiger) mit Clan-Chef Firat Astan (Erdal Yildiz) aneinander - doch waren die Grenzen zwischen Gut und Böse bisher überdeutlich gezogen, verwischen sie diesmal: Astan und Tschiller müssen sich solidarisieren. Das bringt einige platte Sprüche, aber auch giftige Dialoge mit sich ("Ich verkauf Glückskekse an deinem Grab."). Auch Partner Yalcin Gümer (Fahri Yardim) wirkt mit seinen trockenen One-Linern ("Nimm den Schaumstoff weg!") deutlich weniger überzeichnet als in Der große Schmerz. Ohnehin sind der Humor und der Familienkitsch mit Tschiller-Tochter Lenny (Luna Schweiger) deutlich geringer dosiert, denn stattdessen jagt in Fegefeuer eine packende Actionsequenz die nächste. Die Logik wird vernachlässigt, die körperliche Gewalt hingegen zelebriert - zum Beispiel dann, wenn Astan einen russischen Killer stranguliert oder sich Tschiller eine spitze Klinge aus dem Nacken zieht. Stammautor Christoph Darnstädt versucht, den explosiven Hamburger Meilenstein Der Weg ins Paradies zu übertreffen und orientiert sich dabei unverhohlen an Hollywood-Vorbildern: Die Adrenalinspritze, die dem LKA-Kommissar auf der Zielgeraden neues Leben einhaucht, kennen wir aus dem Actionthriller Crank, zwei gegen einen gemeinsamen Feind kämpfende Vertreter von Gut und Böse zum Beispiel aus dem Actionfeuerwerk The Rock, und das finale Duell im Metronom von Hamburg nach Bremen erinnert stark an berühmte Bond-Fights in Liebesgrüße aus Moskau oder Der Spion, der mich liebte. Etwas mehr Eigenständigkeit hätte dem 970. Tatort gut zu Gesicht gestanden - doch angesichts des extrem hohen Unterhaltungswerts sind die Anleihen aus den prominenten Kinofilmen zu verschmerzen. Fegefeuer ist der adrenalinschwangerste Tatort aller Zeiten - und zugleich der mit Abstand beste Schweiger-Tatort, der die Neugier auf den im Februar 2016 anlaufenden Kino-Tatort Off Duty weckt. Angesichts der inhaltlichen Parallelen zu den Terror-Anschlägen von Paris ist auch die Verschiebung der Doppelfolge nachvollziehbar: Viele hätten die Ausstrahlung im November wohl als geschmacklos empfunden.

Bewertung: 8/10

Rebecca

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Folge: 971 | 10. Januar 2016 | Sender: SWR | Regie: Umut Dag

So war der Tatort:

Bild: SWR/Patrick Pfeiffer
Stark angelehnt an den realen Entführungsfall von Natascha Kampusch - doch während 2013 nur 144.000 deutsche Kinobesucher Sherry Hormanns filmische Aufarbeitung 3096 Tage sehen wollten, wird Rebecca zum gewohnten TV-Termin am Sonntagabend vor allem dank des Tatort-Labels ein Millionenpublikum zuteil. Wo Tatort drauf steht, ist zum Jahreswechsel 2015/2016 aber nur bedingt Tatort drin: Erst das vieldiskutierte Wiesbadener Film-im-Film-Experiment Wer bin ich?, dann die beiden Hamburger Actionfeuerwerke Der große Schmerz und Fegefeuer - und auch der 26. Fall der Konstanzer Hauptkommissare Klara Blum (Eva Mattes) und Kai Perlmann (Sebastian Bezzel) ist nicht gerade ein gewöhnlicher Beitrag zur Krimireihe. Der inhaltlich an Verschleppt oder Abgründe erinnernde Rebecca ist eine kraftvolle Kreuzung aus Psychodrama, Krimi und Charakterstudie - und zugleich eine eineinhalbstündige One-Woman-Show der herausragenden Hauptdarstellerin. Was die 21-jährige Gro Swantje Kohlhof, die bereits im starken Bremer Tatort Die Wiederkehr als jugendliche Ausreißerin begeisterte, aus ihrer titelgebenden Rolle als verstörtes und verstörendes Entführungsopfer herausholt, ist atemberaubend - und es ist auch ihrem facettenreichen Spiel zu verdanken, dass der Film von Tatort-Debütant Umut Dag nicht früh in die unfreiwillige Komik abdriftet. Den Zuschauern bietet sich einleitend ein bizarres Bild: Erst verbrennt die junge Frau ihren langjährigen Peiniger Olaf Reuter bei lebendigem Leibe, später verkriecht sie sich in der Zimmerecke eines Bauernhauses, und selbst die einfühlsame Klara Blum findet keinen Zugang zu ihr. Dann aber läuft Rebecca Perlmann in die Arme - und kniet plötzlich vor ihm nieder, um die Befehle ihres neuen "Erziehers" zu empfangen. Was der verdutzte Ermittler ("Setz dich! Iss was!") dem traumatisierten Mädchen auch befiehlt, führt dieses umgehend aus.

Es ist eine mutige, anfangs etwas irritierende Geschichte, die Drehbuchautor Marco Wiersch dem 2016 aus der Krimireihe ausscheidenden Bodensee-Team geschrieben hat, und man muss sich auf sie einlassen können - wer das aber kann, wird mit einem vorzüglich gespielten und auf der Zielgeraden rührenden Drama belohnt. Die Filmemacher tasten sich behutsam an ihre traumatisierte Hauptfigur heran, ohne die furchtbare Geschichte ihrer Gefangenschaft voyeuristisch auszuschlachten. Oft reichen wenige Worte der jungen Frau, um das Grauen im Kopf des Zuschauers lebendig werden zu lassen. Während Perlmann als Rebeccas neuer Vertrauter und "Erzieher" wider Willen den ruhenden Gegenpol bildet, zeichnet die sonst so besonnene Blum für die aufbrausenden Momente verantwortlich: Bemerkenswert ist vor allem eine schallende Ohrfeige, die sie ihrem Kollegen nach einem unüberlegten Alleingang verpasst. Denn wie schon im Vorgänger Côte d'Azur wird man das Gefühl nicht los, dass der SWR den Kommissaren aus Konstanz zum Abschied noch einen zwischenmenschlichen Konflikt andichten möchte. Auch mit der unnahbaren Dr. Schattenberg (Imogen Kogge, Buntes Wasser) kommt es schnell zu Reibereien: Die fachkundige Psychologin grätscht den Kommissaren immer in dem Moment dazwischen, wenn diese kurz davor stehen, Rebecca Informationen zu entlocken. Der 971. Tatort funktioniert nämlich nicht nur als Psychodrama, sondern auch als Whodunit-Abwandlung: Das Mädchen war in seinem Kellerverlies nicht allein, und so entwickelt sich das ungewisse Schicksal ihrer Mitgefangenen zur Antriebsfeder der Ermittlungen. Weil die Zahl der Nebenfiguren mit Olaf Reuters Geschäftspartner Kolb (Serge Falck, Kein Entkommen), seinem Vater Helmut (Klaus Manchen, Borowski und die Frau am Fenster) und Rebeccas Mutter Katja Fischer (Sandra Borgmann, Kaltblütig) überschaubar ausfällt, ist die Auflösung zwar keine große Überraschung - die Nüchternheit, mit der der Täter diese vorträgt, aber zutiefst beklemmend. Selbst Blum kämpft mit den Tränen - und wenn sich die junge Rebecca am Ende von ihrer einzigen echten Bezugsperson verabschieden muss, kullert vielleicht auch dem einen oder anderen Zuschauer eine Träne über die Wange.
Rebecca: "Ich vermisse dich, Perlmann."
Bewertung: 7/10

Totenstille

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Folge: 972 | 24. Januar 2016 | Sender: SR | Regie: Zoltan Spirandelli

So war der Tatort:

Bild: SR/Manuela Meyer
Gebärdenreich. In Totenstille wird nämlich unheimlich viel gesprochen - aber weniger mit den Lippen, sondern vor allem mit den Händen. Grimme-Preisträger Peter Probst (Der Traum von der Au), der das Drehbuch gemeinsam mit der gehörlosen Bloggerin Julia Probst schrieb, liefert einen Inklusionskrimi mit großem Drang zur Aufklärung - doch sein mutiger Ansatz wird nur selten in Spannungsmomente umgemünzt. "Taubstumm sagt man nicht. Das ist genauso diskriminierend wie Zigeuner oder Neger", verbessert die neue Komissaranwärterin Mia Emmrich (Sandra Maren Schneider) den verdutzten Saarbrücker Hauptkommissar Jens Stellbrink (Devid Striesow) schon beim ersten gemeinsamen Außeneinsatz - und überhaupt ist das Bemühen der Filmemacher, mit Vorurteilen aufzuräumen und den Zuschauern die Wahrnehmung gehörloser Menschen näher zu bringen, von Beginn an spürbar. Neben den politisch korrekten Termini lernt das Publikum Folgendes: Taubsein ist relativ, die Gebärdensprache erst seit 2002 offiziell anerkannt und auch Gehörlose schwingen gern mal zum wummernden Hip-Hop-Beat von Missy Elliotts She's A Bitch die Hüften. Passend dazu kommt beim zu lösenden Mordfall, der eigentlich gar kein Mordfall ist, die Technik des Lippenlesens zum Einsatz: Als Ruth Collignon (Maike Möller), die Geliebte des Bauingenieurs Georg Weilhammer (Martin Geuer), beim wilden Sex im Hotelzimmer an Herzversagen stirbt, entsorgt dieser ihre Leiche in der Saar - und tätigt einen folgenschweren Anruf, den ihm der in der Nähe stehende Gehörlose Ben Lehner (Benjamin Piwko) von den Lippen abliest. Prompt fordert er 10.000 Euro für sein Schweigen, denn Weilhammers Ehefrau Susanne (Nina-Mercedés Rühl) ahnt nichts von der Affäre.

"Auch Hörende haben eine Behinderung - sie können nicht Lippenlesen", gab Co-Autorin Probst, die auch regelmäßig der deutschen Fußballnationalmannschaft auf die Lippen schaut, kürzlich in einem Interview zu Protokoll - doch Filmemacher Zoltan Spirandelli (Grabenkämpfe), der auch den letzten Saarbrücker Tatort Weihnachtsgeld inszenierte, meistert die erzählerische Herausforderung. Sätze in Gebärdensprache werden verbal wieder aufgegriffen, beim hochemotionalen Streitgespräch von Lehner und dessen gehörloser Freundin Ambra Reichert (Ressica Jaksa) schweben Untertitel durchs Bild - und wenn dem Zuschauer der genaue Wortlaut doch mal entgehen sollte, wird dank der eindeutigen Gesten zumindest die Kernaussage deutlich. Als das Geschehen hingegen aus der Perspektive eines Gehörlosen erzählt wird, setzt in einer Szene der Ton aus - ein vielversprechender Ansatz, der leider nicht weiterverfolgt wird. Wenig dynamisch gestaltet sich auch der Einsatz von Dolmetscherin Kaiser (Mira-Esther Weischet): Viele der ohnehin schon hölzernen Befragungen werden durch das dauernde Übersetzen der Gebärden auf die doppelte Länge gestreckt - da kann Stellbrink nach Feierabend noch so wissbegierig Video-Tutorials im Netz studieren und das Erlernte mit Spurensicherungsleiter Horst Jordan (Hartmut Volle) im Büro anwenden. Zur zunehmend auftauenden Staatsanwältin Nicole Dubois (Sandra Steinbach), die wie schon in Weihnachtsgeld kaum mehr als drei Sätze sprechen darf, scheint den Verantwortlichen im 972. Tatort hingegen noch weniger einzufallen als zu Hauptkommisarin Lisa Marx (Elisabeth Brück), über deren Privatleben weiterhin nichts bekannt wird. Ganz anders Stellbrink: Der knutscht bei einer Spontanparty mit der kessen Bikerin Kassandra (Kassandra Wedel) und ist auch sonst wieder der eigenwillige Dreh- und Angelpunkt des Films. Doch wenn sich der rollerfahrende Kommissar mit schalldichten Kopfhörern auf den Weg ins Präsidium macht, um die Wahrnehmungen gehörloser Menschen besser nachempfinden zu können, entwickelt sich der fünfte Tatort aus Saarbrücken vorübergehend zurück zur witzlosen Klamotte - das bescherte schon den ersten beiden Fällen Melindaund Eine Handvoll Paradies vernichtende Kritiken. Totenstille ist eine ganze Ecke besser - unter dem Strich aber lediglich ein ambitionierter Inklusionskrimi, bei dem Spannung und Charakterzeichnung auf der Strecke bleiben.

Bewertung: 4/10

Hundstage

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Folge: 973 | 31. Januar 2016 | Sender: WDR | Regie: Stephan Wagner

So war der Tatort:

Bild: WDR/Wolfgang Ennenbach
Verlustgeprägt. Leitmotiv des achten Falls der Dortmunder Ermittler Peter Faber (Jörg Hartmann), Martina Bönisch (Anna Schudt), Daniel Kossik (Stefan Konarske) und Nora Dalay (Aylin Tezel) ist nämlich der Verlust eines Kindes: Während Faber in Hundstage immer wieder die Stimme seiner tödlich verunglückten Tochter hört, sucht Bönisch vergeblich Kontakt zu ihrem Sohn, der sich für ein Leben bei ihrem Ex-Mann entschieden hat. Zwischen Dalay und Kossik hingegen steht weiterhin das abgetriebene Kind, das in Auf ewig Dein zur Trennung führte - und auch die Ermittlungen im Mordfall werden nicht nur von der Suche nach dem Täter, sondern auch vom Verlust eines Kindes vorangetrieben. 14 Jahre ist es her, dass Martina Bönisch den vermissten Sohn von Max (Ralf Drexler) und Eva Dehlens (Maren Eggert, Väter) nicht hatte finden können - und dementsprechend aufbrausend reagiert Dehlens' labile Ehefrau auch, als die Dortmunder Hauptkommissarin ihr erneut eine schlechte Nachricht überbringt: Ihr Mann wurde tot aus dem Hafenbecken gezogen. Nach einem Schuss in die Brust stürzt er einleitend zusammen mit der undurchsichtigen Judith Stiehler (Anne Ratte-Polle, Die Wahrheit stirbt zuerst) ins Wasser, die von Faber in letzter Sekunde vor dem Ertrinken gerettet und von einem Zeugen schwer belastet wird. Ausgerechnet Stiehler zieht mit Teenager Jonas (Patrick Mölleken) einen Jungen groß, der Dehlens' vermisstem Sohn verdächtig ähnlich sieht: Das Fundament für einen verschachtelten Whodunit, in dem Maren Eggert nach ihrem vielgelobten Gastspiel im Kieler Tatort Borowski und die Rückkehr des stillen Gastes erneut für eine Schlüsselrolle in die Krimireihe zurückkehrt, ist gelegt.

Regisseur Stephan Wagner (Gegen den Kopf) und Drehbuchautor Christian Jeltsch (Er wird töten) halten die Frage, wer die Mutter von Jonas ist, trotz kleinerer logischer Schwächen bis in die Schlussviertelstunde offen - und weil die Auflösung der Täterfrage nur über die DNA des Jungen führt, darf der Zuschauer dabei fleißig miträtseln. Auch handwerklich geben sich die Filmemacher keine Blöße: Zu den am stärksten arrangierten Momenten gehört eine nächtliche Sequenz im Präsidium, in der die irritierte Boenisch heimlich Faber belauscht, der unter Alkoholeinfluss Selbstgespräche führt. Ohnehin erreichen die Spannungen zwischen den Ermittlern, deren Charakterzeichnung im 973. Tatort gewohnt intensiv vorangetrieben wird, eine neue Dimension: Faber und Kossik liefern sich bei der zweiten Tatort-Besichtigung eine handfeste Rauferei - die angeheiterte Bönisch hingegen kassiert eine herbe Abfuhr, als sie Faber ("Besser nicht.") nach dem dritten gemeinsamen Dosenpils an einer Pommesbude küssen will (s. Bild). Neben Kossiks Dienstaufsichtsbeschwerde und Fabers aufkeimenden Selbstzweifeln, die durch die zwangsverordnete Sitzung beim Polizeipsychologen Peter Lech (Ronald Kukulies, Spargelzeit) ausgelöst werden, widmen sich die Filmemacher in Hundstage aber noch einem weiteren Nebenkriegsschauplatz: Kossik wird aus Liebeskummer zum Trinker. So ist es ausgerechnet die in Hydra noch schwer von Dortmunder Neonazis gepeinigte und an die Grenzen ihrer Belastbarkeit gebrachte Dalay, die bei hochsommerlichen Temperaturen als einzige Ermittlerin den kühlen Kopf behält. Der inhaltlich etwas überladene Gesamteindruck - ein häufiges Dilemma im sonst so überzeugenden Dortmunder Tatort - lässt sich vor allem auf der Zielgeraden, auf der sich die Verstrickungen zwischen den Verdächtigen immer unübersichtlicher gestalten, nicht leugnen - und es wäre sicher kein Fehler gewesen, zumindest Kossiks Kneipenbesuche noch für die nächste Folge aufzusparen. Trotz der starken Fixierung auf das Privatleben der Ermittler ist der achte Fall von Faber, Bönisch & Co. aber ein unterhaltsames und stark gespieltes Krimidrama, in dem der WDR seinen horizontalen Erzählansatz einmal mehr konsequent durchzieht.

Bewertung: 7/10

Tschiller: Off Duty

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Kino-Tatort | 4. Februar 2016 | Sender: NDR | Regie: Christian Alvart

So war der Tatort:

Bild: © 2015 Warner Bros Entertainment
Vorspannfrei. Tschiller: Off Duty ist zwar der erste Kino-Tatort seit neunundzwanzig Jahren, hat mit dem Rest der Krimireihe aber wenig gemeinsam: kein Fadenkreuz-Vorspann, keine Leiche zum Auftakt - und er spielt außerdem nur wenige Minuten in Deutschland. LKA-Kommissar Nick Tschiller (Til Schweiger) ist drei Jahrzehnte nach den ebenfalls im Kino gezeigten Schimanski-Folgen Zahn um Zahn und Zabou außer Dienst, hat aber dennoch alle Hände voll zu tun: Sein Töchterchen Lenny (Luna Schweiger) ist so naiv, persönliche Rache am Mörder ihrer Mutter Isabella Schoppenroth (Stefanie Stappenbeck) nehmen zu wollen, und gerät bei ihrer Suche nach dem in Istanbul inhaftierten Firat Astan (Erdal Yildiz) erwartungsgemäß nach kurzer Zeit in Gefangenschaft. Doch es ist nicht Astan, der die junge Frau entführt: Der skrupellose Ex-Geheimagent Süleyman Seker (Özgür Emre Yildirim) will Lenny nach Moskau verkaufen, um beim einflussreichen russischen Gangsterboss Alexander Kinski (Evgeniy Sidikhin) zu punkten. Die Nähe zu erfolgreichen Hollywood-Filmen wie 96 Hours ist greifbar - und Drehbuchautor Christoph Darnstädt (Der große Schmerz), der auch die ersten vier Tschiller-Fälle konzipierte, orientiert sich bei seiner dünnen Entführungsstory außerdem stark an der Lethal Weapon-Reihe und anderen Buddy-Cop-Movies. Er setzt von Beginn an voll auf das erfolgserprobte Wechselspiel aus rasanter Action und lockeren Sprüchen: Für die gelungenen Pointen zeichnet meist Spaßvogel Yalcin Gümer (Fahri Yardim) verantwortlich, während Tschillers platte One-Liner bei der Suche nach der verlorenen Tochter trotz einer netten Anspielung auf Russlands Umgang mit Homophobie in der Regel ohne die erhofften Lacher verpuffen.
Tschiller: "Ich sprech' kein Fleischklops."
Im Presseheft verspricht der Filmverleih "eine atemlose Odyssee durch halb Europa", doch anders als in der ähnlich gelagerten James-Bond-Reihe bleibt es auch budgetbedingt bei den zwei Schauplätzen Istanbul und Moskau. Alle Beteiligten wollen sich am Hollywood-Actionkino messen lassen - als über weite Strecken uninspiriertes Popcorn-Spektakel vom Reißbrett zieht Tschiller: Off Duty aber klar den Kürzeren. Der fünfte Tschiller-Fall hechelt dem erfolgreichsten Film-Franchise der Welt um Längen hinterher: Während die populäre 007-Reihe, für die sich Schweiger gar als Hauptdarsteller ins Spiel brachte, regelmäßig neu erfunden wurde, lässt der Kino-Tatort die Eigenständigkeit von Beginn an vermissen. An den beiden Hauptdarstellern liegt es allerdings nicht, dass der Film nicht mit den großen Vorbildern mithalten kann: Schweiger und Yardim, die auch privat befreundet sind, harmonieren vor der Kamera einmal mehr prächtig. Auch Regisseur Christian Alvart (Fegefeuer) macht einen guten Job: Handwerklich waren seine Hamburger Tatort-Folgen schon immer über jeden Zweifel erhaben, und auch Tschiller: Off Duty punktet mit rasanter Action, der man das im Vergleich zu TV-Produktionen deutlich aufgestockte Budget vor allem im Schlussdrittel anmerkt. Pfiffige Wendungen, doppelte Böden oder vielschichtige Charaktere sucht man allerdings vergeblich: Die Rollen von Gut und Böse sind im dritten Kino-Tatort eindeutig definiert, denn der charismatische Erzfeind Firat Astan verschwindet schon früh von der Bildfläche. Alle anderen Gangster sind nur wandelnde Klischees, die verbal und non-verbal die Muskeln spielen lassen, um früher oder später mit Rüpel-Cop Tschiller aneinander zu geraten. Der zeigt wie schon im Kopfgeld wieder seinen nackten Hintern - und ballert sich einmal mehr mit dem obligatorischen Cut im Gesicht durch den Film. Auch im Hinblick auf das Vokabular schließt sich in Tschiller: Off Duty der Kreis: "Fuck!" lautete Nick Tschillers erstes Wort bei seinem Debüt in Willkommen in Hamburg - und auch bei seinem fünften Einsatz gehören englische Kraftausdrücke fest zum Wortschatz aller Beteiligten.
Gangster: "Fuck you!"
Tschiller: "Fuck me? Bitch!"
Bewertung: 5/10

Sternschnuppe

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Folge: 974 | 7. Februar 2016 | Sender: ORF | Regie: Michi Riebl

So war der Tatort:

Bild: ARD Degeto/ORF/Petro Domenigg
Sexfixiert. Doch keine Sorge - anders als in freizügigen Tatort-Folgen wie Inflagranti, in dem die damals 17-jährige Camilla Renschke nackt durchs Bild turnte und sich die Bremer Hauptkommissarin Inga Lürsen (Sabine Postel) freizügig in den Laken räkelte, wird in Sternschnuppe mit optischen Reizen gegeizt: Die gewohnt umtriebige Bibi Fellner (Adele Neuhauser) lässt den BH beim Date mit ihrer neuen Eroberung Wolfi (Gerhard Greiner) ebenso zugeknöpft wie Chefinspektor Moritz Eisner (Harald Krassnitzer) und Assistent Manfred Schimpf(Thomas Stipsits) ihre Hemden. Stattdessen wird in bester Salt N Pepa-Manier bei jeder Gelegenheit über Sex geplaudert: Nachdem Udo Hausberger (Peter Karolyi), der Jury-Chef der fiktiven Castingshow "Sing your song", auf der Suche nach dem ultimativen Orgasmus in seiner Dusche stranguliert wurde, nehmen Eisner und Fellner den Leichenfund (s. Bild) zum Anlass für ausgedehnte Reflexionen ihres eigenen Sexlebens. Das gestaltet sich aber nur bedingt unterhaltsam: Spätestens, als die Ermittler beim Sexualtherapeuten Dr. Peter Paulo dos Santos (Rainer Wöss) vorstellig werden, kommt man sich vor wie in einem albernen Tatort aus Münster. Die erste Krimihälfte steht ganz im Zeichen müder (Sex-)Witzchen, die man aus Wien so gar nicht gewöhnt ist - und spätestens, wenn Fellners Pontiac Firebird zum dritten Mal nicht anspringen will, ist auch dieser Gag irgendwie ausgelutscht. Doch es liegt nicht nur an den dünnen Pointen, dass Sternschnuppe der enttäuschendste Wiener Tatort seit Bibi Fellners Debüt Vergeltung ist:
Eisner: "Es ist schon erstaunlich, wie verbissen manche Menschen um jeden Preis ihrem Klischee gerecht werden müssen!"
Chefinspektor Eisner bringt das Dilemma nach der Befragung der quotenfixierten Castingshow-Redakteurin Vanessa Gross (Claudia Kottal) früh auf den Punkt. Drehbuchautor Uli Brée, der in den vergangenen Jahren so tolle Wiener Tatort-Folgen wie Ausgelöschtoder Abgründeschrieb, liefert diesmal fast nur klischeebeladene Figuren: Die verbitterte Gesangslehrerin Samy Graf (Ruth Brauer-Kvam, Kolportage) lebt ihre gescheiterten Karriereträume über ihren talentierten Sohn aus, die abgehalfterte Ex-Gewinnerin Vera Sailer (Sabrina Rupp) hält sich mühsam mit schlecht besuchten Gigs in Einkaufszentren über Wasser und "Toy Boy" Benny Raggl (Michael Steinocher, Baum der Erlösung) würde für ein Schäferstündchen mit der arroganten Mordopfer-Gattin Angelika Hausberger (Aglaia Szyszkowitz, Vergeltung) wohl so ziemlich alles tun. Da ist Staffelfinalist Aris Graf (Rafael Haider, Böses Blut) noch die interessanteste Figur: Er durchschaut die Mechanismen der TV-Branche zwar, fügt sich ihnen aber und gibt vor allem platte Lebensweisheiten zum Besten ("Man muss sich nur selbst treu bleiben!"). So bissig und amüsant die Scheinheiligkeit des Showgeschäfts im zu Recht für den Grimme-Preis nominierten Tatort-Meilenstein Wer bin ich? entlarvt wurde, so uninspiriert fällt die Demaskierung über weite Strecken im 974. Tatort aus: Fast alles, was Brée und Regisseur Michi Riebl (Glaube, Liebe, Tod) herausarbeiten, ist ein alter Hut. Wer glaubt, dass private TV-Sender ihre Kandidaten bei Quotenhits wie DSDS von ihrer natürlichsten Seite einfangen, mag in diesem Krimi Bauklötze staunen - wer das Erfolgsgeheimnis der Castingshows aber schon einmal kritisch hinterfragt hat, wird an der Geschichte wenig Aufregendes finden. Dass Sternschnuppe kein Hit ist, liegt aber auch am enttäuschenden Auftritt der sonst so überzeugenden Hauptfiguren: Retteten Eisner und Fellner Folgen wie Paradies oder Grenzfall mit ihrem köstlichen Gezanke und reichlich Wiener Schmäh noch ins Mittelmaß, wirken die Neckereien diesmal so aufgesetzt wie selten. Statt knisternden Spannungsmomenten gibt es Gesangseinlagen - und einen ziemlich kitschigen Schlussakkord, bei dem die trauernde Mutter Helga Sailer (Susi Stach) das letzte Ständchen des Films rigoros abwürgt.
Sailer: "Hör bitte auf."
Bewertung: 4/10

Du gehörst mir

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Folge: 975 | 14. Februar 2016 | Sender: SWR | Regie: Roland Suso Richter

So war der Tatort:

Bild: SWR/Alexander Kluge
Kriegerisch. Denn nicht nur Kult-Chef Bernd Stromberg aus der gleichnamigen Erfolgsserie weiß: Büro ist Krieg! Dieses Motto gilt seit dem Debüt von Fallanalytikerin Johanna Stern (Lisa Bitter) in Blackout bekanntlich auch im Tatort aus Ludwigshafen: Die Filmemacher haben es sich gemeinsam mit dem SWR zur Aufgabe gemacht, die junge Karriere-Mami ("Der Tatort lag auf dem Weg zur Kita, passte ganz gut rein!") auf die dienstälteste Tatort-Kommissarin und Bauchgefühl-Ermittlerin Lena Odenthal (Ulrike Folkerts) loszulassen. Doch waren es 2015 in mittelschweren Krimi-Katastrophen wie Die Sonne stirbt wie ein Tier oder LU vor allem die Damen, die sich verbal zerfleischten, mischt diesmal auch der Rest der kurpfälzischen Ermittlertruppe mit: Hauptkommissar Mario Kopper (Andreas Hoppe) fühlt sich in einer Tour angegriffen und schießt verbal gegen die Kolleginnen, während die gutmütige Assistentin Edith Keller (Annalena Schmidt) mit wilden Asterix-Metaphern zurückkeift. Drehbuchautor Jürgen Werner (Kollaps), dem sein Dortmunder Tatort-Konzept 2015 eine Nominierung für den Grimme-Preis bescherte, hat in den letzten Jahren reichlich reizvollen Bürozoff arrangiert - doch anders als bei seinen Dortmunder Drehbüchern wirkt in Du gehörst mir fast jeder Schreibtischkonflikt verkrampft und behauptet. Das mag auch daran liegen, dass der Zuschauer über die möglichen Ursachen der permanenten Aggressionen wenig erfährt: Während sich Kopper in halbherzig eingestreuten Telefonaten vor seiner italienischen Flamme rechtfertigen muss, leugnet Stern auf Nachfrage die Probleme mit ihrem Ehemann.
Kopper: „Manchmal frage ich mich, wie ihr Mann und ihre Kinder Sie aushalten.“
Stern: „Meine Kinder lieben mich.“
Es ist einer der intelligentesten Dialoge in einem Tatort, in dem sich ansonsten vieles hölzern und alles vorhersehbar gestaltet. Regisseur Roland Suso Richter (Preis des Lebens) inszeniert mit Du gehörst mir eine jener Folgen, bei denen man schon nach zehn Minuten weiß, wer der Mörder ist: Die Figuren sind allesamt Stereotypen, ihr Handeln ausrechenbar. Nach dem grausamen Tod des dealenden Bodybuilders und Vergewaltigers Tarim Kosic (Luca Riemenschneider), der kurz zuvor die junge Marie Rainders (Elisa Afie Agbaglah) vergewaltigt und ins Koma befördert hat, gibt es mit seinem besten Kumpel Daniel Peters (Vladimir Burlakov), Maries Mutter Birte (Sandra Nedeleff, Blutsbande) und ihrer besten Freundin Evelyn Zoller (Lilli Fichtner, Der tiefe Schlaf) nämlich nur drei ernstzunehmende Verdächtige: Rapper Yago "El Macho" Torres (Matthias Wiedenhöfer, Brüder) drängt sich als vorbestrafter Kleinkrimineller einfach viel zu sehr als Täter auf, als dass er wirklich für den Mord infrage käme. Weil einer der Verdächtigen früh das Zeitliche segnen muss, ein anderer im Mittelteil des Films wie üblich aus dem Blickfeld gerät und die Filmemacher ein paar überdeutliche Hinweise einstreuen, wird die Auflösung zum Kinderspiel - vorausgesetzt, der Zuschauer hat angesichts der zwischenmenschlichen Dauerkrise im Polizeipräsidium nicht längst abgeschaltet. Praktischerweise haben Mark Medlock-Verschnitt Torres und Mauerblümchen Evelyn außerdem jeden wichtigen Moment mit der im Koma liegenden Balletttänzerin Marie in kitschigen Selfie-Videos dokumentiert. Immerhin: "Smombie" Johanna Stern ("Ich erstelle Täterprofile, keine Kollegenprofile!") wurde im 975. Tatort offenbar striktes Tablet-Verbot auferlegt, und auch ihr Restaurantbesuch mit Kopper ist ein versöhnlicher erster Schritt in die richtige Richtung. Bis ins solide Mittelmaß ist es in Ludwigshafen aber noch ein weiter Weg: Auch die stylishen, in auffallend ausgeblichenen und kalten Farben gehaltenen Bilder von Kameramann Jürgen Carle (Château Mort) können nicht über die großen Schwächen dieses Krimis hinwegtäuschen.

Bewertung: 3/10

Schleichwerbung war gestern: Großes Retusche-Tennis in Ludwigshafen 

 

Im gelobten Land

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Folge: 976 | 21. Februar 2016 | Sender: SWR | Regie: Züli Aladag

So war der Tatort:

Bild: SWR/Johannes Krieg
Schleppend. Aber weniger im Hinblick auf die Spannung, als vielmehr inhaltlich: Sage und schreibe 23 qualvoll erstickte Flüchtlinge finden die Stuttgarter Hauptkommissare Thorsten Lannert (Richy Müller) und Sebastian Bootz (Felix Klare) in einem LKW - von Schleppern illegal ins Land gebracht und wenige Stunden zu spät gefunden. Alle 23 Menschenleben hätten die Ermittler retten können - hätten, ja hätten sie die Observierung des LKW, in dem sie gemeinsam mit ihrem unsympathischen Kollegen Ulmer (Christian Koerner, Freigang) von der Drogenfahndung große Mengen Rauschgift vermuteten, abgebrochen und früher den Blick in den Laderaum gewagt. Es ist vor allem Lannert, der sich die Tragödie zu Herzen nimmt: Er startet im 976. Tatort einen unautorisierten Alleingang, der ihn direkt in eine Flüchtlingsunterkunft führt. Dort hat sich der aufbrausende Milan Kostic (stark: Sascha Alexander Geršak, Frohe Ostern, Falke), mutmaßlicher Mörder eines Drogenbarons und Schleuser der toten Flüchtlinge, mit seiner Schwester Mitra (eiskalt: Edita Malovcic, sonst als Staatsanwältin Hanna Lennerz im Hamburger Tatort zu sehen) und der Nigerianerin Lela (Florence Kasumba, Borowski und das Meer) verschanzt. Nebendarstellerin Kasumba war schon 2011 im Bremer Tatort Der illegale Tod, in dem sich die Filmemacher ebenfalls mit Einwanderern und kenternden Flüchtlingsbooten auseinandersetzten, mit von der Partie, aber Im gelobten Land ist der bessere Schleuserkrimi: Drehbuchautor Christian Jeltsch (Hundstage) setzt sich in Zeiten der Flüchtlingskrise angenehm differenziert mit der Thematik auseinander, denn hier sind nicht alle Flüchtlinge gut oder böse und nicht jeder Schleuser ein herzloser Menschenhändler.

Nach dem beklemmenden Auftakt unter freiem Himmel entspinnt er gemeinsam mit Regisseur Züli Aladag (Schwerelos) im Flüchtlingsheim ein packendes Kammerspiel, das von Minute zu Minute an Fahrt gewinnt und dem Zuschauer nur wenig Zeit für Verschnaufpausen lässt. Als Whodunit-Konstruktion zum Miträtseln funktioniert der Film allerdings nicht: Früh wird deutlich, dass nicht Kostic den ohnehin nur am Rande erwähnten Drogenkönig Ahmed Bashir auf dem Gewissen hat. Das dramaturgische Herzstück des Krimis bildet die Pattsituation zwischen Lannert und Kostic: Minutenlang richten Kommissar und Schleuser in einem Zimmer des Heims die Waffe aufeinander, ohne dass einer der beiden den Abzug drücken würde. Anders als im zeitgleich laufenden Tschiller: Off Duty, der an den Kinokassen kolossal Schiffbruch erlitt, bricht sich die Gewalt aber nur selten Bahn: Während der impulsive Kostic immer wieder von seiner abgebrühten Schwester eingefangen wird, mahnt Lannert sich selbst zur Besonnenheit. Ein zehnminütiges Spannungsloch im Mittelteil ist schnell überwunden: Während Lannert Kostic zur Aufgabe überreden will, tastet sich Bootz mit einem SEK-Team von Zimmer zu Zimmer durchs Gebäude. Trotz dieses Einsatzes ist Im gelobten Land eher ein fiebriges Psychoduell als ein Actionthriller, und spätestens mit der nahenden Ankunft eines zweiten LKW entwickelt sich der 18. Einsatz der Stuttgarter Kommissare zu einem reizvollen Wettlauf gegen die Zeit. Einige Logiklöcher bleiben dabei nicht aus: Die Polizeibeamten übersehen glatt eine vermummte Person auf einem Nachbargebäude, und auch die Durchsuchung der Zimmer fällt natürlich im entscheidenden Moment zu schlampig aus. Dem Realitätsabgleich kann die Krimireihe aber ohnehin nur selten standhalten - und so ist Im gelobten Land unter dem Strich ein überzeugendes Thrillerdrama mit kleinen Schönheitsfehlern. Fehlen tut dabei überraschend Assistentin Nika Banovic (Mimi Fiedler): Unterstützt werden Lannert und Bootz von Staatsanwältin Emilia Alvarez (Carolina Vera) und Gerichtsmediziner Dr. Vogt (Jürgen Hartmann), der seine klugen Literaturzitate allerdings stecken lässt, während er in Der Inder und Preis des Lebens noch mit ihnen um sich warf.

Bewertung: 7/10

Kartenhaus

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Folge: 977 | 28. Februar 2016 | Sender: WDR | Regie: Sebastian Ko

So war der Tatort:

Bild: WDR/Martin Menke
Stark angelehnt an Oliver Stones Natural Born Killers, Tony Scotts True Romance oder Arthur Penns Bonnie und Clyde - aber in Sachen Unterhaltungswert weit von diesen Hollywood-Klassikern entfernt. Drehbuchautor Jürgen Werner, der nach Du gehörst mir zum zweiten Mal binnen fünf Wochen ein Tatort-Skript beisteuert, bricht in Kartenhaus mit einem ungeschriebenen Tatort-Gesetz: Das Publikum weiß von Beginn an um Mörder und Motiv. Bonnie und Clyde sind in diesem Fall Laura Hartmann (Ruby O. Fee, Happy Birthday, Sarah) und Adrian Tarrach (Rick Okon, Freunde bis in den Tod): Weil sich ihr Stiefvater offenbar an Laura vergangen hat, ersticht der vorbestrafte Draufgänger Adrian den verhassten Klaus Hartmann (Thomas Bastkowski, Verschleppt) in dessen Küche, während seine Ehefrau Carmen (Julika Jenkins, Fünf Minuten Himmel) ahnungslos im Auto auf ihn wartet. Der 80er Jahre-Klassiker When The Rain Begins To Fall dröhnt durch die Wohnung, und Adrian und Laura ergreifen kurzerhand die Flucht. "Mallory und Mickey sind glücklich zusammen in den Sonnenuntergang gefahren", verweist der Mörder auf das Ende in Natural Born Killers, doch für das junge Paar im 977. Tatort wird es natürlich kein Happy End geben: In der Krimireihe behalten in aller Regel die Ermittler die Oberhand, und das ist in Kartenhaus nicht anders. Die Hauptkommissare Max Ballauf (Klaus J. Behrendt) und Freddy Schenk (Dietmar Bär) jagen Laura und Adrian durch Köln, scheinen es aber nicht besonders eilig zu haben: Erst als ihr Kollege Tobias Reisser, der sich im letzten Kölner Tatort Benutzt als erster schwuler Assistent in der Geschichte der ARD-Reihe outete, in Gefahr gerät, legen die beiden endlich einen Zahn zu.
Ballauf: "Ich hab keine Lust, schon wieder 'nen Assistenten zu verlieren."
Eine wunderbare Hommage an die 2014 verstorbene Franziska Lüttgenjohann (Tessa Mittelstaedt) - und eines der wenigen Highlights in einem Krimi, in den sich im Mittelteil gehörig Leerlauf einschleicht. Statt Himmel und Hölle in Bewegung zu setzen und die Domstadt mit allen verfügbaren Einsatzkräften zu durchforsten, hangeln sich Ballauf und Schenk seelenruhig von Dialog zu Dialog und fassen die gewonnenen Erkenntnisse in gewohnter Manier beim Gang zu Freddys geparktem Oldtimer zusammen. Weil der Zuschauer ohnehin schon weiß, wo sich Adrian und Laura verstecken, gestaltet sich das ziemlich zäh - am dynamischsten fällt noch eine kurze Zu-Fuß-Verfolgungsjagd von Drogendealer Ivo Tarek (Aleksandru Cirneala) aus, die auf dem Dach eines Parkhauses ein amüsantes Ende findet (Schenk: "Wo bleibst du denn?"). Ansonsten spielen die Ermittler in Kartenhaus oft nur die zweite Geige, denn die Beziehung zwischen dem abgebrühten Adrian und der undurchsichtigen Laura - Anspielung auf American Beauty inklusive - ist der Dreh- und Angelpunkt des Films. Trotz der ansprechenden Darbietungen von Rick Okon und Ruby O. Fee, die uns während der Dreharbeiten ein Interview gab, fehlt es den jungen Hauptfiguren aber an Fallhöhe: Insbesondere über Lauras Seelenleben erfährt das Publikum zu wenig. Warum erfindet die aufreizende Außenseiterin immer wieder abstruse Geschichten? Diese Frage wird (anders als zum Beispiel bei der Hauptfigur im deutlich stärkeren Borowski und der Engel) nur vage beantwortet, so dass man nur schwer Zugang zu ihr findet. Adrians Vorgeschichte hingegen wurde schon oft erzählt: Sein prügelnder Alki-Vater ist früh verstorben, seine geliebte Mutter Pia Tarrach (stark: Bettina Stucky) ein verbitterter Pflegefall - wer in solchen Verhältnissen aufwächst, der kann offenbar nur auf die schiefe Bahn geraten. Auch der Showdown bietet wenig Überraschendes: Einmal mehr geht es hinauf in luftige Höhen, wie es in den Monaten zuvor unter anderem in Borowski und die Rückkehr des stillen Gastes oder in Spielverderber zu beobachten war.

Bewertung: 5/10


Auf einen Schlag

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Folge: 978 | 6. März 2016 | Sender: MDR | Regie: Richard Huber

So war der Tatort:

Bild: MDR/Andreas Wünschirs
Weiblich. Denn zum ersten Mal in der über vierzigjährigen Tatort-Geschichte geht ein rein weibliches Ermittlerduo auf Täterfang: Die Dresdner Oberkommissarinnen Karin Gorniak (Karin Hanczewski, ... es wird Trauer sein und Schmerz) und Henni Sieland (Alwara Höfels, Der Eskimo), die in Sachsen die 2015 geschassten Keppler und Saalfeld beerben, suchen mitten im Herzen des schmucken Elbflorenz nach dem Mörder des erschlagenen Schlagersängers Toni Derlinger (Anton Weber). Unterstützt werden sie bei ihrem Debüt von der naiven Polizeianwärterin Maria Magdalena Mohr (Jella Haase, Puppenspieler) und Kommissariatsleiter Peter Michael Schnabel (Martin Brambach, Falsch verpackt) - und schon allein der Blick auf die mit klangvollen Namen gespickte Besetzung macht deutlich, dass der MDR nach der kolossalen Bruchlandung mit dem nach zwei Folgen zu Recht wieder abgesetzten Tatort Erfurt einen weiteren Fehlschlag vermeiden möchte. Ansonsten setzt der Sender auf Erfahrung: Regisseur Richard Huber (Der irre Iwan) und Drehbuchautor Ralf Husmann vertrauen in Auf einen Schlag dem vielfach erprobten Erfolgsprinzip der Krimireihe und entspinnen vor den Kulissen der Dresdner Altstadt und hinter den Kulissen einer Musikshow ein klassisches Whodunit-Konstrukt, bei dem die Auflösung bis in die Schlussminuten offen bleibt. Angereichert wird die Geschichte mit Seitenhieben auf die vermeintlich heile Schlagerwelt und reichlich Altherrenwitz - und nicht von ungefähr werden dabei Erinnerungen an eine ebenfalls von Husmann konzipierte Büroserie wach: Schnabels sexistische Sprüche und die gelegentliche Political Incorrectness ("Was soll das sein, ein Neger im Kohlenkeller?") sind stark an Ekel-Chef Bernd Stromberg (Christoph Maria Herbst) angelehnt, bringen aber trotz einiger Volltreffer nicht immer den erhofften Lacher.
Schnabel: "Sie haben sich aufgeführt wie zwei Elefantinnen im Porzellanladen."
Gorniak: "Soll das heißen, wir sind dick?"
Vor allem die erste Hälfte des Films dominieren verbale Schlagabtäusche im Präsidium und ausufernde Diskurse über die Rolle von Mann und Frau - das ist stellenweise durchaus amüsant, klingt aber manchmal auch wie aus einem anderen Jahrzehnt. Der im Gestern lebende Chauvi Schnabel ("Ich hab' dieses verdammte Internet in Verdacht!") hat als Figur dennoch großes Potenzial für die Zukunft - anders als Polizeianwärterin Mohr, die mit ihrer sympathischen Greenhorn-Art zwar mehrere Szenen stiehlt, aber nur dieses eine Mal im Dresdner Tatort zu sehen ist. Auch die Kommissarinnen schlagen sich wacker: Die bissige Gorniak ("Ich hab 'ne Arschloch-Allergie, da krieg' ich Ausschlag.") und die etwas entspannter zu Werke gehende Sieland präsentieren sich als verschworene Einheit und sind anders als Schnabel auch nach Feierabend zu sehen: Sieland hat Probleme mit ihrem Freund Ole Herzog (Franz Hartwig, Totenstille) und dem Kinderkriegen, Gorniak mit ihrem aufmüpfigen Sohn Aaron (Alessandro Emanuel Schuster). Für die Spannung sind private Nebenkriegsschauplätze wie diese bekanntlich Gift, in einer Erstlingsfolge wie dieser aber nun mal unverzichtbar. Die klischeebeladenen Verdächtigen schmälern den Unterhaltungswert deutlich stärker: Der ursächsische Mit-Mutti-Mau-Mau-Spieler Walther Ungerland (Michael Specht) ist bis ins Karikatureske überzeichnet, während der aalglatte Musikproduzent Maik Pschorrek (Polizeiruf 110-Ermittler Andreas Guenther, Großer schwarzer Vogel), der abgehalfterte Manager Rollo Marquardt (Hilmar Eichhorn, Rendezvous mit dem Tod) und Dirndl-Sängerin Laura (Sina Ebell) immer genau das tun, was man von ihnen erwartet. Auch an hübschen Postkartenmotiven mangelt es dem ersten Dresdner Tatort seit der Versetzung der früheren MDR-Kommissare Ehrlicher und Kain nach Leipzig nicht: Ein Großteil des Films wurde im berühmten Zwinger gedreht und die obligatorische Verfolgungsjagd führt im 978. Tatort über einen Touri-Dampfer auf der Elbe. Die Verpackung dieses soliden Krimi-Debüts kann sich also sehen lassen.

Bewertung: 5/10

Kleine Prinzen

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Folge: 979 | 13. März 2016 | Sender: SRF | Regie: Markus Welter

So war der Tatort:

Bild: ARD Degeto/SRF/Daniel Winkler
Gekreuzt. Eingefleischte Tatort-Fans düften in Kleine Prinzen nämlich ein doppeltes Déjà-vu erleben: 2009 ermittelten die Konstanzer Hauptkommissare Klara Blum (Eva Mattes) und Kai Perlmann (Sebastian Bezzel) in ihrem bis heute besten Fall Herz aus Eis in einem Eliteinternat - und ihre Münchner Kollegen Ivo Batic (Miroslav Nemec) und Franz Leitmayr (Udo Wachtveitl) gerieten 2014 in Der Wüstensohn mit dem arabischen Prinzen Nasir Al Yasaf (Yasin el Harrouk) aneinander, der in der bayerischen Landeshauptstadt nach allen Regeln der Kunst über die Stränge schlug. Der 979. Tatort so etwas wie eine Kreuzung dieser beiden Folgen: Erneut spielen große Teile des Krimis in einem teuren Eliteinternat, in dem Kleine Prinzen schwerreicher Eltern für ihre späteren Aufgaben in Politik und Wirtschaft vorbereitet werden. Als die hübsche Schülerin Ava Fleury (Ella Rumpf) erschlagen und post mortem von dem bedauernswerten LKW-Fahrer Fritz Loosli (Urs Jucker, Schmuggler) über den Haufen gefahren wird, ruft das die Schweizer Hauptkommissare Reto Flückiger (Stefan Gubser) und Liz Ritschard (Delia Mayer) auf den Plan - und die geraten bald mit dem arabischen Minister Ali Al-Numi (Nadim Jarrar) aneinander, dessen jüngerer Bruder Fahd (Hassan Akkouch, Eine andere Welt) dasselbe Internat besucht wie die Tote und unter dringendem Tatverdacht steht. Wie der Prinz in Der Wüstensohn ist aber auch der hochnäsige Al-Numi dank seiner diplomatischen Immunität nicht greifbar: Er quartiert sich mit seinem Bruder in einem Luxushotel ein und lässt sich nur widerwillig von den Luzerner Ermittlern herbeizitieren.
Al-Numi: "Die Herren von der FIFA sind sehr darüber enttäuscht, dass ich ihr Essen so plötzlich verlassen musste!"
Es kommt, wie es kommen muss: Wie schon viele andere Filmemacher vor ihnen verlieren sich Regisseur Markus Welter und das Autorenduo Lorenz Langenegger und Stefan Brunner bei ihrer Geschichte in ermüdendem Kompetenzgerangel, bei dem auch der ewig mahnende Amtsrat Eugen Mattmann (Jean-Pierre Cornu) und der nicht minder überzeichnete Bundeskriminalpolizist Marc Müller (Samuel Weiss, Puppenspieler) mitmischen. "Nicht gucken wie die Kuh, wenn's donnert", donnert Mattmann durchs Präsidium - während er im bis dato stärksten Luzerner Tatort Ihr werdet gerichtet erstmalig menschliche Züge offenbarte und sich ein Stück weit von der Schablonenhaftigkeit seiner Figur emanzipierte, ist ihm diesmal wieder am Vermeiden jeglicher Reibungen mit den einflussreichen Kollegen aus Politik und Wirtschaft gelegen. Wie alle Schweizer Beiträge der letzten Jahre hat auch Kleine Prinzen mit seiner holprigen Synchronisation für das deutsche TV-Publikum zu kämpfen, doch weitaus schwerer wiegt die fehlende Spannung: Trotz guter Ansätze bleiben Überraschungen bis zur früh vorhersehbaren Auflösung Mangelware. Für die Nebenfiguren scheinen sich die Filmemacher auch kaum zu interessieren: Die strenge Schulrektorin Elisabeth Ammann (Esther Gemsch, Der gelbe Unterrock) ist genauso holzschnittartig angelegt wie Avas Mitschüler Tom Hoffmann (Flurin Giger), der die überzogenen Erwartungen seiner steinreichen Eltern mit Drogendealen kompensiert. Auch das Verhältnis der Toten mit ihrem Kunstlehrer Matthias Fischer (Jürg Plüss) wird im Schnellverfahren abgehandelt - stattdessen illustrieren die Filmemacher die Liaison von Gerichtsmedizinerin Corinna Haas (Fabienne Hadorn) mit dem rund zwanzig Jahre jüngeren Praktikanten Silvan Bühler (Mario Fuchs), der nach einer gemeinsamen Nacht mit schlackerndem Gehänge aus dem Bild springt. "Das SRF hat zugesagt, dass unsere Filmfiguren mehr Privatleben erhalten", verriet Stefan Gubser Anfang 2016 der Schweizer Presse - doch in Kleine Prinzen ist das allenfalls zu erahnen. Und die konkrete Umsetzung wirkt mehr als unbeholfen: Der Kommissar und Hausbootbewohner wirft sich nach Feierabend minutenlang für ein Rendezvous in Schale - aber lernen wir sein Herzblatt im Anschluss auch kennen? Weit gefehlt: Wer Flückigers neue Flamme ist, erfährt der Zuschauer ebenso wenig wie seine neugierige Kollegin Ritschard, die auch in diesem Tatort nichts von ihrem Privatleben preisgeben darf.

Bewertung: 4/10

Zorn Gottes

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Folge: 980 | 20. März 2016 | Sender: NDR | Regie: Özgur Yildirim

So war der Tatort:

Bild: NDR/Marion von der Mehden
Lorenzlos. Sechs Tatort-Einsätze in Hamburg und Niedersachsen in der Rolle der Bundespolizistin Katharina Lorenz waren Petra Schmidt-Schaller offenbar genug. Denn bei ihrem Abschied im Tatort Verbrannt stand ihre Nachfolgerin bereits fest: Die gebürtige Wienerin Franziska Weisz (Der Wächter der Quelle) ist in Zorn Gottes zwar noch als Flughafeninspektorin Julia Grosz im Einsatz, steht Bundespolizei-Ermittler Thorsten Falke (Wotan Wilke Möhring) aber von nun an dauerhaft zur Seite. Und das Debüt ihrer neuen Tatort-Figur kann sich sehen lassen: Afghanistan-Rückkehrerin Grosz, die nach einer traumatischen Erfahrung den Dienst quittiert und am Flughafen Hannover einen ruhigeren Job gefunden hat, bringt genau die interessante Lebensgeschichte mit, die ihre oft blasse Vorgängerin Lorenz vermissen ließ oder nie preisgab. Mit ihrer Einsilbigkeit lockt sie ihren plauderfreudigen Kollegen immer wieder aus der Reserve - das führt vor allem in der ersten Krimihälfte zu einigen amüsanten Dialogen, weil der gewohnt schnodderige Falke vergeblich Zugang zu seiner Partnerin sucht. Für allzu viel Dialogwitz bleibt in der Folge aber keine Zeit, denn Drehbuchautor Florian Öller und Regisseur Özgur Yildirim, der auch beim starken Falke-Debüt Feuerteufelam Ruder saß, befassen sich in Zorn Gottes mit einem brandaktuellen Thema: der Gefahr durch islamistische Terroranschläge in Deutschland. Doch der Tatort wäre nicht der Tatort, wenn es nicht trotzdem die obligatorische Auftaktleiche gäbe - und die fällt diesmal aus einem Flugzeug direkt in den Swimmingpool einer Villa. Platsch!

Was ist passiert? Der am Flughafen Hannover arbeitende "Rocky" Kovac (Christoph Letkowski, Brüder) ist mit seinem Halbbruder Mike (Alexander Wüst) und seiner Freundin Laura (Claudia Eisinger, Tod einer Lehrerin) als Schleuser aktiv und bringt den gefährlichen Terroristen Enis Günday (Cem-Ali Gültekin, Hinter dem Spiegel) ins Land - doch weil er Günday mit dem Araber Asis Berhan (Neil Malik Abdullah, Schwelbrand) verwechselt, unbeobachtet von allen Kameras erschlägt und im Fahrgestell des Flugzeugs verstaut, rückt schon bald die Spurensicherung an. Weil der Mörder feststeht und vom vorübergehend in Gefangenschaft geratenen Terroristen Günday lange keine Gefahr ausgeht, stürzt der Film nach dem gelungenen Auftakt aber in ein Spannungsloch: Erst im Schlussdrittel befreit Öller seine Geschichte, die vom Soundtrack des Musikproduzenten Mousse T. und Peter Hinderthür (Wolfsstunde) begleitet wird, endlich aus dem einengenden Tatort-Korsett. An den thematisch ähnlich gelagerten US-Serienhit Homeland oder den packenden Hamburger Meilenstein Der Weg ins Paradies, in dem Cenk Batu (Mehmet Kurtulus) eine islamistische Terrorzelle hochgehen ließ, reicht der 980. Tatort daher nicht ganz heran: Statt die Spannungsschraube von Beginn an kontinuierlich anzuziehen, verlieren sich die Filmemacher vorübergehend in einem Nebenkriegsschauplatz, der die Geschichte kaum voranbringt. Auch mit der Logik ist es nicht allzu weit her: Die hochschwangere Laura zeigt sich bemerkenswert agil, während Falke die folgenreiche Verwechslung am Flughafen durch eine spontane Eingebung schlussfolgert. Der Übergang zum großen Showdown, bei dem der Body Count drastisch ansteigt, gerät dann etwas hektisch: Die rasche Beschleunigung auf Tempo 100 erinnert an die Hamburger Tatort-Kollegen Tschiller und Gümer, die bei ihren bisherigen Einsätzen (inklusive des Kino-Flops Tschiller: Off Duty) die Leichenberge nur so auftürmten. Hätten die Filmemacher die Suche nach dem Terroristen früher zugespitzt und dessen drohenden Anschlag als Steilvorlage für einen Wettlauf gegen die Zeit genutzt, wäre aus Zorn Gottes wohl ein hochklassiger Thriller geworden - so ist der erste Einsatz von Falke und Grosz unter dem Strich "nur" ein unterhaltsamer Tatort, der etwas spät auf Touren kommt. 

Bewertung: 6/10

Fünf Minuten Himmel

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Folge: 981 | 28. März 2016 | Sender: SWR | Regie: Katrin Gebbe

So war der Tatort:

Bild: SWR/Ziegler Film
Grün. Passend zu den Landtagswahlen in Baden-Württemberg, bei denen sich die Stadt Freiburg 2016 einmal mehr als Hochburg der Grünen-Wähler präsentierte, wurde auch der mit dem zweifelhaften Label "Event-Tatort" versehene Fünf Minuten Himmel besonders umweltbewusst und ressourcenschonend produziert und für diesen nachhaltigen Ansatz mit einer Nominierung für den CSR-Preis 2016 belohnt. Deutlich weniger nachhaltig ist aber die Idee hinter der Produktion: Die Freiburger Hauptkommissarin Ellen Berlinger (Heike Makatsch) soll im Breisgau nur einmalig ermitteln - so wie 2013 die Weimarer Kollegen Lessing (Christian Ulmen) und Kira Dorn (Nora Tschirner), denen der MDR nach ihrem überzeugenden Debüt in Die fette Hoppe ein dauerhaftes Engagement für die Krimireihe schmackhaft machte. Nun sollte man meinen, dass die Filmemacher bei dem als Außer-der-Reihe-Tatort angekündigten Fünf Minuten Himmel das schmückende Beiwerk reduzieren würden, um eine besonders spektakuläre Geschichte erzählen zu können - doch von diesem Ansatz ist im von Regisseurin Katrin Gebbe inszenierten Event-Tatort nicht das Geringste zu spüren. Berlingers erster Fall fällt alles anderes als außergewöhnlich aus und fühlt sich an wie ein typischer Erstling. Da müssen im Präsidium natürlich erst einmal die mühsam dialektelnden Kollegen - hier: der argwöhnische Spurensicherungsleiter Frank Hensel (Christian Kuchenbuch, Der Tag des Jägers), der verständnisvolle Chef Volker Gaus (Holger Kunkel, bis dato zweimal Oberstaatsanwalt Blesinger im Stuttgarter Tatort zu sehen) und der unterwürfige Rollstuhlfahrer Hendrik Koch (Max Thommes) - beschnuppert werden.
Koch: "Sie haben ein englisches Kennzeichen? Wow!"
Natürlich braucht die neue Kommissarin auch ein Privatleben: Fünfzehn Jahre ist es her, dass Berlinger ihre Tochter Niina (Emilia Bernsdorf) und ihre Mutter Edelgard (Angela Winkler) sitzen ließ und nach London auswanderte - nun ist sie (mit englischem Autokennzeichen!) zurück in ihrer Heimat und tritt trotz erneuter Schwangerschaft eine Vollzeitstelle an. Ermittlerinnen in Erwartung eines Kindes - man denke an LKA-Kommissarin Charlotte Lindholm (Maria Furtwängler), die Weimarer Kollegin Kira Dorn (Nora Tschirner) oder die Dortmunder Kommissarin Nora Dalay (Aylin Tezel) - sind in der Krimireihe nichts Besonderes mehr, und auch sonst setzt Drehbuchautor Thomas Wendrich meist auf typische Tatort-Muster: Er konstruiert in Freiburg einen klassischen Whodunit, bei dem es den Mörder eines qualvoll erstickten Jobcenter-Mitarbeiters zu finden gilt. Die Spannungskurve schlägt dabei aber nur selten nach oben aus, und zur richtigen Auflösung findet der Zuschauer allein schon über den Krimititel: Fünf Minuten Himmel spielt auf das Würgespiel "Five Minutes in Heaven" an, das auch als Bio-Kiffen oder Passout Game bekannt und zugleich die Lieblingsbeschäftigung der Jugendlichen Titus Kunath (Oskar Bökelmann), Harriett Wiesler (Anna-Lena Klenke, Das verkaufte Lächeln), Melinda Mai (Rosmarie Röse) und Ruth Winterer (Jochanah Mahnke) ist. Wer 1 und 1 zusammenzählt, wird sich von den falschen Fährten im Mittelteil des Krimis - unter Tatverdacht stehen Melindas arbeitslose Mutter Cornelia Mai (stark: Julika Jenkins, Kartenhaus) und ihr skurriler Nachbar Kurani (unfreiwillig komisch: André Benndorff, Schmuggler) - kaum ablenken lassen. In seiner Gesamtkonstruktion wirkt die Geschichte zudem ziemlich unwahrscheinlich: Der Sohn des Mordopfers ist zufälligerweise gut mit der Tochter der Hauptverdächtigen befreundet, und in deren Clique - in der realitätsfernes Sprücheklopfen ("Ich mach die sowas von Matsche!") an der Tagesordnung ist - verkehrt ausgerechnet die Tochter der Kommissarin. So bleibt unter dem Strich ein enttäuschender und bemüht zusammengeschusterter Krimi, der das Prädikat "Event-Tatort" zu jedem Zeitpunkt schuldig bleibt. Ein zweiter Auftritt von Heike Makatsch als Freiburger Kommissarin ist daher eher unwahrscheinlich - zumal das neue SWR-Team für den Tatort aus dem Schwarzwald bereits in den Startlöchern steht.

Bewertung: 4/10

Mia san jetz da wo's weh tut

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Folge: 982 | 3. April 2016 | Sender: BR | Regie: Max Färberböck

So war der Tatort:

Bild: BR/Roxy Film GmbH/Regina Recht
Silber. Mia san jetzt da wo's weh tut ist nicht nur der 72. Fall der silbergelockten Münchner Hauptkommissare Ivo Batic (Miroslav Nemec) und Franz Leitmayr (Udo Wachtveitl), sondern zugleich ihr 25-jähriges Dienstjubiläum - ihre Silberhochzeit also. Anders als die dienstälteste Tatort-Kommissarin Lena Odenthal (Ulrike Folkerts), die bereits seit 1989 im Einsatz ist, wirken Batic und Leitmayr als Figuren aber keineswegs überholt - was auch an den tollen Drehbüchern liegt, die dem Publikum Tatort-Meilensteine wie Frau Bu lacht, Der oide Depp oder Nie wieder frei sein bescherten. Auch Mia san jetzt da wo's weh tut liefert wieder eine erstklassige, wenn auch ziemlich sperrige Geschichte, die dem Zuschauer ein Höchstmaß an Aufmerksamkeit abverlangt. Regisseur und Drehbuchautor Max Färberböck (Der Himmel ist ein Platz auf Erden) lässt drei Handlungsstränge parallel laufen: Da ist zum einen der Fall der ermordeten rumänischen Prostituierten Aurelia Rubin (Anne-Marie Waldeck), den Batic und Leitmayr mit ihrem Assistenten Kalli Hammermann (Ferdinand Hofer) neu aufrollen und dabei auf den charismatischen Bordellbetreiber Harry Schneider (Robert Palfrader) treffen. Dann die Verstrickungen im Milieu, die Schneiders skrupellosen Handlanger Siggi Rasch (Andreas Lust, Côte d'Azur) und den koksenden Auftragskiller Roman Czernik (Till Wonka, Auf einen Schlag) auf den Plan rufen. Und nicht zuletzt die Flucht von Wäschereifahrer Benny (Max von der Groeben) und Mia Petrescu (Mercedes Müller, Willkommen in Hamburg), einer einst mit der Toten befreundeten Prostituierten: Wer hier auch nur drei Minuten nicht aufpasst, verpasst Entscheidendes. Oder womöglich den kurzen Umtrunk im Präsidium - stilecht mit Espresso aus Pappbechern.
Leitmayr: "Wenn ich was hass', dann Dienstjubiläum. Und womöglich noch gschissnen Champagner dazu!“
Fünf Wochen nach dem mittelprächtigen Kölner Tatort Kartenhaus, bei dem alles in geordneten Bonnie-und-Clyde-Bahnen ablief, wählt Färberböck einen für ihn typischen, gänzlich anderen erzählerischen Ansatz und lotet die seelischen Abgründe seiner Figuren dabei ausführlich aus: Statt die Erkenntnisse von den Kommissaren vorgekaut zu bekommen, ist der Zuschauer ihnen oft voraus und muss sich selbst einen Reim auf das Gesehene machen. Spätestens nach einem Blutbad in Bennys Wohnung scheint in dieser leichenreichen und selten ausrechenbaren Kreuzung aus Whodunit, Melodram und Milieuthriller nichts mehr unmöglich. Vielen Tatort-Puristen wird dieser fordernde Stil nicht schmecken - wer aber die Erzähltechniken zeitgenössischer US-Erfolgsserien wie True Detective mag, kommt im 982. Tatort voll auf seine Kosten. Dass Batic und Leitmayr diesmal auf Fallanalytikerin Christine Lerch (Lisa Wagner) verzichten müssen, erweist sich eher als Vorteil: Losgelöst von den etablierten Strukturen des Sonntagskrimis treiben die Figuren selbst die Geschichte voran. Allein der in der Rolle des aufbrausenden Puffkönigs Schneider famos aufspielende Robert Palfrader ("Die scheiß ich mit einem einzigen Anwalt zu!") ist das Einschalten wert. Auch handwerklich spielt Färberböcks Film in der ersten Liga: Nicht nur dank des stimmungsvollen Soundtracks werden Erinnerungen an sein Meisterwerk Am Ende des Flurs wach, dem er mit einigen Weißblenden und einer Wohnungsdurchsuchung am Ende des Flurs die Referenz erweist. Fast magisch wirken die großartig fotografierten Szenen im Präsidium, bei denen Kameramann Alexander Fischerkoesen (Aus der Tiefe der Zeit) gekonnt mit den Lichtverhältnissen spielt: Beim letzten Verhör unterstreichen Batic‘ tiefschwarze Augenhöhlen eindrucksvoll die aufkeimende Wut des temperamentvollen kroatischen Kommissars. Nicht nur in dieser Sequenz wird der visuell herausragende Münchner Jubiläumsfall zum kleinen Krimi-Kunstwerk, das bereits im April zu den besten Tatort-Folgen des Jahres 2016 zählt.

Bewertung: 8/10
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